Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbarkeit, Bemessungsgrundlage, Von der gesetzlichen Krankenversicherung an Pflegeeinrichtungen gezahlte Pflegepauschale
Leitsatz (amtlich)
Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sowie Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass eine Pauschalzahlung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende „Pflegepauschale“ eine Gegenleistung für die von einer Beherbergungseinrichtung für ältere hilfsbedürftige Menschen ihren Bewohnern entgeltlich erbrachten Pflegeleistungen darstellt und damit in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a
Beteiligte
Ministre de l Économie et des Finances |
Verfahrensgang
Cour d´ appel Versailles (Frankreich) (Urteil vom 07.03.2013; ABl. EU 2013, Nr. C 171/17) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Anwendungsbereich ‐ Bestimmung der Besteuerungsgrundlage ‐ Begriff ‚unmittelbar mit dem Preis zusammenhängende Subvention‘ ‐ Pauschalzahlung durch die nationale Krankenversicherung an Beherbergungseinrichtungen für ältere hilfsbedürftige Menschen“
In der Rechtssache C-151/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative d’appel de Versailles (Frankreich) mit Entscheidung vom 7. März 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2013, in dem Verfahren
Le Rayon d’Or SARL
gegen
Ministre de l’Économie et des Finances
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Januar 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Le Rayon d’Or SARL, vertreten durch A. Grousset, E. Ashworth und F. Bertacchi, avocats,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Soulay und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) und von Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Le Rayon d’Or SARL (im Folgenden: Rayon d’Or), einer Gesellschaft mit Sitz in Frankreich, und der Finanzverwaltung, vertreten durch den Ministre de l’Économie et des Finances (Wirtschafts- und Finanzminister), über die Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs für eine Beherbergungseinrichtung für ältere hilfsbedürftige Menschen (im Folgenden: EHPAD).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie heißt es:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
(1) Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt …“
Rz. 4
Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Im Inland
(1) Die Besteuerungsgrundlage ist:
a) bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen … alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen …“
Rz. 5
Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie enthält einen Katalog von Mehrwertsteuerbefreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten. So können die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der vorgesehenen Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, u. a. von der Steuer befreien:
„b) die Krankenhausbehandlungen und die ärztlichen Heilbehandlungen sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zen...