Leitsatz (amtlich)

1. Bei Prüfung der Frage, ob der Erwerb eines Grundstücks gemäß § 1 des Hessischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur vom 20. Dezember 1957 - GrEStAG - (GVBl, 173) von der Besteuerung ausgenommen ist, ist das FA an die Bescheinigung des Kulturamtes insoweit gebunden, als darin anerkannt ist, daß der Erwerb der Verbesserung der Agrarstruktur dient.

2. Der Erwerb eines solchen Grundstücks muß dem steuerbegünstigten Zweck unmittelbar zu dienen bestimmt sein; ein sogenannter Zwischenerwerb, z. B. als Austauschland, ist nicht gemäß § 1 GrEStAG begünstigt.

 

Normenkette

Hessisches GrEStAG § 1

 

Tatbestand

Der Kläger, dem landwirtschaftliche Grundstücke in den Gemeinden A und O gehörten, erwarb 1959 landwirtschaftliche Grundstücke in den benachbarten Gemarkungen X und V. Unter Vorlage einer Bescheinigung des Kulturamtes beantragte er, den Grundstückserwerb gemäß § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 des Hessischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur vom 20. Dezember 1957 - GrEStAG - (GVBl, 173) von der Besteuerung nach dem GrEStG auszunehmen. Der Beklagte (FA) hielt die Befreiungsvorschrift nicht für anwendbar, weil die Bewirtschaftung der Grundstücke durch den Kläger von der schwiegerelterlichen Hofstelle in L. wegen der großen Entfernung von 12,9 bzw. 14,5 km nicht möglich sein dürfte und weil die Grundstücke im Zwischenerwerb nur als Tauschland gegen Ersatzland in einer Nachbargemeinde von L. dienen sollten. Obwohl das Kulturamt auf Rückfrage des Beklagten seine Bescheinigung aufrechterhielt, setzte der Beklagte, da er sich an die Bescheinigung nicht gebunden hielt, eine Grunderwerbsteuer fest.

Nach erfolglosem Einspruch stellte das FG den Kläger durch Urteil V 657/61 vom 8. Dezember 1964 aus den in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1965 S. 237 wiedergegebenen Gründen von der angeforderten Grunderwerbsteuer frei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Rechtsbeschwerde - jetzt Revision - des Beklagten führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Steuerbefreiung nach dem GrEStAG setzt u. a. voraus, daß der Erwerb des Grundstücks "der Verbesserung der Agrarstruktur" dient (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStAG). Dazu ist eine Bescheinigung des Kulturamts vorzulegen, "aus der ersichtlich ist, daß der Grundstückserwerb der Verbesserung der Agrarstruktur dient". Dem FG ist darin zuzustimmen, daß bei diesem Gesetzeswortlaut die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStAG so lange als erfüllt anzusehen ist, als eine entsprechende Bescheinigung des Kulturamtes vorliegt. Das FA kann also - mangels eines in diesem Punkt eigenen Nachprüfungsrechtes und unbeschadet der Möglichkeit, hierzu über die Dienstaufsichtsbehörden eine andere Entscheidung zu erwirken - nicht von sich aus die Steuerbefreiung deshalb versagen, weil es - entgegen der zuständigen Fachbehörde - meint, der Grundstückserwerb diene nicht der Verbesserung der Agrarstruktur.

§ 2 GrEStAG enthält zwar nicht den ausdrücklichen Zusatz, daß die Bescheinigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verbindlich sei und nicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden und die FG unterliege, wie dies in § 93 Abs. 2 des II. WoBauG für den nach §§ 82, 83 des II. WoBauG zu erteilenden Anerkennungsbescheid vorgeschrieben ist (zum Umfang der Bindungswirkung vgl. die Urteile des BFH II 156/63 und II 92/65 vom 1. August 1967, BFH 89, 540 und 545, BStBl III 1967, 706 und 709). Das ist auch nicht erforderlich. Denn der Anerkennungsbescheid hat die Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigten Wohnungen schlechthin aufgrund mehrerer Komponenten und mit mehrfacher Ausstrahlung zum Inhalt, während die Bescheinigung nach § 2 GrEStAG sich nur auf eine Tatbestandsvoraussetzung eines Steuergesetzes erstreckt.

Die vorstehende Erkenntnis steht nicht in Widerspruch zu der von RFH und BFH vertretenen Auffassung, daß Bescheinigungen (Versicherungen) anderer Behörden die Steuerbehörden in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht binden (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 4 Tz. 2). So hat z. B. im Rahmen des Besteuerungsverfahrens nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GrEStG zwar das FA selbständig zu prüfen, ob ein Austausch von Grundstücken vorliegt, ob es sich um Bauland und um eine bessere Gestaltung von Bauland handelt. Es ist jedoch - insofern verweist der Beklagte zu Unrecht auf das Urteil des BFH II 153/56 vom 16. Dezember 1959, BFH 71, 62, BStBl III 1960, 271 - an die zusätzlich geforderte Katasteramtsbescheinigung insoweit gebunden, als der Grundstücksaustausch objektiv als zweckmäßig bezeichnet wird (BFH 71, 62, 69/70; vgl. auch die Urteile des BFH II 22/64 vom 13. Juni 1967, BFH 89, 314, BStBl III 1967, 632; II 128/64 vom 25. März 1969, BFH 95, 464, BStBl II 1969, 440). Entsprechend hat der Senat zu § 1 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer beim Erwerb von Grundstücken zur Verbesserung der Struktur land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 25. März 1959 (GVBl, 57) - bei zwar etwas anderem Wortlaut, inhaltlich aber vergleichbaren Tatbestandsmerkmalen - entschieden, daß das FA zwar eigenverantwortlich zu prüfen hat, ob es sich um einen Kleinbetrieb (Familienbetrieb) handelt und ob der Erwerber Landwirt im Hauptberuf ist, daß es aber an die Bescheinigung des Kulturamtes insoweit gebunden ist, als darin die Zweckdienlichkeit des Grundstückserwerbs zur Strukturverbesserung (Verbesserung der betriebswirtschaftlichen Verhältnisse) bejaht wird (Urteile des BFH II 40/63 U vom 19. Juni 1963 und II 22/63 U vom 26. Juni 1963, BFH 77, 240 und 245, BStBl III 1963, 406 und 408). Die Frage, ob ein Grundstückserwerb der Verbesserung der Agrarstruktur - im Sinne der "Verbesserung der landwirtschaftlichen Betriebsführung" (vgl. die amtliche Gesetzesbegründung, Hessischer Landtag III. Wahlperiode, Drucksachen Abt. I Nr. 894, S. 2325, 2327) - dient, läßt sich nur nach landwirtschaftlich-betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten von der hierzu berufenen Fachbehörde und in deren Eigenverantwortlichkeit beantworten. Wenn der Beklagte daraus, daß nach Nr. 11 des - die FG ohnehin nicht bindenden - Begleiterlasses des Hessischen Ministers für Finanzen vom 29. Oktober 1959 (Staatsanzeiger 1959 S. 1242) die Kulturamtsbescheinigung den FÄ die Entscheidung (nur) "erleichtern" soll, ableitet, daß ihnen also die Entscheidung auch in diesem Punkt nicht "abgenommen" werde (den FÄ verbleibe), so kann dem nicht gefolgt werden.

2. Die Bindungswirkung ist auf das Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStAG beschränkt. Die weitere Frage, ob der Grundstückserwerb unmittelbar dem begünstigten Zweck zu dienen bestimmt sein muß oder ob mittelbar auch ein Zwischenerwerb begünstigt sein soll, ist eine steuerrechtliche, aus dem jeweiligen Steuergesetz durch die Finanzverwaltung bzw. die FG zu beantwortende Frage (Urteil des BFH II 143/51 S vom 2. April 1952, BFH 56, 344, BStBl III 1952, 134). Zwar kann - wie das FG am Ende seiner Entscheidung ausführt - auch ein Zwischenerwerb letztlich der Verbesserung der Agrarstruktur dienen, wenn er dazu dienen soll, das erworbene Grundstück gegen ein anderes, betrieblich besser zu bewirtschaftendes Grundstück - etwa im Rahmen eines Flurbereinigungs- oder Aussiedlungsverfahrens - auszutauschen. Darum geht es aber nicht. Darüber besagt auch die Bescheinigung des Kulturamtes nichts, die nur im Blick auf den Kläger als "Landwirt mit Hofreite der Schwiegereltern" ausgestellt ist. Vielmehr ist zu entscheiden, ob ein solcher Zwischenerwerb noch unter das GrEStAG fällt.

Das FG bejaht dies: § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStAG "könne" als erfüllt angesehen werden, da hier nicht gefordert werde, daß das erworbene Grundstück weiterhin unmittelbar gerade dem Betrieb des Erwerbers dienen müsse. Das FG beruft sich dabei auf Nr. 14 Abs. 2 des oben angeführten Erlasses des Hessischen Ministers der Finanzen vom 29. Oktober 1959. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Verwaltungsanordnung - wie der Beklagte meint - nur für Fälle gedacht ist, in denen ein ursprünglich steuerfrei (im Sinne der Verwendung im eigenen Betrieb) erworbenes Grundstück aus betriebswirtschaftlichen Gründen gegen ein anderes land- und forstwirtschaftliches Grundstück ausgetauscht wird. Auch der zweite Satz des Abs. 2 der Nr. 14 des oben angeführten Erlasses, wonach die Steuerbefreiung trotz Verkaufs eines solchen Grundstücks mit nachfolgendem Ersatzerwerb innerhalb von drei Jahren nicht entfällt, ist durch den Wortlaut des Gesetzes selbst nicht belegt.

Bei der Grunderwerbsteuer bildet jeder Erwerbsvorgang für sich einen in sich abgeschlossenen Steuerfall, dessen gesetzliche Tatbestandsmerkmale - also auch hinsichtlich des jeweiligen Befreiungstatbestandes - je für sich gesondert zu würdigen sind. Deshalb sind Befreiungsvorschriften verschiedener Art regelmäßig nur anwendbar, wenn der durch sie begünstigte Zweck durch den Erwerbsvorgang unmittelbar erfüllt wird, so z. B. beim Grundstückserwerb für Straßenzwecke (wie schon zu § 8 Nr. 10 GrEStG 1919/1927 Urteil des RFH II A 530/28 vom 20. November 1928, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Nr. 10 Satz 1, Rechtsspruch 28; zu § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG 1940; BFH-Entscheidung II 154/58 U vom 14. Juni 1961, BFH 73, 477, BStBl III 1961, 440; BFH-Entscheidung II 30/62 U vom 14. April 1965, BFH 82, 478, BStBl III 1965, 420), zur Durchführung wasserwirtschaftlicher Aufgaben (§ 40 der Ersten Wasserverbandsverordnung vom 3. September 1937; BFH-Entscheidung II 21/52 S vom 2. April 1952, BFH 56, 340; BStBl III 1952, 133) oder eines Siedlungsverfahrens bzw. zur besseren Bewirtschaftung (§ 29 des Reichssiedlungsgesetzes, § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GrEStG 1940, BFH-Entscheidungen II 201/51 S vom 2. November 1951, BFH 55, 578, BStBl III 1951, 234; II 30/59 U vom 14. Dezember 1960, BFH 72, 281, BStBl III 1961, 105; II 135/62 vom 16. Februar 1966, BFH 85, 298, BStBl III 1966, 318). In Fällen dieser Art konnte der Erwerb von Grundstücken, die nur als Tauschland mittelbar-vorbereitend dem Endzweck dienen sollten, nicht befreit werden (vgl. auch Boruttau-Klein, a. a. O., § 4 Tz. 112). Sollen auch solche Zwischenerwerbe von der Besteuerung ausgenommen werden, so bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Befreiung, wie dies z. B. für das Land Hessen durch § 1 Abs. 1 Nrn. 5 bis 7 des Zweiten Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau 1958 (vgl. jetzt § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. e bis g des Hessischen Grunderwerbsteuergesetzes 1965) geschehen ist (vgl. auch Boruttau-Klein, a. a. O., § 4 Tz. 24, 25, Anhang Tz. 83, 86).

Daß auch das GrEStAG - entgegen der Meinung des FG - von diesen Regelgrundsätzen ausgeht, zeigt sich nicht nur im Fehlen einer sogenannte Zwischenerwerbe ausdrücklich einschließenden Vergünstigungsvorschrift, sondern mehr noch aus dem erforderlichen Zusammenhalt der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 mit Nr. 4 GrEStAG: Danach muß das Grundstück zu einem (bestimmten) landwirtschaftlichen Betrieb hinzuerworben werden und "auch weiterhin" land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken dienen, bei unbefangener Betrachtung und vom Sinn des Aufstockungserwerbs her also: des Betriebs, zu dem das Grundstück hinzuerworben worden ist. Wird ein Grundstück als Austauschland erworben, so dient es in diesem Sinne nicht weiterhin land- und forstwirtschaftlichen, sondern Tauschzwecken. Dient der Tausch Siedlungs- oder Flurbereinigungszwecken, so kommt gegebenenfalls eine Befreiung nach den hierfür vorgesehenen Vergünstigungsvorschriften (vgl. Boruttau-Klein, a. a. O., § 4 Tz. 68, Anhang Tz. 220, 239, 304) in Betracht, nicht aber nach dem GrEStAG. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, daß bei der Auffassung des FG auch eine nicht begrenzte Kette von (frei vereinbarten) Zwischenerwerben freigestellt werden müßte, wenn nur der letzte Erwerb die Voraussetzungen des GrEStAG erfüllt, dies - so ist zu ergänzen - auch ohne Erfüllung etwa der besonderen Voraussetzungen für begünstigte Siedlungs- oder Flurbereinigungsmaßnahmen.

3. Die Sache ist nicht spruchreif.

Der Kläger, der durch die Vorentscheidung nicht beschwert ist, hat nicht erst in der Revisionsinstanz, sondern bereits vor dem FA und FG geltend gemacht, daß er die erworbenen Grundstücke ursprünglich habe selbst bewirtschaften wollen. Auch die Bescheinigung des Kulturamtes ist in diesem Sinn ausgestellt. Der Beklagte selbst hat noch in der Revision ausgeführt, der Kläger habe offensichtlich ursprünglich die Ländereien gekauft, um sie an Ort und Stelle zu bewirtschaften. Er sei erst später vom Kulturamt zum Tausch veranlaßt worden. Nach § 3 GrEStAG entfällt die Steuerbefreiung erst, wenn das Grundstück binnen fünf Jahren ab Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung anderen als land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken zugeführt wird. Das FG hat unter diesen Blickpunkten eindeutige Feststellungen nicht getroffen und brauchte dies aus seiner Sicht auch nicht.

Das FG wird nach entsprechender weiterer Aufklärung des Sachverhaltes unter Beachtung der obigen Rechtsausführungen die Sache erneut zu überprüfen und entscheiden haben.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 627

BFHE 1970, 258

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