Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.10.1964)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Oktober 1964 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Kläger sind die Hinterbliebenen des Schuhfabrikanten Dr. Fritz D. (Dr. D.), der am 10. September 1961 an den Folgen eines fünf Tage zuvor erlittenen Verkehrsunfalls verstarb. Dr. D. war als geschäftsführender Komplementär der „G.”-Sch. KG in Wiesloch b. Heidelberg freiwillig unfallversichert. Er trat am 25. August 1961 mit seinem PKW eine Geschäftsreise an, die ihn zunächst nach Reutlingen führte, wo er bei zwei Lederfabriken Material für seinen Betrieb abnahm; zur Fortsetzung dieser Tätigkeit vereinbarte er mit den Geschäftspartnern die Zeit zwischen dem 4. und 8. September 1961. Von Reutlingen fuhr er nach Friedrichshafen, wo er mit dem Inhaber einer Lederfabrik am Abend des 25. und am Morgen des 26. August 1961 Besprechungen führte. Anschließend – möglicherweise erst von Bregenz aus während der Weiterfahrt – vereinbarte er fernmündlich mit dem Züricher Importeur D. – Vertreter der „G.”-Sch … für die Schweiz – eine Preis- und Kollektionsbesprechung; die Besprechung sollte, da D. zu dieser Zeit in Italien zu tun hatte, am 5. September 1961 um 18 Uhr in einem Hotel in Mailand stattfinden. Von Friedrichshafen über Bregenz fuhr Dr. D. nach Silvaplana/Graubünden, von wo aus er seine Firma in Wiesloch fernmündlich verständigte, er werde bis zu der Mailänder Besprechung einen Urlaub einlegen. Den rd. 10-tägigen Urlaub verbrachte Dr. D. in Lungomare auf Lido di Marittima bei Venedig. Wann seine Reisebegleiterin, die mit ihm befreundete Frau H. aus Heidelberg, sich mit ihm getroffen hatte, ist nicht festgestellt worden. Am Morgen des 5. September 1961 fuhr Dr. D. von Lungomare ab in Richtung Padua-Verona. Gegen 12 Uhr, kurz hinter Vicenza, geriet der von Frau H. gesteuerte Wagen ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Dr. D. wurde in das nächstgelegene Krankenhaus geschafft, wo er seinen Verletzungen erlag.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 29. November 1961 den Entschädigungsanspruch der. Hinterbliebenen mit der Begründung ab, ein Rückweg vom Urlaub unterliege nicht dem Versicherungsschutz, das gleiche gelte für einen aus rein privaten Gründen unternommenen Umweg.

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Klage der Hinterbliebenen durch Urteil vom 25. April 1963 abgewiesen: Versicherungsschutz hätte nur für eine Fahrt auf der direkten Strecke Wiesloch-Friedrichshafen-Silvaplana-Mailand bestanden. Durch die Abweichung von dieser Strecke aus privaten Gründen sei der betriebliche Zusammenhang endgültig gelöst worden, dabei komme es nicht darauf an, ob Dr. D. den Abstecher nach Venedig von vornherein geplant habe. Der Versicherungsschutz würde erst wieder begonnen haben, wenn Dr. D. einige Kilometer nördlich von Mailand die Strecke Silvaplana-Mailand wieder erreicht hätte.

Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 14. Oktober 1964 (Breith. 1965, 461) unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente verurteilt: Dr. D. habe sich – einerlei wann er den Urlaubsentschluß faßte – spätestens in Bregenz auf der Weiterfahrt nach Silvaplana – statt in Richtung Zürich – von seiner Betriebstätigkeit gelöst, denn die Einschiebung des Urlaubs bedeute eine deutliche Zäsur in der allenfalls bis Bregenz führenden Geschäftsreise. Diese Lösung vom Betrieb habe bis zur Wiederaufnahme der versicherten Tätigkeit nach Beendigung des Urlaubs gedauert, d. h. bis zum Morgen des 5. September 1961, als Dr. D. sich von Lungomare auf den Weg nach Mailand begab. Bei lebensnaher Betrachtung sei dieser Weg bereits wieder so betriebsbezogen gewesen, daß er als versicherter Betriebsweg anzusehen sei. Der Versicherungsschutz wäre nur zu versagen, wenn der angetretene Weg nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem ohne den Urlaub zu benutzenden gestanden hätte. Dieser Gesichtspunkt entfalle hier, denn die Entfernung Lungomare-Mailand sei weniger als die Hälfte der Strecke Wiesloch-Mailand und auch noch etwas kürzer als die Strecken Wiesloch-Zürich oder Bregenz-Mailand. Bei diesen räumlichen Verhältnissen sei der unfallbringende Weg nicht in einem Maße urlaubsbezogen, daß er der unversicherten Sphäre zuzurechnen sei, vielmehr sei er zumindest auch wesentlich der an demselben Tage um 18 Uhr in Mailand beabsichtigten Geschäftsbesprechung zuzuordnen; dies um so mehr, als anscheinend die Wahl des Urlaubsorts auch noch in einem gewissen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden habe. – Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 29. Januar 1965 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Februar 1965 Revision eingelegt und sie innerhalb der bis zum 29. April 1965 verlängerten Frist wie folgt begründet: Der Rückweg vom Urlaub stehe auch dann nicht unter Versicherungsschutz, wenn er zwecks Wiederaufnahme der Betriebstätigkeit angetreten werde (BSG 1, 171). Das LSG habe den beim Wegeunfall gebräuchlichen Begriff der Zäsur unrichtig gehandhabt; hierbei müsse es sich um eigenwirtschaftliche Vorgänge von einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit handeln, ein vorübergehender Erholungsaufenthalt in Italien sei dagegen etwas völlig Außergewöhnliches, Einmaliges, was man nicht als Teil des häuslichen Lebensbereichs betrachten könne. Im Unfall Zeitpunkt habe sich Dr. D. auf der Heimreise vom Urlaub befunden. Nur gelegentlich dieser Heimreise habe er vorübergehend eine kurze Betriebstätigkeit aufnehmen wollen, wodurch aber die unfallbringende Fahrt noch nicht zu einem Betriebsweg geworden sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen

Zurückweisung der Revision.

Sie halten das Berufungsurteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Rechtsstreit betrifft die Frage des Unfallversicherungsschutzes nach § 542 der Reichsversicherungsordnung (in der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Fassung – RVO aF –) bzw. § 548 RVO (in der seit dem 1. Juli 1963 geltenden Fassung) für den Fall, daß jemand, der sich auf einer Dienst- oder Geschäftsreise befindet, unterwegs einen mehrtägigen Urlaub eingeschoben hat und auf der anschließenden Fahrt vom Urlaubsort zu einem während der Reise festgelegten Treffpunkt zwecks Wiederaufnahme der versicherten Tätigkeit verunglückt. Das LSG hat diese Präge in dem hier zu entscheidenden Fall bejaht auf Grund von Erwägungen, denen der erkennende Senat im wesentlichen beipflichtet.

Mit Recht ist das LSG davon ausgegangen, daß in der Geschäftsreise des Dr. D. eine Zäsur eintrat, als er am Vormittag des 26. August 1961 nach Beendigung seiner geschäftlichen Besprechungen von Friedrichshafen aus nach Silvaplana weiterfuhr. Da er nunmehr an den folgenden neun Tagen (27. August bis 4. September) keinerlei betriebliche Verrichtungen vorhatte, war diese Zeitspanne, die Dr. D. mit Urlaub ausfüllte, nicht mehr von dem seine Geschäftsreise begleitenden Versicherungsschutz umfaßt. Versicherungsschutz hätte von dem angeführten Zeitpunkt an nur weiterbestehen können, wenn Dr. D. von Friedrichshafen aus nach Wiesloch zurückgekehrt wäre; anläßlich der für Mailand vorgesehenen Preis- und Kollektionsbesprechung hätte sich dann 10 Tage später eine neue Geschäftsreise von Wiesloch nach Mailand ergeben. Da Dr. D. jedoch von einer solchen Rückfahrt am 26. August 1961 absah, hatte er sich mit dem Antritt seines Urlaubs von der betrieblichen Tätigkeit gelöst. Diese Lösung des betrieblichen Zusammenhangs wäre auch anzunehmen, wenn Dr. D. seinen Urlaub etwa in Silvaplana oder sonstigen Orten an der Strecke vom Bodensee nach Mailand verbracht hätte. Denn in Anbetracht des erst auf den 5. September festgelegten Besprechungstermins hätte eine so vorzeitige Anreise nach Mailand nicht als Fortsetzung der versicherten Geschäftsfahrt angesehen werden können (vgl. Bayer. LSG, Bayer, Amtsbl, 1964 B 55).

Der hier streitige Unfall hat sich nun aber nicht während des zweifelsfrei außer Versicherungsschutz stehenden Zeitraums ereignet, in dem Dr. D. – sich über Bregenz nach Silvaplana und von dort weiter nach Venedig begebend – seinen Urlaub verbrachte. Im Zeitpunkt des Unfalls war – wie das LSG zutreffend dargelegt hat – dieses von persönlichen Belangen bestimmte und deshalb unversicherte Zwischenstadium bereits abgeschlossen; denn mit der Abfahrt vom Urlaubsort Lungomare hatte Dr. D. seine betriebliche Tätigkeit wiederaufgenommen. Die Fahrt am Vormittag des 5. September 1961 von Lungomare nach Mailand diente dem Erreichen des Treffpunkts, an dem die mit dem Geschäftspartner Durst verabredete Preis- und Kollektionsbesprechung um 18 Uhr stattfinden sollte. Das Revisionsvorbringen, diese Besprechung habe nur eine vorübergehende Unterbrechung der Heimreise vom Urlaub dargestellt, wird ihrer vom LSG festgestellten erheblichen Bedeutung für das von Dr. D. geleitete Unternehmen nicht gerecht. Der betriebsbezogene Charakter, den die unfallbringende Autofahrt hierdurch bekam, war so wesentlich, daß die betriebsfremden Umstände, die sich allerdings bis dahin gleichfalls noch auswirken konnten, in den Hintergrund traten. Der von der Revision angeführte Gesichtspunkt, daß der Rückweg vom Ort einer betriebsfremden Betätigung versicherungsrechtlich ebenso wie der unversicherte Hinweg zu beurteilen ist (BSG 1, 171, 173; 8, 53, 55), kommt bei einem Sachverhalt der hier zu entscheidenden Art. nicht zum Zuge, Denn Dr. D. befand sich im Zeitpunkt des Unfalls eben nicht auf einem „Rückweg” – ein solcher hätte ihn von Lungomare wieder nach Friedrichshafen geführt –, sondern auf dem Wege zur unverzüglichen Wiederaufnahme der Betriebstätigkeit in Mailand. Daß dieser Weg vom Urlaubsort Lungomare – und nicht von Wiesloch oder Friedrichshafen – aus angetreten wurde, ist nach Lage des Falles versicherungsrechtlich unerheblich. Die zu § 543 RVO aF ergangene Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß auch ein nicht von der Wohnung aus angetretener Weg zur Arbeitsstätte unter Versicherungsschutz stehen kann (vgl. SozR RVO § 545 aF Nr. 32, 54), ist mit Recht vom LSG für die Entscheidung dieses Rechtsstreits herangezogen worden. Dabei ist es im vorliegenden Fall insbesondere bedeutsam, daß mit der völligen Lösung vom Betrieb durch den neuntägigen Urlaubszeitraum eine deutliche Zäsur in der Geschäftsreise eingetreten war – eine solche Zäsur muß durchaus nicht, wie die Revision meint, von einer gewissen Regelmäßigkeit sein –, welche die Aufteilung der gesamten Geschäftsreise in zwei getrennte Abschnitte – zunächst bis Friedrichshafen einerseits, dann von Lungomare aus andererseits – nahelegt und nicht etwa den hier völlig unangebrachten Begriff des „Umwegs” zur Diskussion stellt. Ferner hat das LSG zutreffend darauf Gewicht gelegt, daß der Weg von Lungomare nach Mailand hinsichtlich der Entfernung zu den sonst – ohne den Urlaubsaufenthalt – in Betracht zu ziehenden Wegstrecken von Friedrichshafen oder Wiesloch nach Mailand in einem angemessenen, das Unfallrisiko nicht erhöhenden Verhältnis stand. Hätte sich Dr. D. zum Urlaubsaufenthalt eine Gegend ausgesucht, von der aus er Mailand nicht mehr unter ähnlichen Bedingungen erreichen konnte, wäre allerdings dem Standpunkt der Revision beizupflichten gewesen. Unter den hier gegebenen Umständen jedoch hat das LSG mit Recht entschieden, daß der Unfall, dem Dr. D. zum Opfer gefallen ist, ein auf einer Geschäftsreise eingetretener Arbeitsunfall war.

Die Revision der Beklagten muß hiernach als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Brackmann, Dr. Kaiser, Dr. Baresel

 

Fundstellen

NJW 1967, 1247

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