Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung im Klageverfahren wegen Gewerbesteuerzerlegung; Korrektur der Zerlegung bei Berücksichtigung einer nicht steuerberechtigten Gemeinde

 

Leitsatz (NV)

1. Zum Klageverfahren wegen Gewerbesteuerzerlegung sind die Gemeinden notwendig beizuladen, auf deren zugeteilten oder beanspruchten Zerlegungsanteile sich ein Erfolg der Klage auswirken würde.

2. § 189 Satz 1 AO 1977 ist keine Rechtsgrundlage, um Fehler zu korrigieren, die auf der Berücksichtigung einer nicht steuerberechtigten Gemeinde beruhen.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 3 S. 1; AO 1977 § 186 S. 1, § 189

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die L-GmbH unterhielt in den Erhebungszeiträumen 1977 und 1978 (Streitjahre) in über 30 Gemeinden Betriebsstätten, darunter auch im Gemeindegebiet der Klägerin und Revisionsklägerin (Klin.). Aufgrund eines Irrtums gab die L-GmbH in den Erklärungen für die Zerlegung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge (Zerlegungserklärungen) für die Streitjahre statt der Klin. die Gemeinde R (Beigeladene zu 1) an. In der Gemeinde R unterhielt die L-GmbH in den Streitjahren jedoch keine Betriebsstätte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) folgte bei den Zerlegungen den Angaben in den Zerlegungserklärungen. Daher wurden der Gemeinde R statt der Klin. Zerlegungsanteile zugeteilt.

Aufgrund einer Außenprüfung bei der L-GmbH änderte das FA 1985 die Zerlegungsbescheide, ohne den Fehler zu bemerken. Die Zerlegungsbescheide und die ihnen zugrundeliegenden Gewerbesteuermeßbescheide wurden nicht angefochten.

Mit Schreiben vom 18. März 1987 in formierte die Klin. das FA über den bei den Zerlegungen unterlaufenen Fehler und beantragte, ihr statt der Gemeinde R die Zerlegungsanteile zuzuteilen. Schon vorher -- am 22. April 1986 -- hatte die Klägerin bei einem anderen FA, das sie für die Besteuerung der L-GmbH für zuständig hielt, beantragt, ihr wegen der in ihrem Gemeinde gebiet unterhaltenen Betriebsstätte der L-GmbH Zerlegungsanteile für die Erhebungszeiträume ab 1977 zuzuteilen. Am 10. Oktober 1986 hatte sie einen entsprechenden Antrag auch beim FA gestellt.

Das FA lehnte am 22. April 1987 die Änderung der Zerlegungsbescheide unter Hinweis auf die eingetretene Festsetzungsverjährung ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Das FG hat bisher nur die Gemeinde R und die L-GmbH gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO zum Verfahren beigeladen. Es hätte jedoch auch die anderen Gemeinden, denen in den Zerlegungsbescheiden für die Streitjahre ein Anteil an den einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträgen zugeteilt worden ist, gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO zum Verfahren notwendig beiladen müssen. Wird eine notwendige Beiladung unterlassen, so ist dies ein Verstoß gegen die Grundordnung des finanzgerichtlichen Verfahrens. Er kann im Revisionsverfahren nicht mehr geheilt werden (§ 123 Satz 1 FGO) und führt -- auch wenn er nicht gerügt wurde -- ohne Sachprüfung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789; vom 24. November 1993 II R 127/89, BFH/NV 1994, 493 m. w. N.).

1. Gemäß § 186 Satz 1 AO 1977 sind am Zerlegungsverfahren (§§ 185 bis 189 AO 1977) der Steuerpflichtige und die Steuerberechtigten beteiligt, denen ein Anteil an dem Steuermeßbetrag (Zerlegungsanteil) zugeteilt worden ist oder die einen Anteil beanspruchen. Die Entscheidung kann ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen (s. BFH-Urteile vom 15. Mai 1975 IV R 197/71, BFHE 116, 382, BStBl II 1975, 828; vom 12. Oktober 1977 I R 226/75, BFHE 123, 500, BStBl II 1978, 111; vom 12. Mai 1992 VIII R 45/90, BFH/NV 1993, 191 m. w. N.). Zu dem die Zerlegung betreffenden finanzgerichtlichen Klageverfahren sind jedoch nur die Gemeinden notwendig beizuladen, die von dem Klagebegehren berührt werden (s. Urteil in BFHE 123, 500, BStBl II 1978, 111). Berührt von dem Klagebegehren wird eine Gemeinde dann, wenn ein Erfolg der Klage sich auf die Höhe des der Gemeinde zugeteilten oder von ihr beanspruchten Zerlegungsanteils auswirken würde.

2. Das FG und -- wie der Klageantrag zeigt -- auch die Klin. sind davon ausgegangen, daß bei einem Erfolg der Klage die Zer legungsanteile, die bisher zu Unrecht der Gemeinde R zugeteilt wurden, der Klin. zuzuteilen sind und somit die anderen Gemeinden von dem Klagebegehren nicht berührt werden. Dabei haben das FG und die Klin. jedoch § 189 Satz 2 AO 1977 nicht beachtet. Nach ihm dürfen dann, wenn der bisherige Zerlegungsbescheid gegenüber denjenigen Steuerberechtigten, die an dem Zerlegungsverfahren bereits beteiligt waren, unanfechtbar geworden ist, bei der Änderung gemäß § 189 Satz 1 AO 1977 nur solche Änderungen vorgenommen werden, die sich aus der nachträglichen Berücksichtigung des übergangenen Steuerberechtigten ergeben. § 189 Satz 1 AO 1977 ist daher keine Rechtsgrundlage, um Fehler zu korrigieren, die auf der Berücksichtigung einer nicht steuerberechtigten Gemeinde beruhen (s. a. BFH-Urteil vom 24. März 1992 VIII R 33/90, BFHE 168, 350, BStBl II 1992, 869). Derartige Fehler dürfen ebenso wie z. B. der Ansatz zu hoher Arbeitslöhne oder Betriebseinnahmen zugunsten eines Steuerberechtigten bei einer Änderung gemäß § 189 Satz 1 AO 1977 nicht berichtigt werden.

3. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Zerlegungsbescheide, deren Änderung gemäß § 189 Satz 1 AO 1977 die Klin. anstrebt, gegenüber allen in den Bescheiden aufgeführten und somit an der Zerlegung bereits beteiligten Gemeinden unanfechtbar geworden sind. An diese Feststellung ist der erkennende Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Ein Erfolg der Klage würde somit nicht dazu führen, daß statt der Gemeinde R die Klin. bei der Zerlegung zu berücksichtigen wäre. Vielmehr wäre die Klin. zusätzlich zu berücksichtigen. Die ihr zuzuteilenden Zerlegungsanteile gingen zu Lasten aller anderen bisher bereits an der Zerlegung beteiligten Gemeinden. Somit werden durch das Klagebegehren alle in den Zerlegungsbescheiden als Steuerberechtigte aufgeführten Gemeinden berührt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420250

BFH/NV 1995, 484

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