Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Sachaufklärungspflicht des FG in einem Rechtsstreit über die Bewertung eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks als Grundvermögen

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Zurechnung land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen zum Grundvermögen wegen zukünftiger Nutzungs änderung genügt es, daß die Änderung der Nutzung mit einiger Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu erwarten ist.

2. Das FG verletzt die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht, wenn es in einem Rechtsstreit über die Umbewertung eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks in Grundvermögen dem Beweisantrag des Klägers, zur Frage der Bebaubarkeit des Grundstücks in den nächsten Jahren eine Auskunft der Stadt einzuholen, nicht entspricht, obwohl es hierauf für die Entscheidung ankommt.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1 S. 1; BewG § 69 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war am Bewertungsstichtag 1. Januar 1986 Eigentümerin eines X qm großen, am Westrand der Stadt Z (Stadt) belegenen Grundstücks, das der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) auf den 1. Januar 1980 einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zugeordnet hatte.

Das einem Landwirt zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachtete Grundstück liegt in einem Gebiet, das seit 1984 durch rechtskräftigen Bebauungsplan als reines Wohngebiet mit Ein- und Zweifamilienhäusern ausgewiesen ist. Bei dem Grundstück handelt es sich um eine Resteinwurfsfläche, für die zu einem späteren Zeitpunkt Baugrundstücke zuzuteilen sind. Mit Schreiben vom 19. Februar 1988 bestätigte die Stadt der Klägerin, daß in der mittelfristigen Finanzplanung der Stadt für die Jahre 1988 bis 1992 nach dem derzeitigen Stand keine Mittel für die weitere Erschließung des Baugebiets eingesetzt seien und daß eine Zuteilung weiterer Baugrundstücke daher vor erst nicht absehbar sei. Das Grundstück der Klägerin grenzt mit seiner Südseite an einen unbefestigten, 10 bis 15 Meter breiten Weg, hinter dem sich eine Kleingartenanlage befindet. Im Westen und Norden des Grundstücks liegt freies Feld. Von Osten her führt eine Straße bis an das Grundstück der Klägerin heran. In dieser Straße stehen Kanalisations- und Abwasserschächte unmittelbar an der Grenze zum Grundstück. Die Asphaltdecke der Straße ist bis ca. 35 m von der Grundstücksgrenze entfernt fertiggestellt. Östlich des Grundstücks standen in einer Entfernung von 100 bis 200 m mehrere fertige und teilfertige Neubauten. Der Richtwert für dieses im Osten gelegene Gebiet wurde zum 1. Januar 1986 auf ... DM einschließlich Erschließung festgestellt.

Mit Bescheid vom 24. September 1986 bewertete das FA im Wege der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1986 das Grundstück der Klägerin gemäß § 69 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) als Grundvermögen, da anzunehmen sei, daß es in absehbarer Zeit anderen als landwirtschaftlichen Zwecken dienen werde. Der Einspruch der Klägerin hatte nur insoweit Erfolg, als das FA den Einheitswert auf ... DM herabsetzte und den Grundsteuermeßbetrag entsprechend ermäßigte.

Mit der Klage beantragte die Klägerin die ersatzlose Aufhebung des Einheitswertbescheids sowie des Grundsteuermeßbescheids auf den 1. Januar 1986, da das Grundstück trotz des Bebauungsplans in absehbarer Zeit nicht bebaut werden und zu keinen anderen als landwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden könne.

Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 1990 dem Finanzgericht (FG) überreichten Schriftsatz vom gleichen Tage machte die Klägerin geltend, daß sie im September 1989 das Grundstück zu einem Preis von ... DM/qm an die Stadt verkauft habe. Die Stadt habe zur Fortführung des Umlegungsverfahrens dringend landwirtschaftliche Tauschfläche benötigt; dabei sei der Kaufpreis auf der Grundlage eines qm-Preises für baureifes Gelände von ... DM/qm, einem Zinssatz von 5,5 v. H. und der Annahme errechnet worden, daß der veräußerte Grundbesitz in den nächsten 20 Jahren nicht bebaut werden könne. Zum Beweis hierfür bot die Klägerin die Einholung einer Auskunft der Stadt an.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG vertrat die Auffassung, daß das Grundstück der Klägerin gemäß § 69 Abs. 1 BewG dem Grundvermögen zuzurechnen sei. Am 1. Januar 1986 sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, daß das Grundstück innerhalb eines Zeitraums von etwa sechs Jahren als Bauland dienen werde.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 69 Abs. 1 BewG) sowie die Verletzung formellen Rechts wegen unterlassener Beweiserhebung und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Klage stattzu geben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Das angefochtene Urteil beruht hinsichtlich der Bewertung des Grundstücks der Klägerin als Grundvermögen auf Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO. Denn das FG hat die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht dadurch verletzt, daß es dem Beweisantrag der Klägerin, bei der Stadt eine Auskunft über die Bebaubarkeit des Grundstücks "in den nächsten 20 Jahren" einzuholen, nicht entsprochen hat, obwohl Anlaß bestand, diese Frage aufzuklären. Das FG darf eine beantragte Beweisaufnahme grundsätzlich nur unterlassen, wenn die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, entweder nicht entscheidungserheblich sind oder das FG die betreffenden Tatsachenbehauptungen als wahr unterstellt oder das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 76 Rz. 24 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Das FG durfte nicht von der von der Klägerin mit Übergabe des Schriftsatzes vom 27. August 1990 in der mündlichen Verhandlung beantragten Einholung einer Auskunft der Stadt absehen. Denn die Frage der Bebaubarkeit des Grundstücks, zu deren Beweis die Klägerin die Einholung der Auskunft gefordert hatte, ist entscheidungserheblich. Die Klägerin hatte auch weder ausdrücklich noch stillschweigend auf die beantragte Einholung der Auskunft verzichtet.

2. Nach § 69 Abs. 1 BewG sind land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen dem Grundvermögen zuzurechnen, wenn nach ihrer Lage, den im Feststellungszeitpunkt bestehenden Verwertungsmöglichkeiten oder den sonstigen Umständen anzunehmen ist, daß sie in absehbarer Zeit anderen als land- und forstwirtschaftlichen Zweken, insbesondere als Bauland, Industrieland oder Land für Verkehrszwecke, dienen werden.

Wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, braucht die anderweitige Verwendung nicht sicher festzustehen. Es genügt vielmehr, daß die Änderung der Nutzung mit einiger Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu erwarten ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. August 1972 III R 47/72, BFHE 106, 464, BStBl II 1972, 849). Dabei ist für den Begriff der "absehbaren Zeit" nach ständiger Rechtsprechung in Anlehnung an die in § 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG vorgesehene Dauer des Hauptfeststellungszeitraums ein Zeitraum von sechs Jahren nach den Verhältnissen des maßgebenden Feststellungszeitpunkts als angemessen anzusehen (s. BFH-Urteil vom 18. Juli 1984 III R 45/81, BFHE 141, 550, BStBl II 1984, 744 m. w. N.).

Für den Streitfall kommt es mithin entscheidend darauf an, ob nach den Verhältnissen vom 1. Januar 1986 mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, daß das Grundstück der Klägerin innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren als Bauland dienen wird. Dafür sprechen zwar zunächst die von der Vorinstanz herangezogenen Umstände, daß das Grundstück der Klägerin in einem Gebiet liegt, das durch einen bestandskräftigen Bebauungsplan seit 1984 als Wohngebiet für die Bebauung mit Ein- und Zweifamilienhäusern ausgewiesen ist, und daß eine asphaltierte Straße mit Kanalisations- und Abwasserschächten bis dicht an das Grundstück herangeführt worden war. Doch schließt das nicht aus, daß das Grundstück der Klägerin nach den planerischen Vorstellungen der Stadt am Bewertungsstichtag in den nächsten Jahren nicht würde bebaut werden können, weil es nach wie vor -- z. B. als Tauschfläche -- landwirtschaftlich genutzt werden sollte. Da die Klägerin zum Beweis der auf absehbare Zeit als wahrscheinlich fortbestehenden landwirtschaftlichen Nutzung die Einholung einer Auskunft der Stadt angeboten hatte, hätte das FG, nachdem es die von ihm selbst als entscheidungserheblich angesehene Tatsache nicht als wahr unterstellte, den angebotenen Beweis erheben müssen. Dies war um so mehr geboten, als die Stadt der Klägerin mit Schreiben vom 19. Februar 1988 bestätigt hatte, daß in der mittelfristigen Finanzplanung der Stadt für die Jahre 1988 bis 1992 im derzeitigen Stand keine Mittel für die weitere Erschließung des Baugebietes eingesetzt seien, eine Zuteilung weiterer Baugrundstücke daher vorerst nicht absehbar sei.

Erweist sich aufgrund der von der Stadt einzuholenden Auskunft die Behauptung der Klägerin als zutreffend, daß auch aus der Sicht des Stichtags 1. Januar 1986 eine Bebauung des Grundstücks der Klägerin in absehbarer Zeit ausgeschlossen, zumindest aber nicht als wahrscheinlich zu erwarten sei, entfiele eine Bewertung des Grundstücks der Klägerin als Grundvermögen nach § 69 Abs. 1 BewG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420327

BFH/NV 1995, 286

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