Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Anspruch auf Erlaß der Lohnsummensteuer

 

Leitsatz (NV)

Werden in einem lohnintensiven Unternehmen auf Jahre Verluste erwirtschaftet, so besteht ein Anspruch auf Erlaß der Lohnsummensteuer jedenfalls dann nicht, wenn aus den Umständen, insbesondere dem Verhalten des Unternehmens selbst, zu schließen ist, daß auf die Dauer wieder Gewinne erzielt werden.

 

Normenkette

AO § 131; AO 1977 § 227

 

Tatbestand

Die Klägerin war ein Textilunternehmen mit dem Sitz in Westdeutschland und u.a. einer Betriebstätte in Berlin (West). In den Kalenderjahren 1972 bis 1976 erwirtschaftete die Klägerin Verluste von insgesamt rd. . . . DM. Das Betriebsergebnis 1977 von . . . DM war positiv ausgefallen, weil sie außerordentliche Erträge von . . . DM erzielt hatte. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hatten ihre Gesellschafter und die Hausbanken 1973 . . . DM und 1974 . . . DM Sanierungszuschüsse geleistet. Einige Bundesländer hatten ein staatsverbürgtes Darlehen von . . . DM gewährt, dessen Tilgung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens für 1976 und 1977 ausgesetzt und dessen ursprüngliche Laufzeit (bis 31. Dezember 1978) bis zum 31. Dezember 1982 verlängert worden sei.

Die Klägerin wurde in Berlin in den Kalenderjahren 1972 bis 1976 sowie bis zum 30. September 1977 zur Lohnsummensteuer veranlagt. Sie hat die festgesetzten Beträge entrichtet. Um Stundung oder Erlaß hat sie nicht nachgesucht.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1977 beantragte die Klägerin, ihr die Lohnsummensteuer im Erlaßwege zu erstatten. Sie berief sich auf das BFH-Urteil vom 21. April 1977 IV R 161-162/75 (BFHE 122, 141, BStBl II 1977, 512). Danach sei ein Erlaß geboten, wenn die Verlustperiode längere Zeit andauere. Das Finanzamt wies den Antrag, da es an einer Existenzbedrohung der Klägerin fehle, zurück.

Auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg. In der Beschwerdeentscheidung hob die Oberfinanzdirektion u.a. das verbesserte Betriebsergebnis für 1978 von rd. . . . DM hervor.

Klage und Revision hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden (§ 227 AO 1977). Die Finanzbehörden haben im Streitfall die Erstattung von Lohnsummensteuer im Erlaßwege abgelehnt. Die Auffassung des FG, dies halte sich im Rahmen des Verwaltungsermessens, ist nicht zu beanstanden. Die Gewährung oder Ablehnung eines Billigkeitserlasses nach § 227 AO 1977 ist eine Ermessensentscheidung (siehe zu § 131 der - AO - Beschluß vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70 des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden sind nur beschränkt gerichtlich nachprüfbar. Das Gericht hat zu untersuchen, ob der Verwaltungsakt oder - wie hier - die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Eine eigene Entscheidung darf das Gericht nur dann treffen, wenn im Einzelfall - wie es hier die Klägerin geltend macht - die Ermessensgrenzen so eingeschränkt sind, daß eine bestimmte Entscheidung möglich ist, während jede andere zu einem Ermessensfehler führen müßte (BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; BFH-Urteil vom 21. April 1983 IV R 143/79, BFHE 138, 499, BStBl II 1983, 587, mit weiteren Hinweisen; vgl. hierzu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 102 Rdnr. 8; Tipke / Kruse, AO / FGO, 11. Aufl., § 102 FGO, Tz. 3).

2. Die Ansicht der Klägerin, das FA hätte ihr nach den Grundsätzen der Rechtsprechung von BVerfG und BFH einen Erlaß gewähren müssen, geht fehl. Der erkennende Senat braucht deshalb - ebensowenig wie das FG - auf die Frage einzugehen, ob der Antrag der Klägerin - jedenfalls zum Teil - schon daran scheitern müßte, daß der Antrag erst mehr als zwei Jahre nach Entstehung der betreffenden abgabenrechtlichen Schuld gestellt worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 27. März 1958 Vz 181/57 U, BFHE 66, 647, BStBl III 1958, 248, und vom 13. Januar 1976 VII R 47/74, BFHE 118, 3).

Die Klägerin kann sich nicht auf einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Erlaß der Lohnsummensteuer berufen.

a) In seinem Beschluß vom 21. Dezember 1966 1 BvR 33/64 (BStBl III 1967, 743) hat das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Lohnsummensteuer (§ 6 Abs. 2 - GewStG -) bejaht. Es hat die Übereinstimmung der Lohnsummensteuer mit dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer hervorgehoben und die für die Verfassungsmäßigkeit sprechenden sachlich einleuchtenden Gründe u.a. aus den Belastungen und Aufwendungen hergeleitet, die den Gemeinden mit der Existenz eines Gewerbebetriebs erwachsen. Dieser Gedanke sei bei der Gewerbesteuer nach der Lohnsumme am reinsten verwirklicht; denn das Ausmaß dieser Lasten sei unabhängig von den Erträgen der die Lasten verursachenden Unternehmen. Die Lohnsummensteuer dürfe daher auch erhoben werden, wenn ,,einmal kein Ertrag" erwirtschaftet werde. Falls es zur Gefährdung oder Bedrohung eines Unternehmens kommen sollte, müsse mit der Härteklausel des § 131 AO (jetzt § 227 AO 1977) geholfen werden.

b) Dies hat der BFH in dem von der Klägerin in erster Linie herangezogenen Urteil in BFHE 122, 141, BStBl II 1977, 512 näher präzisiert. Der Urteilsfall hatte ein Unternehmen betroffen, das in den Zeiträumen, für die Festsetzung der Lohnsummensteuer auf 0 DM beantragt worden war, keine Gewinne abgeworfen hatte. Der IV. Senat des BFH wies auf die schon früher im Beschluß des BVerfG aufgezeigte Möglichkeit der Abhilfe nach § 131 AO (§ 227 AO 1977) hin und führte aus: Es sei nicht von der Hand zu weisen, daß die Festsetzung und Erhebung der Lohnsummensteuer ,,in gewissen Fällen - insbesondere bei einer über mehrere Jahre andauernden Verlustperiode eines Unternehmens - zu empfindlichen Härten führen kann". In Fällen dieser Art bestehe nach § 131 Abs. 1 AO (§ 227 AO 1977) die Möglichkeit, ,,ggf. sogar die verfassungsmäßige Pflicht", Abgaben zu erlassen. Diese Frage aber sei nicht Gegenstand des auf die Festsetzung der Lohnsummensteuer auf 0 DM gerichteten Klagebegehrens.

c) Schließlich hat das BVerfG in seinem Beschluß vom 1. Juni 1978 1 BvR 364/78 - HFR - 1978, 340) die Verfassungsmäßigkeit der Lohnsummensteuer für 1971 und 1972 erneut bestätigt. Es hat auf die Abzugsfähigkeit der durch die Lohnsummensteuer erlittenen Verluste nach § 10d EStG und § 10a GewStG hingewiesen und im übrigen ausgeführt: ,,Die Lohnsummensteuer kann bei lohnintensiven Betrieben, die über längere Zeit nur Verluste erleiden, zu erheblichen Härten führen." Diese Härten seien im Verfahren nach § 227 AO 1977 ,,zu mildern".

3. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich - selbst bei lohnintensiven Betrieben und längerer Verlustdauer - jedenfalls kein genereller Anspruch auf Erlaß der Lohnsummensteuer aufgrund einer sachlichen Unbilligkeit. Vielmehr haben die Finanzbehörden im Rahmen ihres Ermessens das Interesse des Steuergläubigers an der Festsetzung und Erhebung einer gerade auf dem Gedanken der Krisenfestigkeit beruhenden Abgabe einerseits gegen das Interesse des steuerpflichtigen Unternehmens andererseits abzuwägen. Dabei sind die besonderen Verhältnisse des Unternehmens daraufhin zu untersuchen, ob trotz der jahrelangen Verluste seine Existenz bedroht oder gefährdet war. Der Senat braucht nicht im einzelnen zu untersuchen, wie der Begriff ,,lohnintensives Unternehmen" betriebswirtschaftlich abzugrenzen ist. Er geht jedenfalls von einem erheblichen Anteil der Lohnkosten von 43 v.H. in der Berliner Betriebstätte und von 30 v.H. im Gesamtunternehmen aus. Andererseits darf zum einen berücksichtigt werden, inwieweit die Lohnsummensteuer im Rahmen der erlittenen Verluste ins Gewicht fällt, und zum anderen, wie die Aussichten sind, das Unternehmen trotz drückender Wettbewerbsnachteile wieder in die Gewinnzone zu bringen.

4. Die von den Finanzbehörden erwogenen Umstände halten sich im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens.

Dabei wurde nicht verkannt, daß die Liquiditätslage des Unternehmens eingeschränkt war. Bei Beurteilung der Frage, ob die Einziehung im Zeitpunkt der Erfüllung (Tipke/Kruse, a.a.O., § 227 AO 1977, Tz. 58) unbillig war, durfte auch berücksichtigt werden, daß die Klägerin bereits in den Jahren 1973 und 1974 Sanierungshilfen sowohl seitens ihrer Gesellschafter und ihrer Hausbanken als auch staatliche Bürgschaften in nicht unbeträchtlichem Umfange erhalten hat. Die Erwägung der Finanzbehörden, daß insbesondere die Bundesländer ihre Finanzierungshilfe - auch wenn damit das Interesse an der Erhaltung von Arbeitsplätzen in Berlin bezweckt gewesen sein sollte - nicht gewährt hätten, wenn sie nicht davon ausgegangen wären, daß die Klägerin auf die Dauer wieder Gewinne erzielen werde, ist nicht zu beanstanden. Auch durfte bei der Abwägung der Interessen des Steuergläubigers an einer von der Ertragslage grundsätzlich unabhängigen Steuer gegenüber den Belangen des steuerpflichtigen Unternehmens ins Gewicht fallen, daß die Lohnsummensteuer nach den Feststellungen des FG nur höchstens 0,1 v.H. der (gesamten) Betriebsaufwendungen ausmachte und daß die Klägerin durch Zahlung der Lohnsummensteuer in den einzelnen Jahren selbst nicht vom Vorliegen einer unbilligen Härte ausgegangen ist. Schließlich war die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen den Erlaß von Lohnsummensteuer zu beantragen, schon seit dem Beschluß des BVerfG (BStBl III 1967, 743) bekannt. Die Klägerin hat aber noch nicht einmal Stundung beantragt. Der tatsächlichen Feststellung des FG, das diese von der OFD übernommen hat, daß im Wirtschaftsjahr 1978 sogar ein Gewinn in Höhe von . . . DM erzielt worden sei, hat die Klägerin nicht widersprochen. Das FG hat daher zu Recht gebilligt, daß die Finanzbehörden die Erstattung der Lohnsummensteuer im Erlaßwege auch wegen Fehlens persönlicher Unbilligkeitsgründe abgelehnt haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413932

BFH/NV 1986, 377

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