Leitsatz (amtlich)

Landwirtschaftlich genutzter Grund und Boden ist als Grundvermögen zu bewerten, wenn nach den Verhältnissen des maßgebenden Feststellungszeitpunkts anzunehmen ist, daß er innerhalb von sechs Jahren anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werde.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 51 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte war am 1. Januar 1966 Eigentümer des Grundbesitzes in A. Für diesen Grundbesitz, der im Dorfkern zwischen bebauten Grundstücken gelegen ist, waren zuletzt zum 1. Januar 1957 ein Einheitswert von 17 000 DM und die Art "unbebautes Grundstück" festgestellt worden.

Der Kläger hatte den gesamten Grundbesitz seit 1959 zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet. Nach dem Stand der vorbereitenden Bauleitplanung von 1966 sollte die Grundfläche zu 40 v. H. als Dorfgebiet und zu 60 v. H. als landwirtschaftlich zu nutzende Fläche ausgewiesen werden. Der Kläger beantragte deshalb mit Schreiben vom 18. Juli 1966 eine Artfortschreibung durchzuführen und den Grundbesitz als landwirtschaftliches Vermögen zu bewerten.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte die Artfortschreibung ab. Der Einspruch gegen den ablehnenden Bescheid hatte keinen Erfolg.

Auf die Klage hob das FG den ablehnenden Bescheid des FA und dessen Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Grundbesitz des Klägers zum 1. Januar 1966 als landwirtschaftliches Vermögen zu bewerten.

Die Revision des FA rügt, die Entscheidung des FG verletze dadurch § 51 Abs. 2 BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG), daß sie unter einer absehbaren Zeit im Sinn dieser Vorschrift einen Zeitraum von nur 1-3 Jahren verstanden habe. Hinzu komme, daß das FG selbst bei seiner Auslegung zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, bezüglich des Grundstücks des Klägers sei anzunehmen gewesen, es werde in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen, denn das Grundstück sei eine Baulücke im bebauten Dorfkern gewesen.

Das FA beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben.

1. Das FG hat unangefochten festgestellt, daß der Grund und Boden des Klägers am 1. Januar 1966 zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet war. Landwirtschaftlich genutzter Grundbesitz ist aber trotz seiner Nutzung als Grundvermögen zu bewerten, wenn am Feststellungszeitpunkt nach seiner Lage und den sonstigen Verhältnissen, insbesondere mit Rücksicht auf die bestehenden Verwertungsmöglichkeiten, anzunehmen ist, daß er in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werde (§ 51 Abs. 2 BewG). Das FG hat als absehbare Zeit im Sinn dieser Vorschrift einen Zeitraum von ein bis drei Jahren angesehen und festgestellt, am 1. Januar 1966 sei nicht anzunehmen gewesen, daß der Grundbesitz des Klägers innerhalb dieser Zeit für andere als landwirtschaftliche Zwecke verwendet werden würde. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "in absehbarer Zeit" durch das FG beruht auf einem Rechtsirrtum.

Nach § 51 Abs. 3 BewG konnten landwirtschaftlich genutzte Flächen, die zu einem Erbhof gehörten, nur dann dem Grundvermögen zugerechnet werden, wenn im Feststellungszeitpunkt mit Sicherheit anzunehmen war, daß sie spätestens nach zwei Jahren anderen als land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen werden. Diese Vorschrift berücksichtigte, daß der Eigentümer eines Erbhofs in der Verfügung über die zu diesem Hof gehörenden Flächen stark beschränkt war. Er sollte deshalb davor geschützt werden, daß die zu seinem Hof gehörenden Flächen vorzeitig als Grundvermögen bewertet werden (vgl. Begründung zum Reichsbewertungsgesetz - RBewG -, RStBl 1935, 161 [172]). § 51 Abs. 3 BewG enthält deshalb eine Verschärfung der Voraussetzungen des Abs. 2 für die Zurechnung landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens zum Grundvermögen. Diese Verschärfung liegt zum einen darin, daß die Annahme einer zukünftigen anderweitigen Nutzung für die Artänderung allein nicht genügte, sondern es mußte hinzukommen, daß diese Annahme nach den tatsächlichen Verhältnissen "mit Sicherheit" gerechtfertigt war. Zum anderen ergibt sich die Verschärfung daraus, daß die Nutzungsänderung nicht erst in absehbarer Zeit, sondern spätestens nach zwei Jahren eintreten mußte. Wenn aber der Gesetzgeber unter anderem mit der Festlegung eines Zeitraumes von zwei Jahren eine Verschärfung der im übrigen notwendigen Erfordernisse für die Zurechnung landwirtschaftlich genutzter Flächen zum Grundvermögen erreichen wollte, dann kann der in § 51 Abs. 2 BewG verwendete unbestimmte Rechtsbegriff "in absehbarer Zeit" nicht dahin ausgelegt werden, daß er einem Zeitraum von ein bis drei Jahren entspreche; die kürzeste Zeitgrenze muß dann zumindest bei einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren liegen.

2. Unter einer absehbaren Zeit ist rein sprachlich ein Zeitraum zu verstehen, für den die Entwicklung mit einiger Wahrscheinlichkeit übersehen werden kann. Der RFH hat in seinem Urteil III 322/37 vom 27. Juli 1938 (RStBl 1938, 1157) die absehbare Zeit einem Hauptfeststellungszeitraum gleichgesetzt. Der Senat ist der Auffassung, daß es dem Wortsinn des § 51 Abs. 2 BewG gerecht wird, als absehbare Zeit grundsätzlich diesen Zeitraum von sechs Jahren zu verstehen. Dies ergibt sich daraus, daß die Einheitswerte des Grundbesitzes in Zeitabständen von je sechs Jahren allgemein festgestellt werden (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG). Die im Rahmen einer Hauptfeststellung ergehenden Einheitswertbescheide sind damit in der Regel für sechs Jahre Besteuerungsgrundlage. Der Senat ist deshalb der Auffassung, daß es dem Wortlaut des § 51 Abs. 2 BewG unter Berücksichtigung dieses Sinnzusammenhangs, der bei der Auslegung zu berücksichtigen ist, entspricht, als absehbare Zeit im Sinn dieser Vorschrift grundsätzlich einen Zeitraum bis zu sechs Jahren zu verstehen. Änderungen in der Art des Grund und Bodens, die außerhalb dieses Zeitraums zu erwarten sind, können bei der nächstfolgenden Hauptfeststellung berücksichtigt werden. Das bedeutet, daß landwirtschaftlich genutzter Grundbesitz dann als Grundvermögen zu bewerten ist, wenn nach den Verhältnissen des jeweiligen Feststellungszeitpunkts anzunehmen ist, er werde spätestens innerhalb von sechs Jahren anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen. Diese Annahme erfordert nicht, daß eine zukünftige anderweitige Nutzung nach den Verhältnissen des maßgebenden Feststellungszeitpunkts sicher feststeht, sondern daß sie mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das wird immer dann der Fall sein, wenn nach der baulichen Entwicklung des anschließenden Geländes der zu bewertende Grund und Boden sich geradezu als Bauland oder Industrieland anbietet und die Bauplanung dieser Nutzung nicht entgegensteht.

Diese verhältnismäßig starre Festlegung der absehbaren Zeit im Sinn des § 51 Abs. 2 BewG berücksichtigt, worauf der RFH schon hingewiesen hat, daß bei der Dehnbarkeit des Begriffes ohne eine feste Zeitbestimmung eine unterschiedliche Handhabung durch die Finanzverwaltung nicht zu vermeiden wäre. Die zeitmäßige Festlegung entspricht damit dem Bedürfnis der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie wird der Rechtsprechung des BVerfG gerecht. Danach liegt es in der Natur der Tätigkeit höherer Gerichte, bei der Entscheidung von Einzelfällen das Grundsätzliche zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze hervorzuheben, an die die unteren Gerichte und die Verwaltungsbehörden sich bei der Behandlung gleichartiger Fälle künftig halten können. Mit der Aufstellung derartiger Rechtsgrundsätze greifen die obersten Gerichte nicht in die Gesetzgebung ein, sondern sie dienen durch Erfüllung einer legitimen richterlichen Aufgabe der Einheit des Rechts (BVerfGE 18, 224 [237]).

Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "in absehbarer Zeit" durch den Senat steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH auf dem Gebiet der Enteignungsentschädigung. Der BGH vertritt insoweit die Auffassung, die Enteignungsentschädigung für ein Grundstück sei ein Äquivalent für die Wegnahme des Grundstücks. Sie müsse deshalb dem gemeinen Wert des Grundstücks unter Berücksichtigung des Zustandes entsprechen, in dem sich das Grundstück im Zeitpunkt der Enteignung qualitätsmäßig darstelle. Der Grundstücksverkehr berücksichtige aber im Preis, wenn bei einem Grundstück, das zwar noch nicht Bauland sei, die Bebauung in absehbarer Zeit zu erwarten sei. Der BGH lehnte es ab, diese absehbare Zeit starr auf sechs Jahre zu begrenzen, weil dies mit Art. 14 GG unvereinbar sei (BGHZ 39, 198 [209]).

Die steuerliche Bewertung führt weder zu einer Enteignung noch zu einem enteignungsgleichen Eingriff, so daß die vom BGH aus Art. 14 GG abgeleiteten Rechtsgrundsätze hier keine Bedeutung haben. Das BVerfG hat überdies anerkannt, daß die Besteuerung in der Regel an Massenvorgänge des Wirtschaftslebens anknüpfe und deshalb, um praktikabel zu sein, Sachverhalte typisieren müsse (BVerfGE 21, 12 [27], BStBl III 1967, 7 [11]). Dies trifft auf die Einheitsbewertung des Grundbesitzes in besonderem Maße zu.

3. Das FG hat bei der Anwendung des § 51 Abs. 2 BewG auf den vorliegenden Fall eine andere Rechtsauffassung vertreten. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Das FG hat unangefochten und damit für den Senat verbindlich festgestellt, der Grundbesitz des Klägers liege im Dorfkern zwischen bebauten Grundstücken; er sei in dem am 1. Januar 1966 gültigen Baunutzungsplan mit Bauklasse II/2 ausgewiesen gewesen. Das unbebaute Grundstück des Klägers bildet somit im Ortskern eine Baulücke.

Der Senat hat mit Urteil III 219/60 U vom 28. Juli 1961 (BFH 73, 419, BStBl III 1961, 420) entschieden und hält daran fest, daß ein Grundstück, das nach seiner Lage innerhalb einer Wohnsiedlung und nach den sonstigen Verhältnissen als Bauland in Betracht kommt, nicht deshalb dem landwirtschaftlichen Vermögen zugerechnet werden kann, weil der Eigentümer es zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtet hat. Damit ist der Antrag des Klägers, die Artfortschreibung für seinen Grundbesitz vom Grundvermögen zum landwirtschaftlichen Vermögen durchzuführen, nicht begründet. Denn auf Grund der Lage des Grundstücks ist anzunehmen, daß es ab dem 1. Januar 1966 innerhalb von sechs Jahren anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werde. Die Klage war deshalb abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425955

BStBl II 1972, 849

BFHE 1972, 464

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