Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Fristüberwachung bei Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis

 

Leitsatz (NV)

Ein Prozeßbevollmächtigter (hier: Steuerberater), der ein Empfangsbekenntnis unterschreibt und damit eine Revisionsfrist in Lauf setzt, handelt schuldhaft, wenn er nicht unmittelbar anschließend die von ihm errechnete Revisionsfrist in den Handakten verfügt und anordnet, daß seine Verfügung nach Vollziehung der Eintragung im Fristenkontrollbuch mit einem Erledigungsvermerk versehen wird, sondern wenn er sich darauf beschränkt, seinen Bürovorsteher mündlich anzuweisen, die Revisionsfrist im Fristenkontrollbuch zu vermerken.

 

Normenkette

FGO § 56; VwZG § 5 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde den von einem Steuerberater als Bevollmächtigten vertretenen Klägern am 6. April 1985 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Ihre Revision ist am 7. Mai 1985 (einem Dienstag) beim FG eingegangen. Auf den Hinweis der Geschäftsstelle des beschließenden Senats, daß die Revision verspätet eingegangen sei, beantragten die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie seien ohne Verschulden verhindert gewesen, die Revisionsfrist einzuhalten, wie sich aus folgendem ergebe:

Ihr Prozeßbevollmächtigter habe ,,bei Erhalt des Urteils . . . die Rechtsbehelfsfrist errechnet" und seinem ,,Bürovorsteher zum Vermerk im Fristenkontrollbuch gegeben". Dieser habe am 6. Mai 1985 den Prozeßbevollmächtigten nicht auf den Termin aufmerksam machen können, weil der Prozeßbevollmächtigte an diesem Tage ,,plötzlich mit einer Nierenkolik bettlägerig erkrankt und nicht im Büro erschienen" sei. Der Bürovorsteher habe ,,den Termin zur Kenntnis genommen und sich die Akte geholt". Er habe darin den Briefumschlag gefunden, mit dem das Urteil gekommen war (mit Poststempel vom 4. April 1985), und habe sich daraufhin an das FG telefonisch gewandt, um sich den Fristablauf in dem vorliegenden Falle bestätigen zu lassen. Von dort habe er allerdings nur den Hinweis auf die Bekanntgabefiktion bei normalem Brief erhalten, demzufolge wäre die Rechtsbehelfsfrist erst am 7. Mai 1985 abgelaufen. Am 7. Mai 1985 habe der Prozeßbevollmächtigte selbst die Sache bearbeitet und habe die Revision unverzüglich durch Boten nach Hannover bringen lassen.

Das Finanzamt beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist zu verwerfen, weil sie unzulässig ist (§ 126 Abs. 1 FGO). Unzulässig ist sie, weil sie nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist eingelegt worden ist (§ 120 Abs. 1 Satz 1, § 124 FGO). Diese Frist endet mit Ablauf des 6. Mai 1985 (einem Montag); die Revisionsschrift ist aber erst am 7. Mai 1985, also um einen Tag zu spät, beim FG eingegangen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist kann den Klägern schon deshalb nicht gewährt werden, weil sie die Tatsachen, die sie zur Begründung ihres dahingehenden Antrags angeführt haben, nicht glaubhaft gemacht haben (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Darüber hinaus würden diese Tatsachen nicht den Schluß rechtfertigen, die Kläger seien ,,ohne Verschulden" verhindert gewesen, die Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 und 2 FGO). ,,Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist (z. B. die Revisionseinlegungsfrist) einzuhalten, ist jemand nur dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten ist den Klägern zuzurechnen (§ 155 FGO, § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Schuldhaft handelte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger insofern, als er beim Unterschreiben des Empfangsbekenntnisses die von ihm errechnete Revisionsfrist nicht selbst in den Handakten verfügte und anordnete, daß seine Verfügung nach Vollziehung der Eintragung im Fristenkontrollbuch mit einem Erledigungsvermerk versehen wurde, sondern sich auf die mündliche Weisung beschränkte, die von ihm errechnete Revisionsfrist im Fristenkontrollbuch zu vermerken. Ein solches Verfahren bot keine ausreichende Gewähr für die richtige und zuverlässige Eintragung der Frist im Fristenkontrollbuch, denn der angewiesene Bürovorsteher konnte sich leicht verhören, die Weisung verwechseln oder deren Ausführung im Drang der Geschäfte vergessen (vgl. Beschlüsse des BGH vom 20. März 1967 VII ZB 3/67, Versicherungsrecht 1967, 507; vom 9. Dezember 1981 IV a ZB 11/81, Steuerrechtsprechung in Karteiform -StRK -, Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG), § 5, Rechtsspruch 27; vom 18. November 1982 VII ZB 24/82, StRK, VwZG § 5, Rechtsspruch 28; vom 11. März 1980 X ZB 4/80, NJW 1980, 1846, und vom 9. Mai 1980 I ZR 89/79, NJW 1980, 1846, Nr. 10).

Das schuldhafte Verhalten des Prozeßbevollmächtigten ist ursächlich gewesen für die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist. Denn hätte der Prozeßbevollmächtigte die von ihm errechnete Revisionseinlegungsfrist schon bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses in den Handakten verfügt und angeordnet, daß seine Verfügung nach Vollziehung der Eintragung im Fristenkontrollbuch mit einem Erledigungsvermerk versehen wurde, so hätte sein Bürovorsteher - als er am 6. Mai 1985 die Akte zur Hand nahm - nicht im unklaren sein können über den Zeitpunkt des Fristablaufs und hätte noch geeignete Maßnahmen zur Wahrung der Frist treffen können. Er wäre dann vermutlich nicht auf den Gedanken gekommen, sich vom FG ,,den Fristablauf . . . bestätigen zu lassen" für eine Zustellungsart, die in Wahrheit nicht vorlag, und die ihn zu einer rechtlich fehlerhaften Auffassung über den Zeitpunkt des Fristablaufs führte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414286

BFH/NV 1986, 614

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