Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertretungszwang; Steuerberatungsgesellschaft nicht postulationsfähig; Auslegung und Umdeutung von Prozeßerklärungen

 

Leitsatz (NV)

1. Die von einer Steuerberatungs-GmbH eingelegte Revision genügt nicht dem im Revisionsverfahren gesetzlich normierten Vertretungszwang und ist wegen fehlender Postulationsfähigkeit nicht wirksam erhoben.

2. Ob ein Rechtsmittel von dem unterzeichnenden Steuerberater persönlich oder von ihm als Organ für die Steuerberatungsgesellschaft eingelegt worden ist, muß anhand der gesamten Umstände des konkreten Falles festgestellt werden. Unterschreibt ein geschäftsführender Steuerberater ein Schreiben unter dem Briefkopf der GmbH und unter Verwendung der "Wir-Form", so ist im Regelfall davon auszugehen, daß er die Erklärung als deren Organ abgibt.

 

Normenkette

BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; BGB § 164 Abs. 2; FGO § 56 Abs. 1, 2 Sätze 1, 3-4; GmbHG § 35 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen Investitionszulage 1994 als unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Nach dem Rubrum des angefochtenen Gerichtsbescheides war der Kläger von der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH als Prozeßbevollmächtigte vertreten worden. Der Gerichtsbescheid ist der Prozeßbevollmächtigten am 20. Juni 1997 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Mit beim FG am 21. Juli 1997 eingegangenem Schriftsatz vom 17. Juli 1997 legte der Kläger, vertreten durch Y, Steuerberaterin Geschäftsführerin der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH, als Verfahrensbevollmächtigte Revision gegen den Gerichtsbescheid ein. Der Briefkopf lautet -- wie bereits im Klageverfahren -- auf X. In der Fußleiste sind die Anschrift der Steuerberatungsgesellschaft mbH und als Geschäftsführer u. a. Steuerberaterin Y angegeben. Im Schriftsatz heißt es "legen wir im Namen des Klägers und Revisionsklägers Revision ein", ferner "die Begründung reichen wir innerhalb eines Monats nach".

Die dem FG unter dem 1. August 1997 zugegangene Prozeßvollmacht lautet ebenfalls auf Y, Steuerberaterin Geschäftsführerin der X- Steuerberatungsgesellschaft mbH. Die am 20. August 1997 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Revisionsbegründung vom 18. August 1997 entspricht in der Kopfzeile und in der Fußleiste sowie im Betreff inhaltlich der Revisionsschrift. Im Text heißt es allerdings "begründe ich die Revision" und "ich beantrage ... ".

Auf den Hinweis der Geschäftsstelle des erkennenden Senats mit Schreiben vom 6. Februar 1998 hat die Prozeßbevollmächtigte erklärt, die Revision sei von der Steuerberaterin Y persönlich eingelegt worden. Steuerberaterin Y habe sich deshalb im Rubrum als Prozeßbevollmächtigte bestellt. Die Adresse der X-Steuerberatungsgesellschaft sei lediglich hinzugefügt worden, um die Zustellung des Schriftverkehrs sicherzustellen. Sowohl der Revisionsschriftsatz als auch die Revisionsbegründung seien von Steuerberaterin Y im eigenen Namen unterzeichnet worden. Das Wort "wir" sei in der Revisionsschrift versehentlich verwendet worden, weil diese Formulierung üblicherweise erfolge. An anderer Stelle desselben Schriftsatzes und auch in der Revisionsbegründung sei in der "Ich-Form" formuliert worden. Ebenso handele es sich bei dem Briefkopf "X" um den üblicherweise verwendeten. Aus den gesamten Erläuterungen ergebe sich jedoch die Einlegung der Revision durch die Steuerberaterin Y persönlich.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist durch Beschluß zu verwerfen (§126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Der Kläger hat die Revision innerhalb der Revisionsfrist des §120 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht ordnungsgemäß erhoben. Innerhalb dieser, am 21. Juli 1997 abgelaufenen Frist ist lediglich das Schreiben vom 17. Juli 1997 eingegangen, mit welchem den gesetzlichen Anforderungen des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) nicht entsprochen worden ist.

1. Gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG muß sich vor dem BFH jeder Beteiligte -- ausgenommen juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden -- durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision. Daraus folgt, daß eine Revision nicht durch eine Wirtschaftsprüfungs- und/oder Steuerberatungsgesellschaft wirksam eingelegt werden kann (vgl. BFH-Beschluß vom 4. September 1996 V R 43/96, BFH/NV 1997, 372, m. w. N.).

Wird diesem gesetzlich normierten Vertretungszwang nicht genügt, fehlt dem Beteiligten die Postulationsfähigkeit. Mangels dieser Prozeßhandlungsvoraussetzung ist das Rechtsmittel der Revision nicht wirksam erhoben (vgl. BFH-Beschluß vom 21. April 1997 VIII R 26/97, BFH/NV 1997, 797).

2. a) Die Revisionsschrift vom 17. Juli 1997 ist als Prozeßerklärung der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH auszulegen. Sie wurde namens und im Auftrag des Klägers unter dem Briefkopf dieser Gesellschaft erhoben. Den Schriftsatz hat Steuerberaterin Y, die ausweislich der Fußleiste eine der Geschäftsführer der GmbH ist, unterzeichnet (vgl. BFH-Beschluß vom 19. März 1997 III B 8/97, BFH/NV 1997, 696). Darin unterscheidet sich der Streitfall u. a. von dem mit Zwischenurteil des BFH vom 28. August 1991 I R 37/91 (BFHE 166, 100, BStBl II 1992, 282, m. umf. N.) positiv entschiedenen Fall, in welchem die Unterzeichner als Prozeßbevollmächtigte genannt waren, ohne zu den gesetzlichen Vertretern der GmbH zu gehören. Unterschreibt hingegen der Geschäftsführer ein Schreiben seiner GmbH, so ist davon auszugehen, daß er seine Erklärung als Organ der GmbH abgibt (vgl. §35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung; BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1996 VIII B 83--84/96, BFH/NV 1997, 372, 373, m. w. N.). Des weiteren ist im Betreff des Schreibens als Verfahrensbevollmächtigte "Y, Steuerberaterin Geschäftsführerin der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH" genannt. Im Text wird bei den prozeßerheblichen Erklärungen -- Einlegung der Revision und Ankündigung der Revisionsbegründung -- die "Wir- Form" verwendet. Auch aus dem Rubrum des angefochtenen und in Bezug genommenen Gerichtsbescheides ergibt sich die Steuerberatungsgesellschaft mbH als Prozeßbevollmächtigte.

Diese gesamten Umstände ergeben, daß die GmbH und nicht Steuerberaterin Y persönlich das Rechtsmittel eingelegt hat. Eine andere Auslegung ist nicht deshalb geboten, weil der Schriftsatz die Unterschrift der Steuerberaterin Y trägt. Wie ausgeführt, ist diese Geschäftsführerin der GmbH. Entsprechend der gesetzlichen Auslegungsregel des §164 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und im Interesse der Prozeßklarheit ist davon auszugehen, daß eine in dieser Weise abgegebene Prozeßerklärung mangels eindeutiger Einschränkungen oder sonstiger Hinweise als eine Erklärung der GmbH zu verstehen ist (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Juli 1996 III R 11/96, BFH/NV 1997, 141).

Die nach Ablauf der Revisionsfrist in "Ich- Form" abgefaßte Revisionsbegründung vermag die prozeßrechtlich unwirksame Revisionseinlegung nicht mehr wirksam zu machen, denn eine nachträgliche Genehmigung oder Heilung ist prozeßrechtlich nicht möglich (vgl. BFH-Beschluß vom 28. April 1997 III R 90/96, BFH/NV 1997, 798, m. w. N.).

b) Die erst nach Ablauf der Revisionsfrist eingereichte Prozeßvollmacht lautet gleichfalls auf die Steuerberaterin Y als Geschäftsführerin der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 10. Juli 1997 III B 30/97, BFH/NV 1997, 890, und in BFH/NV 1997, 798).

c) Die Erklärung der Steuerberatungsgesellschaft mbH kann auch nicht zugunsten des Klägers als eine von der Steuerberaterin Y persönlich in seinem Namen abgegebene Prozeßerklärung umgedeutet werden. Zwar ist im Sinne rechtsschutzgewährender Auslegung grundsätzlich davon auszugehen, daß der Rechtsmittelführer dasjenige Rechtsmittel einlegen will, welches zu dem erkennbar von ihm erstrebten Erfolg führt. Indessen ist nur der Inhalt der Erklärung einer Umdeutung zugänglich, nicht hingegen die Person des Erklärenden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1997, 141, und vom 26. April 1989 I B 60/88, BFHE 157, 17, BStBl II 1989, 701, m. w. N.).

d) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt im Streitfall nicht in Betracht. Die Prozeßvertreterin hat einen entsprechenden Antrag (vgl. §56 Abs. 2 Satz 1 FGO) nicht gestellt. Wiedereinsetzung kann im Streitfall auch nicht ohne Antrag von Amts wegen gewährt werden (vgl. §56 Abs. 2 Sätze 3 und 4 FGO). Nach §56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Im Streitfall ist zwar nicht die gesetzliche Frist zur Einlegung der Revision versäumt worden, sondern die fristgerechte Prozeßhandlung war wegen Nichtbeachtung des Vertretungszwangs unwirksam. Grundsätzlich ist auch auf derartige Fälle §56 Abs. 1 FGO anwendbar (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Juli 1996 VIII B 25--28/96, BFH/NV 1997, 185, 186). Indessen scheidet die Gewährung einer Wiedereinsetzung im Streitfall bereits deshalb aus, weil der Fehler bei Beachtung der dem angefochtenen Gerichtsbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung und vor allem im Hinblick auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. die umfassenden Nachweise im BFH-Urteil in BFHE 166, 100, BStBl II 1992, 282) hätte vermieden werden können (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1997, 141).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1512

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