Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlungspflicht des FG; Geschäftsführerhaftung

 

Leitsatz (NV)

Wird der Geschäftsführer einer GmbH für USt-Schulden der Gesellschaft in Haftung genommen, muß das FG auch dann Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten und zu den darauf im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen der Gesellschft (anteilige Tilgung der USt) treffen, wenn der Geschäftsführer die Gesellschaft trotz unmittelbar bevorstehenden Konkurses als ,,wirtschaftlich stabil" bezeichnet hat.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 191, 69, 34; AO §§ 103, 109

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und Revisionskläger (Kläger) durch Haftungsbescheid . . ., in Gestalt des - zum Gegenstand des Verfahrens gemachten (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - Änderungsbescheids, für Umsatzsteuerschulden und steuerliche Nebenleistungen der GmbH & Co. KG (KG) aus den Jahren . . . als Haftenden in Anspruch. Die Haftungssumme betrug zuletzt . . . DM, von denen . . . DM auf Säumniszuschläge und . . . DM auf Verspätungszuschläge entfielen.

Der Kläger war im Haftungszeitraum zusammen mit einem weiteren Geschäftsführer alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH, die als Verwaltungsgesellschaft die Geschäfte der KG führte. Über das Vermögen der KG wurde am . . . das Konkursverfahren eröffnet. Die Umsatzsteuerschulden der KG beruhten auf einer durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung, bei der sich herausstellte, daß für die KG unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die Steuerschulden daher nicht in der richtigen Höhe festgesetzt und bezahlt worden waren.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Haftungssumme um die Säumniszuschläge herabsetzte; im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Der Kläger sei für die Umsatzsteuerschulden der KG sowie der Verspätungszuschläge nach §§ 109, 103 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 191 i.V.m. §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) zu Recht in Anspruch genommen worden. Er habe sich nach seinen Angaben nicht um die steuerlichen Belange der KG gekümmert, worin eine grob fahrlässige Verletzung seiner Geschäftsführertätigkeit zu sehen sei. Auch bei mehreren Geschäftsführern treffe jeden die Pflicht und die Verantwortung für die Geschäftsführung im ganzen.

Die Haftung des Klägers erstrecke sich auch auf die Umsatzsteuer für . . . Die Umsatzsteuervoranmeldung für diesen Monat sei aufgrund der Dauerfristverlängerung bis zum . . ., also vor Konkurseröffnung, abzugeben gewesen. Eine Schonfrist bis zum . . . für die Abgabe der Voranmeldung - wie sie der Kläger für sich in Anspruch nehme - gebe es nicht.

Ermittlungen darüber, ob die KG bei Abgabe richtiger Voranmeldungen nicht in der Lage gewesen sei, die Umsatzsteuer zu zahlen, brauche das FG nicht anzustellen, da der Kläger das Unternehmen als wirtschaftlich stabil bezeichnet habe.

Die vom Bundesfinanzhof - BFH - zugelassene Revision stützt sich auf Verfahrensfehler des FG. Der Kläger rügt eine Verletzung der Vorschriften des § 90 Abs. 1 Satz 1, § 76 FGO und Art. 103 des Grundgesetzes (GG).

Die Entscheidung des FG sei nicht aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) ergangen, weil das angefochtene Urteil ausweislich der FG-Akte bereits . . ., also vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung am . . ., verfaßt worden sei. Das bereits vor diesem Termin fertiggestellte Urteil dokumentiere, daß die Entscheidung des Gerichts bereits vor der mündlichen Verhandlung festgefügt, die ,,Verhandlung" deshalb nur eine Formalie gewesen sei. Darin liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG.

Ein weiterer Verfahrensfehler sei darin zu sehen, daß es das FG abgelehnt habe, Ermittlungen zur Liquidität der KG während des Haftungszeitraums durchzuführen. Das FG sei deshalb der Tatfrage, ob der KG als Steuerschuldnerin bereits bei Fälligkeit der Umsatzsteuerschulden überhaupt genügend Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um sowohl die Steuer- als auch die übrigen Gläubigerforderungen zu befriedigen, d.h., ob die Mittel zur restlosen Tilgung der Umsatzsteuerschulden ausgereicht hätten, nicht nachgegangen. Solche Ermittlungen hätten sich jedoch geradezu aufgedrängt, da bereits drei Tage nach dem letzten Fälligkeitstermin (Umsatzsteuervorauszahlung für . . .) das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Daß der KG zu diesem Zeitpunkt - der Konkursantrag sei bereits seit Wochen gestellt gewesen - und auch im zeitlichen Vorfeld des Konkursverfahrens keine ausreichenden Mittel zur Tilgung ihrer gesamten Schuldenlast oder auch nur der Umsatzsteuer zur Verfügung gestanden hätten, habe sich zwingend aufgedrängt. Das FG hätte den Sachverhalt in dieser Hinsicht weiter erforschen müssen. Das FG hätte die Geschäftsbücher der KG und die Konkursakten einsehen müssen, Sachverständigengutachten einholen und den früheren Mitgeschäftsführer als Zeugen hören können. Diese Ermittlungen hätten ergeben, daß die finanziellen Mittel der KG nicht zu einer restlosen Tilgung ihrer Umsatzsteuerverbindlichkeiten ausgereicht hätten. Die angefochtene Entscheidung beruhe auf diesen gerügten Ermittlungsfehlern, da nach ständiger Rechtsprechung des BFH bei Nichtvorhandensein ausreichender Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten die Umsatzsteuerschulden nur in etwa gleichem Verhältnis zu tilgen seien wie die Verbindlichkeiten anderer Gläubiger.

Weiter macht der Kläger geltend, daß die Nichtaufklärung des Sachverhalts auch eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO darstelle, denn es verstoße gegen die allgemeinen Denkgesetze und Erfahrungssätze, eine Gesellschaft drei Tage vor Eröffnung des Konkursverfahrens und sechs Wochen nach Stellung des Konkursantrags noch als ,,wirtschaftlich stabil" zu beurteilen.

Der Kläger beantragt unter Aufhebung der Vorentscheidung, soweit mit ihr die Klage abgewiesen wurde, den Haftungsbescheid aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler des FG in der nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO erforderlichen Form dargelegt worden sind, denn in der Revisionsschrift werden auch materielle Rechtsfehler der Vorinstanz geltend gemacht. Der Kläger hat vorgetragen, das FG habe mit seiner Feststellung, die KG sei trotz der Konkurseröffnung ,,wirtschaftlich stabil" gewesen, gegen allgemeine Erfahrungssätze und Denkgesetze verstoßen. Damit wird inhaltlich eine Verletzung materiellen Rechts gerügt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl. 1988, § 118 FGO Tz.6 und 7), auch wenn in der Revisionsschrift dieser Verstoß den Verfahrensfehlern zugeordnet ist. Mit der erhobenen Sachrüge ist die Vorentscheidung in vollem Umfang zur revisionsgerichtlichen Überprüfung gestellt (vgl. § 118 Abs. 3 FGO). Diese ergibt, daß die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht ausreichen, die Haftung des Klägers dem Grunde nach und in der Höhe der festgesetzten Haftungsbeträge zu bejahen. Es ist nicht festgestellt, inwieweit dem Kläger ausreichend Mittel zur Tilgung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden haben.

Der Kläger hatte als einer der gesetzlichen Vertreter der geschäftsführenden GmbH dafür zu sorgen, daß die Steuern der KG aus Mitteln, die er verwaltete, entrichtet wurden (§§ 103 Satz 1, 109 Abs. 1 AO; §§ 69, 34 AO 1977). Eine schuldhafte Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten ist ihm nur vorzuwerfen, wenn er es versäumt hat, die Umsatzsteuerrückstände in etwa (d.h. überschlägig gerechnet) gleicher Weise zu tilgen wie die Forderungen anderer Gläubiger (Grundsatz der anteiligen Tilgung; vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, 449 f., BStBl II 1984, 776). Zur Begründung eines solchen Schuldvorwurfes wäre es notwendig gewesen, Feststellungen zu treffen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten einschließlich der Steuerschulden und zu den im Haftungszeitraum auf diese geleisteten Zahlungen. Wurden bei eingeschränkter Zahlungsfähigkeit die Steuerschulden nicht in demselben Verhältnis beglichen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern, so haftet der Kläger im Umfang des unterschreitenden Fehlbetrags (vgl. BFH-Urteile vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, 490 f.,BStBl II 1985, 539; vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, 512 f., BStBl II 1986, 657; vom 16. September 1987 X R 3/81, BFH/NV 1988, 283). Diese Grundsätze gelten nach der Entscheidung des Senats vom 12. Juli 1988 VII R 4/88 (BFHE 154, 206, BStBl II 1988, 980) auch dann, wenn die Umsatzsteuervoranmeldungen nicht oder - wie im Streitfall - nicht ordnungsgemäß abgegeben wurden.

Die in sich nicht widerspruchsfreien Feststellungen im angefochtenen Urteil tragen insbesondere nicht den Vorwurf, der Kläger habe auch seine Pflicht, die Umsatzsteuerschuld für den Voranmeldungszeitraum . . . zu zahlen, schuldhaft verletzt. Ohne rechtliche Bedeutung ist dabei der Hinweis des FG, der Kläger habe das Unternehmen als wirtschaftlich ,,stabil" bezeichnet. Denn diese Angabe beinhaltet keine Aussage über die Zahlungsfähigkeit der KG im Haftungszeitraum. Angesichts des Anfang . . . beantragten und am . . . eröffneten Konkursverfahrens hätte das FG gerade für diese Steuerschuld, aber auch für die weiter zurückliegenden Monate des Jahres . . . erläutern müssen, aus welchen Mitteln der Kläger die auf diesen Zeitraum entfallende Umsatzsteuer hätte bezahlen können. Trotz der offensichtlichen Zahlungsunfähigkeit der KG i.S. von § 102 der Konkursordnung (KO) hat das FG nicht festgestellt, in welchem anteiligen Verhältnis zu den übrigen Verbindlichkeiten der Kläger die Mittel der KG zur Begleichung der Steuerschulden verwendet hat. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Der erkennende Senat kann die zur Berechnung der anteiligen Umsatzsteuer erforderlichen Ermittlungen seinerseits nicht vornehmen, weshalb die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen ist (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO)

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 481

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