Entscheidungsstichwort (Thema)

Organisationsmangel - Fristenkontrolle

 

Leitsatz (NV)

1. Ergibt das Fristenkontrollbuch keine, auch keine versehentlich falschen Hinweise auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist und stellt es auch nicht sicher, daß in angemessener Zeit vor Fristablauf das Schriftstück vorgelegt wird, darf sich der Prozeßbevollmächtigte auch nicht am Eingangsstempel seiner Kanzlei für die eigene Fristberechung orientieren.

2. Bei Korrekturen der Eintragungen im Fristenkontrollbuch besteht Veranlassung für den Prozeßbevollmächtigten, bei der Kontrolle den zutreffenden Beginn und Ablauf der Rechtsmittelfrist selbst zu überprüfen.

 

Normenkette

FGO § 56

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 29. Januar 1986 zugestellt (§ 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - i. V. m. § 53 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Revision des Klägers ging beim FG am 3. März 1986 ein. Mit Schreiben vom 14. März 1986, eingegangen beim FG unter demselben Datum, beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Zur Begründung trug sein Prozeßbevollmächtigter vor, die verspätete Einlegung beruhe auf einer unrichtigen Eintragung im Fristenkontrollbuch der Sozietät. Dort sei der Eingang des Urteils unter der laufenden Nr. 254 am 4. Februar 1986 eingetragen worden. Diese Eintragung entspreche dem Eingangsstempel auf dem in Fotokopie beigefügten ersten Blatt des finanzgerichtlichen Urteils. Diesen Angaben entsprechend sei die Revision erst am 3. März 1986 eingelegt worden. Da das Fristenkontrollbuch nach ständiger Übung mit dem Eingangsdatum sofort nach Öffnung der Eingangspost versehen werde, werde es bei der Unterschrift des Empfangsbekenntnisses nicht mit vorgelegt.

Die fehlerhafte Eintragung beruhe auf einem Büroversehen der Angestellten Frau Z, die mit der Führung des Fristenkontrollbuchs und der Anbringung des Eingangsstempels seit nahezu 10 Jahren beauftragt sei. Innerhalb dieses gesamten Zeitraums sei es noch niemals zu einem Versehen ihrerseits gekommen. Ihre Tätigkeit werde regelmäßig von dem Prozeßbevollmächtigten durch Stichproben und Überprüfung ausgewählter Eingänge kontrolliert. Wie es zu dieser fehlerhaften Eintragung gekommen sei, könne Frau Z nicht mehr sagen. Die gesamte weitere Bearbeitung des Vorgangs sei auf der Basis der unrichtigen Eintragung erfolgt. Der Vorgang sei entsprechend dem Vermerk in der Spalte ,,Vorlagetermin" dem sachbearbeitenden Mitarbeiter am 21. Februar 1986 vorgelegt worden und auf dessen Veranlassung sei der Termin zur Einlegung der Revision auf den 3. März 1986 im Hinblick auf das eingetragene Eingangsdatum 4. Februar 1986 festgelegt worden.

Zur Glaubhaftmachung legte der Prozeßbevollmächtigte eine Kopie der entsprechenden Seite des Fristenkontrollbuchs vor. Danach ist unter der laufenden Nr. 254 mit dem Eingangsdatum ,,4. 02. 86" der Name des Klägers vermerkt; in der Spalte ,,Art des Bescheides" heißt es ,,VSt 74-79". In der Spalte ,,Datum des Bescheids bzw. Schriftstücks" ist durchgestrichen ,,o. D." (ohne Datum) und darüber vermerkt ,,29. 01. 86". In der Spalte ,,Vorlagetermin" ist der ,,21. 02. 86" und der Name des Bearbeiters, Herr A, vermerkt. Die folgenden Spalten, die den Ablauf der Rechtsbehelfsfrist, deren Prüfung und die Einlegung des Rechtsbehelfs betreffen, sind nicht ausgefüllt. In der Spalte Rechtsmittelbegründungsfrist und Verlängerung findet sich der Vermerk ,,Revision wird eingelegt, Rückkehr Dr. B. am 03. 02. 86" und zusätzlich ein Vermerk ,,i. O.". In der zur Rechstmittelbegründungsfrist gehörenden Erledigungsspalte ist der ,,24. 02. 86" eingetragen, ein Namenszeichen durchgestrichen und darüber das Namenszeichen ,,A" angebracht.

Mit Schreiben vom 6. Mai 1986 legte der Prozeßbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung von Frau Z vor, wonach die im Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten vom 14. März 1986 vorgetragenen Tatsachen, soweit sie ihren Aufgabenbereich beträfen, richtig seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist (§§ 124, 120 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Aufgrund der Zustellung der Vorentscheidung gemäß § 5 Abs. 2 VwZG i. V. m. § 53 Abs. 2 FGO durch Empfangsbekenntnis vom 29. Januar 1986 endete die Revisionsfrist am 28. Februar 1986. Die am 3. März 1986 beim FG eingegangene Revision war danach verspätet.

2. Dem Kläger kann nicht gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Nach dieser Vorschrift ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zulässig, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor, da die Fristversäumung vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers, dessen Verschulden sich der Kläger wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß (vgl. § 155 FGO, § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), verschuldet worden ist. Das Verschulden besteht darin, daß es der Prozeßbevollmächtigte unterlassen hat, die notwendige Organisation zur Fristenüberwachung zu schaffen.

Rechtsanwälte und Angehörige der steuerberatenden Berufe müssen ihren Bürobetrieb so einrichten, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Unerläßliche Voraussetzung dafür ist, daß ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung der Fristen geführt wird und die Einhaltung der laufenden Fristen durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert wird (vgl. z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441). Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen müssen so notiert werden, daß sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben (z. B. Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Mai 1983 VIII ZB 18/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1984, 128, mit weiteren Nachweisen). Die dem Prozeßbevollmächtigten obliegende Sorgfaltspflicht zur rechtzeitigen Wahrung gesetzlicher Fristen verpflichtet ihn nicht nur, die rechtzeitige Vorlage der Akten zur Bearbeitung etwa durch Verfügung einer ,,Vorfrist" oder eines Vorlagetermins sicherzustellen, sondern auch dazu, daß der Ablauf der Rechtsmittelfrist selbst unter dem Tage des Fristablaufs in einen Fristenkalender eingetragen wird (vgl. z. B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 28. Oktober 1977 VI A 2/76, Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 29, Nr. 167, S. 893). Eine ordnungsgemäße Handhabung des Fristenkalenders verlangt somit, daß Rechtsmittelfristen besonders hervorgehoben sind und der Fristablauf für jede einzelne Sache sofort nach Eingang endgültig vermerkt wird (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. Mai 1977 V R 139/73, BFHE 122, 251, BStBl II 1977, 643; Beschluß des BGH vom 30. März 1977 VII ZB 10/77, Versicherungsrecht - VersR - 1977, 670).

Im Streitfall hat der Prozeßbevollmächtigte vorgetragen, er habe die Revisionsfrist deshalb versäumt, weil das Fristenkontrollbuch nach ständiger Übung sofort nach Öffnung der Eingangspost mit einem Eingangsdatum versehen und bei der Unterschrift des Empfangsbekenntnisses nicht mit vorgelegt werde. Die weitere Bearbeitung des Vorgangs sei auf der Basis der unrichtigen Eintragung des Eingangs, 4. Februar 1986, erfolgt. Wie sich aus dem vorgelegten Auszug des Fristenkontrollbuchs ergibt, ist für den Streitfall aus dem Fristenkontrollbuch schon nicht ersichtlich, daß es sich bei dem eingegangenen Schriftstück um ein Urteil in der Streitsache handelte, noch sind - mit Ausnahme eines auf den 21. Februar 1986 lautenden Vorlagetermins - der Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder der Rechtsmittelbegründungsfrist vermerkt. In der Art, wie das Fristenkontrollbuch des Prozeßbevollmächtigten geführt wird, ist nicht erkennbar, daß ausreichende Vorkehrungen getroffen worden sind, um die rechtzeitige Fertigung und Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes zu überwachen. Für den Streitfall kommt noch hinzu, daß neben dem Eingang des Schriftstücks, 4. Februar 1986, in der Spalte ,,Datum des Bescheids bzw. Schriftstücks" zunächst o. D. (ohne Datum) vermerkt und gestrichen worden war und darüber das Datum 29. Januar 1986 vermerkt war. Schon die Korrekturen der Eintragung hätten bei einer täglichen Überprüfung eines ordnungsgemäß geführten Fristenkontrollbuchs - aus dem sich u. a. auch ergeben hätte, daß es sich bei dem eingegangenen Schriftstück um ein Urteil handelte - Anlaß geben müssen, die Rechtsmittelfristen zu überprüfen.

Aus dem Fristenkontrollbuch ergibt sich darüber hinaus nicht, daß nach Vorlage des Schriftstücks und dessen Bearbeitung am 24. Februar 1986 irgendwelche Vorkehrungen dafür getroffen worden sind, sicherzustellen, daß - selbst unter Berücksichtigung des möglicherweise zugrunde gelegten Eingangsdatums laut Fristenkontrollbuch - die Einhaltung der Rechtsmittelfrist in irgendeiner Weise organisatorisch sichergestellt worden wäre. Denn in dem Fristenkontrollbuch befindet sich weder ein Vermerk, auch keiner mit dem falschen Datum, der das Ende der Rechtsmittelfrist kennzeichnen würde, noch ist erkennbar, daß ausreichende Vorkehrungen getroffen worden sind, um die rechtzeitige Fertigung (und Absendung) des fristwahrenden Schriftsatzes zu überwachen. Der in der Spalte Rechtsmittelbegründungsfrist und Verlängerung eingetragene Vermerk ,,Revision wird eingelegt, Rückkehr Dr. B. am ,3.` oder ,9.` (nicht eindeutig entzifferbar) 02. 86" ist nicht dazu geeignet, in irgendeiner Weise organisatorisch sicherzustellen, daß rechtzeitige Fertigung und Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes überwacht werden können.

Ergibt das Fristenkontrollbuch daher keinerlei, auch keine versehentlich falschen, Hinweise auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist und stellt es weiter nicht sicher, daß in angemessener Zeit vor Ablauf der Frist das Schriftstück vorgelegt wird, darf sich der Prozeßbevollmächtigte auch nicht am Eingangsstempel seiner Kanzlei für seine eigene Fristberechnung orientieren (BGH-Beschluß vom 22. Mai 1984 VI ZR 49/84, HFR 1985, 193).

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 444

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