Leitsatz (amtlich)

Zur Berechnung der Haftungssumme bei der Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerrückstände, wenn im Haftungszeitraum vom Steuerschuldner noch andere Verbindlichkeiten getilgt worden sind (Grundsatz der anteiligen Tilgung; Anschluß an das Urteil des BFH vom 26.April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776).

 

Normenkette

AO §§ 108-109, 103, 105; AO 1977 §§ 69, 34; UStG 1967 §§ 18, 16

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte im März 1968 die persönlich haftende Gesellschafterin einer Handelsgesellschaft (KG) geheiratet. Aufgrund einer ihm von seiner Ehefrau erteilten Generalvollmacht vom 8.September 1969 betätigte sich der Kläger von diesem Zeitpunkt an als Geschäftsführer der KG. Am 28.Mai 1975 wurde über das Vermögen der KG das Vergleichsverfahren, am 26.Juni 1975 das Anschlußkonkursverfahren und gleichzeitig über das Vermögen der Ehefrau des Klägers das Konkursverfahren eröffnet.

Mit Haftungsbescheid vom 13.Oktober 1975 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Kläger als den mit der Geschäftsführung der KG Beauftragten gemäß §§ 108, 109 der Reichsabgabenordnung (AO) für die Umsatzsteuerrückstände der KG in Anspruch. Die Haftungssumme setzte sich zufolge des Haftungsbescheids in Form der Einspruchsentscheidung vom 29.Januar 1979 wie folgt zusammen:

..... insgesamt: 775 407,55DM.

Die Klage, mit der der Kläger die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrte, hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Der Kläger sei zu Recht als Haftungsschuldner herangezogen worden, weil er in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter der KG es unterlassen habe, für die Begleichung der Umsatzsteuerrückstände zu sorgen. Die Umsatzsteuerschulden hätten vorrangig vor anderen Verbindlichkeiten befriedigt werden müssen. Der Kläger habe nicht nur hiergegen verstoßen, sondern --wie sich aus einer vom FA erstellten und vom Kläger inhaltlich nicht bestrittenen Aufstellung ergebe-- in der Zeit von Anfang Januar 1975 bis Ende Juni 1975 sogar 789 469 DM auf Lieferantenschulden zurückgezahlt, die Umsatzsteuerschulden also nicht einmal anteilig berücksichtigt.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er rügt unrichtige Anwendung von §§ 109, 108 AO. Ihm --dem Kläger-- sei hinsichtlich der Nichtbegleichung der Steuerschulden allenfalls leichte Fahrlässigkeit anzulasten, was zur Heranziehung als Haftungsschuldner nicht ausreiche (Hinweis auf § 69 der Abgabenordnung --AO 1977--). Das FG sei unzutreffend davon ausgegangen, daß die Umsatzsteuerschulden vorrangig vor anderen Verbindlichkeiten hätten beglichen werden müssen. Die teilweise Rückführung der zu Jahresbeginn 1975 auf über 6 Mio DM angestiegenen Lieferantenschulden (um 789 469 DM) in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1975 sei wegen des Drängens einiger Lieferanten zur Fortführung des Betriebs unerläßlich gewesen. Teilweise seien die Umsatzsteuervorauszahlungen im übrigen erst fällig geworden, nachdem bereits der Vergleichsverwalter (nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens im Mai 1975) tätig geworden sei, der sich --ab 11.Juni 1975-- die Auszahlung von Beträgen über 500 DM selbst vorbehalten habe, so daß der Kläger höhere Beträge von sich aus nicht habe anweisen können. Schließlich habe das FG nicht hinreichend geprüft, ob und inwieweit in den Monaten Mai und Juni 1975 andere Verbindlichkeiten überhaupt vorrangig befriedigt worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Die Haftungssumme ist durch Kürzung um 243 952 DM auf 531 455 DM herabzusetzen.

1. Der Kläger ist in seiner Eigenschaft als Generalbevollmächtigter der persönlich haftenden Gesellschafterin der KG als Bevollmächtigter dieser Gesellschaft aufgetreten (§ 108 AO) und hatte dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet wurden (§ 103 AO). Soweit durch eine schuldhafte Verletzung dieser Sorgfaltspflicht Steuerverkürzungen eingetreten sind, haftet der Kläger persönlich neben der KG (§ 109 AO).

2. Steuerverkürzungen sind hier eingetreten, weil die Umsatzsteuervorauszahlungen von der KG für Dezember 1974 nur in Höhe von 99 458 DM und für Januar bis Mai 1975 überhaupt nicht erbracht worden sind. Ob dies auf einer schuldhaften Verletzung der dem Kläger obliegenden Sorgfaltspflicht beruht, hängt davon ab, ob der KG bei Fälligkeit der Vorauszahlungsschulden hinreichende Mittel für deren Begleichung zur Verfügung gestanden haben und --wenn dies nicht der Fall gewesen ist-- ob die vorhandenen Mittel zu einer in etwa gleichmäßigen Befriedigung der anderen Gläubiger und des FA verwendet worden sind. Die vom FG --wenn auch nicht durchgängig-- vertretene Auffassung, die Umsatzsteuerschulden seien vorrangig vor anderen Verbindlichkeiten zu entrichten gewesen, teilt der Senat nicht. Er verweist dieserhalb auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26.April 1984 V R 128/79 (BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776), demzufolge Umsatzsteuerrückstände --anders als Lohnsteuerschulden-- in etwa gleicher Weise zu tilgen sind wie die Forderungen anderer Gläubiger (sog. anteilige Tilgung; vgl. Ziff.3 c der Entscheidungsgründe).

3. Im Streitfall ist dieser Gesichtspunkt deshalb entscheidungserheblich, weil --im Gegensatz zur Auffassung des FG-- nicht davon ausgegangen werden kann, daß der KG in der Zeit von Anfang 1975 bis Mitte Juni 1975 ausreichende Mittel zur Begleichung der Umsatzsteuervorauszahlungsschulden zur Verfügung gestanden haben. Das FG hat sich für seine Auffassung auf die Aufstellungen des FA über die Entwicklung der Gesamteinnahmen, der Geldkonten und der Kreditoren in der Zeit von Januar 1975 mit Juni 1975 gestützt. Die Höhe der erzielten Gesamteinnahmen ermöglicht für sich allein jedoch keine Aussage über die Zahlungsfähigkeit der KG in dem genannten Zeitraum. Aus der Entwicklung der Geldkonten, auf die das FG in dem angefochtenen Urteil verweist, ergibt sich vielmehr, daß die Gesellschaft in dem fraglichen Zeitraum nicht mehr hinreichend zahlungsfähig war.

Die Überprüfung, ob die Umsatzsteuerschulden etwa in dem gleichen Verhältnis gezahlt worden sind wie die anderen Verbindlichkeiten, ergibt rein rechnerisch folgendes: Der Schuldenstand (ohne Umsatzsteuer) zum 1.Januar 1975 betrug 6 179 062 DM, der Zugang an Lieferantenschulden zwischen Januar bis Ende Juni 1975 insgesamt 15 288 345 DM. Es waren mithin an Lieferantenschulden in der Zeit von Januar mit Juni 1975 insgesamt zu tilgen 21 467 407 DM. Der Umsatzsteuerrückstand aus der Voranmeldung für Dezember 1974 betrug ursprünglich 195 700 DM, die von Januar bis Mai 1975 aufgelaufenen Rückstände betrugen 679 165 DM, so daß insgesamt 874 865 DM für Umsatzsteuer zu tilgen gewesen wären. Die gesamten Verbindlichkeiten (Lieferantenschulden und Umsatzsteuer zusammen) bis Ende Juni 1975 beliefen sich auf 22 342 272 DM (21 467 407 DM + 874 865 DM). Hiervon entfällt auf die Umsatzsteuer ein Anteil von 3,9 %.

Gezahlt wurden auf Lieferantenschulden von Januar mit Juni 1975 insgesamt 16 077 814 DM und auf rückständige Umsatzsteuer Dezember 1974 insgesamt 99 458 DM (einschließlich Umbuchung mit 29 458 DM), auf die gesamten Verbindlichkeiten sonach 16 177 272 DM (16 077 814 DM + 99 458 DM). Der Anteil, der auf die Umsatzsteuerrückstände bei Anlegung des Verhältnisses der Umsatzsteuerrückstände zu den Gesamtverbindlichkeiten (3,9 %) hätte gezahlt werden müssen, hätte demnach 630 913 DM betragen: Tatsächlich gezahlt (einschließlich Umbuchung) wurden jedoch nur 99 458 DM, so daß ein Fehlbetrag von 531 455 DM verbleibt.

Zu dem nämlichen zahlenmäßigen Ergebnis gelangt man, wenn man das Verhältnis zwischen den Gesamtverbindlichkeiten (22 342 272 DM) und den darauf geleisteten Zahlungen (16 177 272 DM), das 72,4 % beträgt, in Beziehung setzt zu den Umsatzsteuerrückständen (874 865 DM). Auch bei dieser Berechnung ergibt sich letztlich der genannte Fehlbetrag von 531 455 DM.

Mit diesem Betrag haftet der Kläger wegen Verletzung seiner Sorgfaltspflicht persönlich (§ 109 i.V.m. §§ 108, 103 AO). Sein Einwand, er habe ab 11.Juni 1975 von sich aus ohne Zustimmung des Vergleichsverwalters Beträge über 500 DM nicht mehr auszahlen dürfen, ist nicht stichhaltig. Denn dieser Einwand könnte allenfalls für die Umsatzsteuervorauszahlungsschuld für Juni 1975 bedeutsam sein, die das FA bereits in der Einspruchsentscheidung aus der Haftungssumme herausgenommen hatte.

Die Sache ist spruchreif. Die Haftungssumme ist unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils um den über 531 455 DM hinausgehenden Differenzbetrag von 243 952 DM (775 407 DM ./. 531 455 DM) zu kürzen und auf 531 455 DM festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60684

BStBl II 1985, 539

BFHE 143, 488

BFHE 1985, 488

BB 1985, 1654-1654 (ST)

DB 1985, 2132-2132 (ST)

DStR 1985, 609-609 (ST)

HFR 1985, 503-504 (ST)

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