Leitsatz (amtlich)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob zur Gewährung der Vergünstigungen des § 2 des Ausführungsgesetzes Grenzgänger Niederlande vom 21. Oktober 1980 (BGBl I 1980, 1999, BStBl I 1980, 725) bei der Berechnung, daß mindestens 90 v. H. der Einkünfte der in den Niederlanden ansässigen, aber in der Bundesrepublik tätigen Arbeitnehmer der deutschen Einkommensteuer unterliegen, der Verlust aus der Nutzung der Wohnung im eigenen – in den Niederlanden gelegenen – Einfamilienhaus außer Betracht bleibt.

 

Normenkette

AGGrenzgNL § 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) und seine Ehefrau sind niederländische Staatsangehörige. Sie wohnen zusammen mit ihren drei in den Jahren 1974, 1975 und 1978 geborenen Kindern in den Niederlanden. Der Antragsteller hatte bis zum 30 September 1982 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als Angestellter gearbeitet und demgemäß Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt – FA –) hatte ihm auf seinen Antrag eine Bescheinigung für den Steuerabzug als Grenzgänger ausgestellt, worin er gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Ausführungsgesetzes zum Zusatzprotokoll vom 13. März 1980 zum DBA Niederlande (Ausführungsgesetz Grenzgänger Niederlande – AG-Grenzg NL –) vom 21. Oktober 1980 (BGBl I 1980, 1999, BStBl I 1980, 725) abweichend von § 39 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Durchführung des Lohnsteuerjahresabzugs in die Steuerklasse III eingereiht und die Anzahl der Kinder mit 3 vermerkt worden war. In der Bescheinigung vom 4. Februar 1982 wurde außerdem ein Werbungskostenfreibetrag von monatlich 207 DM eingetragen. Dieser Freibetrag wurde in einer auf Antrag des Klägers erteilten zweiten Bescheinigung, die vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 1982 galt, auf monatlich 794 DM erhöht.

In dem von dem Antragsteller und seiner Ehefrau gemeinsam gestellten Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1982 für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer aus den Niederlanden sind die Einkünfte der Ehegatten wie folgt erklärt: Neben dem in der Bundesrepublik erzielten Bruttoarbeitslohn von 71 759 DM (abzüglich Werbungskosten von 3 888 DM) gaben sie den ab Oktober 1982 in den Niederlanden erzielten Arbeitslohn des Antragstellers mit – umgerechnet – 14 355 DM, Einkünfte aus Kapitalvermögen in den Niederlanden mit – umgerechnet – 512 DM sowie einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung einer selbstgenutzten Wohnung in den Niederlanden (Einfamilienhaus) mit – umgerechnet –./.8 695 DM an.

Das FA lehnte die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs ab, weil die Einkünfte, die der Einkommensteuer in der Bundesrepublik unterlägen, seiner Rechnung nach nur 81,72 v. H. der gesamten Einkünfte der Eheleute ausgemacht hätten. Dieser Satz ergebe sich daraus, daß ein negativer Nutzungswert der Wohnung im eigenen – in den Niederlanden gelegenen – Einfamilienhaus nicht angesetzt werden könne. Das FA sah daher die Voraussetzungen des § 2 AGGrenzg NL für die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs nach § 5 AGGrenzg NL nicht als erfüllt an. Im Anschluß an diesen Bescheid erließ es den (streitbefangenen) Bescheid über die Festsetzung nachzufordernder Lohnsteuer, die es für die Zeit vom 1. Januar bis zum 39. September 1982 auf 6 143,70 DM bemaß. Über den gegen den Nachforderungsbescheid eingelegten Einspruch ist noch nicht entschieden. Einen gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab.

Mit dem beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag verfolgt der Antragsteller sein Ziel auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Nachforderungsbescheids, dessen Rechtmäßigkeit er in Zweifel zieht, weiter. Entgegen der Berechnung des FA unterliege die Summe der Einkünfte im Kalenderjahr zu mehr als 90 v. H. in der Bundesrepublik der Einkommensteuer.

Das FG hielt den Antrag zwar für zulässig, aber nicht für begründet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit der vom FG in dessen Entscheidung zugelassenen Beschwerde. Er beantragt die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Nachforderungsbescheids.

 

Entscheidungsgründe

Die nach Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 i. d. F. des Gesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I 1980, 1147, BStBl I 1980, 462) zulässige Beschwerde ist begründet.

Der gemäß § 89 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unmittelbar beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung war schon vor Erhebung einer Anfechtungsklage zulässig. Der unmittelbare Zugang zum Gericht war gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31. März 1978 i. d. F. des Gesetzes vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1983, 1515, BStBl I 1984, 47) dadurch eröffnet, daß das FA einen zuvor gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte.

Das FG hat zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids verneint. Es besteht Unentschiedenheit und Unsicherheit in der Beurteilung der hier entscheidenden Rechtsfrage, ob die Verluste aus dem eigengenutzten, in den Niederlanden gelegenen Einfamilienhaus in die Ermittlung der 90 v. H.-Grenze gemäß § 2 Abs. 1 AGGrenzG NL einzubeziehen sind.

Das AGGrenzg NL begünstigt in den Niederlanden wohnende Arbeitnehmer und ihre Ehegatten, wenn diese Arbeitnehmer in der Bundesrepublik arbeiten (Grenzgänger). Das Gesetz beruht auf dem Zusatzprotokoll vom 13. März 1980 zum Doppelbesteuerungsabkommen Niederlande (DBA-Niederlande), welches bezweckt, die steuerlichen Verhältnisse der Personen zu verbessern, die in einem der Vertragsstaaten wohnen und in dem anderen Staat einer nichtselbständigen Arbeit nachgehen. Die vertragschließenden Staaten setzten sich zum Ziel, im Bereich der deutsch-niederländischen Grenze die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft zu fördern (vgl. die Präambel des Zusatzprotokolls). Das Zusatzprotokoll geht von den Art. 10 bis 12 DBA-Niederlande aus, wonach das Besteuerungsrecht bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bei Einkünften aus dem öffentlichen Dienst und bei Versorgungsbezügen grundsätzlich dem Staat zusteht, in dem die unselbständige Arbeit ausgeübt wird oder aus dessen Kasse die öffentlichen oder Versorgungsbezüge fließen. Wohnt der Bezieher dieser Einkünfte im anderen Vertragsstaat, ist er im Quellenstaat beschränkt steuerpflichtig.

Seine Steuerbelastung kann höher sein als bei vergleichbaren unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern. Nach der Denkschrift der Bundesregierung zum Zusatzprotokoll (BTDrucks 8/3994) ist dies der Fall, wenn der Steuerpflichtige neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die im Wohnsitzstaat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung freigestellt sind, keine hinreichenden weiteren Einkünfte erzielt, bei deren Besteuerung die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt werden könnten. Nach Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls sollen die in dessen Abs. 2 näher bezeichneten Vergünstigungen einem Arbeitnehmer zustehen, wenn die Einkünfte, für die der Tätigkeitsstaat nach dem DBA-Niederlande das Besteuerungsrecht hat, mindestens 90 v. H. der Summe der Einkünfte des Steuerpflichtigen ausmachen. Nach Art. 1 Abs. 3 des Zusatzprotokolls steht es jedem Vertragsstaat frei, weitergehende Vergünstigungen zu gewähren.

Der sich aus dem Zusatzprotokoll ergebenden Verpflichtung, die Besteuerung unbeschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer aus den Niederlanden zu verbessern, ist die Bundesrepublik mit dem erwähnten AGGrenzg NL nachgekommen. Die unter das Gesetz fallenden niederländischen Arbeitnehmer bleiben zwar weiterhin beschränkt steuerpflichtig; der Grenzgänger und sein beschränkt steuerpflichtiger Ehegatte werden aber weitgehend einem unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer gleichgestellt. Voraussetzung für die Anwendung der Vergünstigungen des § 2 Abs. 1 AGGrenzg NL ist, daß die Summe der Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 v. H. in der Bundesrepublik der Einkommensteuer unterliegt; bei nicht getrennt lebenden Ehegatten, von denen wenigstens einer Arbeitnehmer ist, muß die Summe der Einkünfte beider Ehegatten mindestens zu 90 v. H. in der Bundesrepublik der Einkommensteuer unterliegen (Abs. 2). Zwischen dem Antragsteller und dem FA besteht Streit, ob diese Grenze für die Anwendung der Vergünstigungen erreicht ist.

Es ist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht ernstlich zweifelhaft, daß zur Ermittlung dieses Vomhundertsatzes die Summe der in- und ausländischen Einkünfte des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen des deutschen Einkommensteuerrechts ermittelt werden muß. Über die Art der Ermittlung der Summe der Einkünfte ist im Zusatzprotokoll und im DBA-Niederlande nichts enthalten. Es greift daher Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande ein, wonach dieser Begriff nach innerstaatlichem Recht auszulegen ist. Hiervon geht auch die Bundesregierung aus (vgl. die Begründung zum Entwurf des Ausführungsgesetzes, BTDrucks 8/3995 zu § 2). Dem entspricht die Auslegung des § 2 des Gesetzes in dem Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 1980 (Der Betrieb – DB – 1980, 2211), wonach die Summe der Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 1 und 2 AGGrenzg NL nach den Vorschriften des EStG zu ermitteln ist (vgl. hierzu auch Baranowski, Die Neuregelung der Einkommensbesteuerung niederländischer Grenzgänger, S. 30 f.). Damit vergleichen läßt sich die Handhabung auf anderen Gebieten, wenn es ebenfalls darum geht, für die inländische Besteuerung den zutreffenden Steuersatz aus der Summe der in- und ausländischen Einkünfte zu errechnen (für den Bereich der Besteuerung von Auslandsbeziehungen vgl. § 2 Abs. 5 des AußensteuergesetzesAStG –, für die Errechnung des für die inländischen Einkünfte maßgeblichen Steuersatzes aufgrund eines Progressionsvorbehalts vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 11. Juli 1979 I R 149/76, BFHE 128, 248).

Für die Bestimmung der 90 v. H.-Grenze sind die deutschen Einkünfte des beschränkt steuerpflichtigen niederländischen Arbeitnehmers nach den Vorschriften der §§ 49 ff. EStG zu ermitteln (Baranowski, a. a. O., S. 32). Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die Verwaltungsauffassung in dem Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen zutreffend ist, daß bei Ermittlung der 90 v. H.-Grenze unter den inländischen Einkünften nur diejenigen zu erfassen sind, für die der Bundesrepublik das ausschließliche Besteuerungsrecht zusteht. So sollen insbesondere inländische Arbeitslöhne, von denen die Lohnsteuer nur pauschal erhoben wird, sowie Einkünfte aus inländischen Dividenden, die in der Bundesrepublik nach dem DBA-Niederlande nur mit einer auf 15 v. H. geminderten deutschen Kapitalertragsteuer belastet sind, außer Betracht bleiben.

Nach dem erwähnten Verwaltungserlaß soll – für die Zwecke der Bestimmung der 90 v. H.-Grenze – der Nutzungswert der Wohnung in einem in den Niederlanden gelegenen Haus nach Abschn. 161 a der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) berechnet werden. Dort ist in Abs. 2 bestimmt, daß der Nutzungswert in der Regel eine angemessene Verzinsung (mindestens 3 v. H. des aufgewendeten Kapitals) nicht unterschreiten dürfe. Nach dem angeführten Verwaltungserlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen sollen aber keine Bedenken bestehen, aus Vereinfachungsgründen ggf. den bei der niederländischen Besteuerung zugrunde gelegten Nutzungswert zu übernehmen.

Das FG ist der Auffassung, es erübrige sich eine Erörterung der Frage, wie der Nutzungswert des vom Antragsteller und seiner Familie bewohnten Einfamilienhauses zu bestimmen sei. Es komme § 50 Abs. 2 EStG zum Zuge: Die vom Antragsteller ausgewiesenen – in den Niederlanden – entstandenen Verluste aus Vermietung und Verpachtung seien schon deshalb nicht anzusetzen, weil beschränkt Steuerpflichtigen ein Ausgleich von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung mit Arbeitslöhnen, die dem Lohnsteuerabzug unterliegen, nicht möglich sei. Gegen diese Auffassung bestehen erhebliche Bedenken. Der Abs. 2 des § 50 EStG ist im Zusammenhang mit dessen Abs. 5 zu sehen, wonach die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten gilt. Bei der Ermittlung der 90 v. H.-Grenze gemäß § 2 Abs. 1 und 2 AGGrenzG NL geht es nicht darum, welche Abzugssteuern der Bundesrepublik ungeschmälert verbleiben sollen. Die nach diesem Gesetz erforderliche Ermittlung der Summe der in- und ausländischen Einkünfte des Steuerpflichtigen liegt gewissermaßen eine Stufe davor. Es bestehen daher ernstliche Zweifel, bei der Ermittlung der 90 v. H.-Grenze den § 50 Abs. 2 anzuwenden und schon mit Hinweis auf diese Vorschrift die Berücksichtigung der in den Niederlanden angefallenen Verluste aus Vermietung und Verpachtung des Antragstellers zu verneinen.

Es bleibt daher die Frage im Streit, ob bei der Ermittlung der 90 v. H.-Grenze gemäß § 2 AGGrenzg NL der Abschn. 161 a Abs. 2 EStR anzuwenden ist. Die dort zum Ausdruck kommende Auffassung der Verwaltung, daß bei Steuerpflichtigen, die eine Wohnung in einem im Ausland belegenen eigenen Wohngrundstück nutzen, in der Regel ein Nutzungswert von mindestens 3 v. H. anzulasten ist, paßt nicht recht auf die Fälle des § 2 AGGrenzg NL. Mit den Richtlinien sollen der ganzen Zielrichtung nach die Fälle erfaßt werden, in denen Inländer im Ausland für Erholungs- und Urlaubszwecke mit großem Kostenaufwand Einfamilienhäuser oder Ferienwohnungen bauen oder kaufen. Es ist daher fraglich, ob die angeführten Bestimmungen der EStR einen Anhalt für die Behandlung der unter die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung fallenden Nutzungswerte eigener Wohnungen von Niederländern bei Bestimmung der 90 v. H.-Grenze i. S. des AGGrenzg NL Anwendung finden können. Im Streitfall handelt es sich um ein Einfamilienhaus, das vom Antragsteller und seiner Familie bewohnt wird. Für die Ermittlung des Nutzungswerts dieses Hauses ist § 21 a EStG nicht anwendbar, da für Wohngebäude in den Niederlanden nach deutschem Steuerrecht kein Einheitswert festgesetzt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 22. Januar 1980 VIII R 134/78, BFHE 130, 261, BStBl II 1980, 447). Maßgebend ist daher § 21 Abs. 2 EStG. Der zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gehörende Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus ist der Überschuß des Mietwerts über die Werbungskosten. Sind die Werbungskosten höher als der Mietwert, ergibt sich bei dieser Einkunftsart ein Verlust. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Auffassung des FA zutreffend ist, daß der Verlust aus Vermietung und Verpachtung bei der Errechnung der 90 v. H.-Grenze gemäß § 2 AGGrenzg NL nicht angesetzt werden darf.

Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist daher auf die Beschwerde hin stattzugeben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI510482

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