Arbeitsunfall: Sturz auf dem Weg zum Kaffeeautomaten

Beschäftigte, die sich während ihrer Arbeitszeit einen Kaffee an einem Kaffeeautomaten holen, der in einem vom eigentlichen Arbeitsplatz abgetrennten Raum steht, sind unfallversichert.

So sieht es jedenfalls das Hessische LSG, das die Eintrittspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung für den Sturz einer Verwaltungsangestellten während ihrer Arbeitszeit auf dem Weg zum Kaffeeautomaten bejaht hat.

Sturz auf dem Weg zum Kaffeeautomat

Die Mitarbeiterin eines Finanzamtes hatte die Absicht, sich während ihrer Arbeitszeit gegen 15:30 Uhr einen Kaffee am Kaffeeautomaten zu holen. Der Kaffeeautomat befand sich in einem Sozialraum, der kurz zuvor frisch geputzt worden war. Auf dem nassen Boden stürzte die Verwaltungsangestellte und zog sich einen Bruch des 3. Lendenwirbels zu.

Unfallversicherung lehnte Eintrittspflicht ab

Den Antrag der Verwaltungsangestellten auf Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung lehnte die Beklagte ab. Begründung: Ein Arbeitsunfall liege nicht vor. Der Versicherungsschutz ende mit dem Durchschreiten der Kantinentür bzw. in diesem Fall der Tür zum Sozialraum, in dem sich der Kaffeeautomat befand.

Innerer sachlicher Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit erforderlich

Das erstinstanzlich mit der Sache befasste VG verneinte einen Arbeitsunfall und wies die Klage der Verwaltungsangestellten ab. Ihre Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hatte Erfolg. Das LSG bewertete den Vorfall als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Erforderlich hierfür sei, dass die Verrichtung des Versicherten zum Zeitpunkt des Unfalls den Tatbestand einer betrieblichen Tätigkeit erfüllt, d. h. dass ein innerer sachlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit besteht.

Auf die Handlungstendenz kommt es an

Der innere Zusammenhang zwischen Verrichtung und Unfall ist nach der Rechtsprechung wertend zu ermitteln. Die konkrete Verrichtung muss danach innerhalb der Grenze liegen, bis zu welcher der gesetzliche Versicherungsschutz reicht (BSG, Urteil v. 28.6.2022, B 2 U 8/20 R). Maßgeblich ist laut BSG dabei die der konkreten Verrichtung innewohnende Handlungstendenz des Versicherten.

Die Nahrungsaufnahme als solche ist nicht versichert

Außerhalb der, der Verrichtung innewohnenden Handlungstendenz liegt nach der Entscheidung des LSG allerdings die Nahrungsaufnahme des Versicherten als solche (z. B. Verletzung beim Öffnen einer Getränkeflasche). Der allgemeine Schutzzweck des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erstrecke sich grundsätzlich nicht auf die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse wie der Nahrungsaufnahme, die dem privaten, unversicherten Lebensbereich zuzurechnen sei (BSG, Urteil v. 31.3.2022, B 2 U 5/20 R).

Der Weg zur Nahrungsbesorgung für den Verzehr am Arbeitsplatz ist versichert

Zur eigentlichen Nahrungsaufnahme gehört nach der Entscheidung des LSG aber nicht der Weg, der zum Besorgen der Nahrung zurückgelegt werden muss. Das Zurücklegen eines Weges vom Tätigkeitsort zum Ort der Nahrungsaufnahme bzw. zum Zwecke des Besorgens der Nahrung für den Verzehr am Arbeitsplatz sei grundsätzlich versichert und zwar unabhängig davon, ob der Weg auf dem Betriebsgelände zurückgelegt wird oder im öffentlichen Verkehrsraum (BSG, Urteil v. 5.7.2016, B 2 U 5/15 R).

Betriebsort ist mitursächlich für den Weg

Diese Differenzierung beruhe auf dem Gedanken, dass der in einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz (nicht zum Verzehr im privaten häuslichen Bereich) in innerem Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stehe. Begründung: Der Weg zur Nahrungsbesorgung sei in seinem Ausgangs- und Zielort durch die Notwendigkeit geprägt, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein, um dort die geschuldeten Tätigkeiten verrichten zu können.

Versicherungsschutz umfasst Weg zum Getränkeautomaten

Hieraus zieht das VG für den konkreten Fall den Schluss, dass der Weg der Klägerin zu einem Getränkeautomaten, in der Absicht ein Getränk zum Verzehr am Arbeitsplatz zu erwerben, in ausreichendem inneren und sachlichem Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit steht. Dabei ist nach der Entscheidung des LSG nicht zu prüfen, ob der Konsum des Getränks notwendig war, um die Arbeitskraft zur Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit für die verbleibende halbe Arbeitsstunde aufrechtzuerhalten.

Versicherungsschutz endet nicht an der Tür zum Sozialraum

Im Ergebnis hat das LSG mit seiner Entscheidung klargestellt, dass der Unfallversicherungsschutz nicht grundsätzlich an der Tür zu einem Sozialraum oder auch zu einer Kantine endet. Es kommt nach der Entscheidung des LSG vielmehr auf die Beurteilung der Handlungstendenz im Einzelfall und damit auf den inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit an.

Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit und der nicht immer einheitlichen Rechtsprechung zur Frage der Grenzziehung zwischen versicherter und nicht versicherter Tätigkeit hat das LSG die Revision gegen das Urteil zugelassen.

(Hessisches LSG, Urteil v. 7.2.2023, L 3 U 202/21)

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