Leitsatz (amtlich)

Für die einem Steuerbescheid beizufügende Rechtsbehelfsbelehrung genügt regelmäßig die Angabe der amtlichen Bezeichnung des FA und der Gemeinde, in der es seinen Sitz hat. Die Angabe der vollen postalischen Anschrift (einschl. Straße und Hausnummer) ist regelmäßig nicht erforderlich.

 

Normenkette

AO § 237 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde mit Bescheid vom 17. Februar 1971 zur Einkommensteuer 1969 veranlagt. Dabei wurden Diätkosten für die Ehefrau des Klägers nicht anerkannt, da eine ärztliche Bescheinigung nicht vorlag. Der Bescheid ist auf einer EDV-Anlage erstellt und enthält auf der Rückseite eine vorgedruckte Rechtsmittelbelehrung, die u. a. wie folgt lautet: "Die Rechtsbehelfe sind bei dem umseitig bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären." Auf der Vorderseite des Bescheids ist oben links ausgedruckt: "FINANZAMT DDORF-METTM" und rechts oben: "DUESSELDORF". Der Bescheid wurde am 17. Februar 1971 zur Post gegeben. Der Einspruch ging am 29. März 1971 bei dem Beklagten und Revisionskläger (FA) ein. Das Einspruchsschreiben trägt das Datum 23. März 1971 und ist adressiert: "An das Finanzamt Düsseldorf-Mettmann, Steuernummer X, 4 Düsseldorf, Harkortstraße."

Auf den Hinweis des FA, daß der Einspruch verspätet sei und daß bei unverschuldeter Fristversäumung Nachsicht gewährt werden könne, teilte der Kläger mit, er habe in der Zeit vom 8. bis 22. März 1971 eine berufliche Reise nach England unternommen; am 23. März habe er den Einspruch erhoben; warum der Brief erst am 29. März in die Hände des FA gelangt sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Das FA hat darauf den Einspruch als unzulässig verworfen.

Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er habe den Bescheid in der Zeit vor seiner Reise, also zwischen dem 17. Februar und 7. März 1971, nicht erhalten. Auf die Klage hob das FG die Einspruchsentscheidung auf. Es führte in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 85 (EFG 1974, 85) veröffentlichten Entscheidung aus, der Einspruch sei nicht verspätet erhoben, da wegen der Unvollständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 AO die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei. Vom Standpunkt eines objektiven Betrachters sei aus der gewählten Abkürzung nicht zweifelsfrei zu erkennen, welches FA gemeint sei und wo der Sitz der Behörde sei. Der Schutzcharakter der Bestimmung erfordere die Angabe der Anschrift.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage als unzulässig abzuweisen. Es trägt vor: Die gewählte Abkürzung kennzeichne mit hinreichender Bestimmtheit die Behörde, die den angefochtenen Steuerbescheid erlassen habe. Die Kurzform "DDORF" sei im postalischen Bereich üblich und unmißverständlich. Das gelte auch für den Anhang "METTM". der zur Unterscheidung der Behörde von den übrigen drei Düsseldorfer FÄ beigefügt sei. Der Sitz der Behörde müsse so genau bezeichnet sein, daß eine reibungslose Postzustellung gewährleistet sei. Die Straßenangabe sei nur zu verlangen, wenn Verwechslungsmöglichkeiten bestehen. Bei einer Verspätung wegen fehlender Anschrift müsse durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geholfen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.

Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO beginnt die Einspruchsfrist nur dann vom Zeitpunkt der Zustellung des Steuerbescheids zu laufen, wenn der Steuerpflichtige u. a. über die Behörde, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist, und deren Sitz schriftlich belehrt worden ist (ebenso § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO für den Beginn der Klagefrist). Sinn der Vorschrift ist es, für den Steuerpflichtigen den Eintritt eines Rechtsbehelfsverlustes zu verhindern, der sich aus der Unkenntnis über die einzuhaltenden Verfahrensvorschriften ergeben könnte (vgl. v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 52. Lfg., Anm. 4 zu § 237 AO). Daraus folgt, daß eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung die Behörde und deren Sitz so genau bezeichnen muß, daß der Rechtsbehelf dort fristgerecht angebracht werden kann (§ 238 Abs. 2 AO). Zur Bezeichnung der Behörde ist regelmäßig die Angabe der amtlichen Bezeichnung des FA erforderlich und ausreichend. Soweit Abkürzungen verwendet werden, müssen diese aus sich heraus verständlich oder allgemein gebräuchlich sein. Als Sitz der Behörde ist der geographische Ort anzugeben, an dem die Behörde räumlich untergebracht ist (vgl. Urteil des BVerwG vom 9. November 1966 V C 196.65, BVerwGE 25, 261).

Im Streitfall hat der Senat keine Zweifel, daß durch die Abkürzung "DDORF-METTM" das FA unmißverständlich bezeichnet worden ist, da diese Abkürzung schon aus sich heraus verständlich ist, zumindest aber bei dem in Betracht kommenden Adressatenkreis als bekannt vorausgesetzt werden kann. Der Kläger selbst hat in dem gesamten Verfahren niemals behauptet, daß er der Abkürzung eine andere Bedeutung beigemessen hätte.

Die Angabe von Straße und Hausnummer ist für die Rechtsbehelfsbelehrung ausdrücklich nicht vorgeschrieben. Eine dahin gehende Verpflichtung ergibt sich nicht daraus, daß über den Sitz der Behörde zu belehren ist. Der Sitz der Behörde ist der Ort, an dem sich der räumliche Mittelpunkt der Verwaltung befindet. Wie das BVerwG (a. a. O.) zu Recht bemerkt, hat der Begriff des Sitzes in gesetzlichen Bestimmungen diese Bedeutung und wird nicht in Verbindung mit der postalischen Anschrift verwendet. In Rechtsprechung und Literatur wird dagegen die Auffassung vertreten, daß die Angabe der Anschrift zur Bestimmung des Sitzes der Behörde dann erforderlich sein kann, wenn eine Verwechslungsgefahr besteht oder postalische Schwierigkeiten bei der Zustellung der Rechtsbehelfsschrift zu befürchten sind (vgl. Beschluß des BFH vom 27. März 1968 VII R 21-22/67, BFHE 92, 307, BStBl II 1968, 535; v. Wallis/List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., 61. Lfg., Anm. 13 zu § 55 FGO; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., 1974, Rdnr. 9 zu § 58; Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., Rdnr. 7 zu § 58; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung. 2. Aufl., 1964, Anm. C 1 a zu § 58; weitergehend Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 17. Lfg., Anm. 6 zu § 55 FGO, die eine Angabe der Anschrift in allen Fällen für erforderlich halten). Der Senat läßt es dahingestellt, ob im Einzelfall zur Sicherung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes eine solche Auslegung geboten sein kann. Bei FÄ ist eine dementsprechende Erweiterung der Belehrungspflicht regelmäßig nicht erforderlich. Die Publizität der Ämter in ihrem Zuständigkeitsbereich ist so groß, daß die genaue Anschrift, vor allem bei dem zuständigen Zustellungspostamt, als bekannt vorausgesetzt werden kann oder zumindest aus allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen (Adreßbuch, Telefonbuch) ohne Schwierigkeiten festzustellen ist. Somit sind weder Verzögerungen bei der Postzustellung zu befürchten noch ist der Steuerpflichtige ernsthaft gehindert, die Behörde zur Anbringung seines Rechtsbehelfs persönlich aufzusuchen. Soweit ein Steuerpflichtiger im Einzelfall die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist mit der fehlenden Adressenangabe begründet, kann seinem Vorbringen gegebenenfalls durch Nachsichtgewährung (§ 86 AO) Rechnung getragen werden. Der Sitz der Behörde, Düsseldorf, ist im Bescheid gesondert angegeben. Damit sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine ordnungsmäßige Rechtsbehelfsbelehrung auch insoweit erfüllt.

Die Vorentscheidung, die ausschließlich darauf abstellt, daß die Einspruchsfrist nicht zu laufen begonnen habe und der Einspruch deshalb rechtzeitig eingelegt worden sei, kann mit dieser Begründung keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Das FG hat keine Feststellungen getroffen, wann der Einkommensteuerbescheid 1969 dem Kläger zugegangen ist. Es hat sich insbesondere nicht mit der Behauptung des Klägers auseinandergesetzt, daß der am 17. Februar 1971 zur Post gegebene Bescheid erst zwischen dem 8. und 22. März 1971 bei ihm eingetroffen sei. Die Streitsache wird deshalb nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen, damit es die erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Das FG wird im zweiten Rechtsgang gegebenenfalls auch zu prüfen haben, ob es nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 16. Dezember 1968 GrS 3/68 (BFHE 94, 436, BStBl II 1969, 192) etwa gehalten ist, abschließend über den Streitfall zu entscheiden.

 

Fundstellen

BStBl II 1976, 477

BFHE 1976, 417

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