Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist kein Grund für eine zulassungsfreie Revision i. S. des § 116 FGO.

2. Ein Urteil ist auch dann nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO), wenn das Finanzgericht selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel stillschweigend übergangen hat. Ist ein entsprechendes Vorbringen in der Einspruchsentscheidung mit ausführlicher Begründung zurückgewiesen worden und hat der Kläger diesen Punkt in der Klagebegründung nicht mehr aufgegriffen, so setzt eine ordnungsmäßige Rüge unzureichender Urteilsbegründung voraus, daß Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, daß der Kläger seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren gleichwohl erkennbar im Klageverfahren aufrechterhalten wollte.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die halbtags als Sekretärin bei . . . beschäftigt ist, wird mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann ist als . . . nichtselbständig tätig. In ihrer Einkommensteuer-Erklärung für 1985 machte der Ehemann u. a. Aufwendungen für einen Schreibtisch in Höhe von . . . DM und Bewirtungsund Geschenkkosten von zusammen . . . DM als Werbungskosten geltend. Außerdem zog er einen an die Klägerin gezahlten und der Pauschalbesteuerung unterworfenen Arbeitslohn von 4 800 DM als Werbungskosten ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte diese Ausgaben im Einspruchsverfahren nicht mehr als Werbungskosten an, sondern erließ gegenüber dem Ehemann - nach vorherigem Hinweis - eine verbösernde Einspruchsentscheidung.

Die von beiden Eheleuten erhobene Klage hatte hinsichtlich der Aufwendungen für den Schreibtisch und der Bewirtungs- und Geschenkkosten Erfolg, im übrigen wurde sie abgewiesen.

Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage führte das Finanzgericht (FG) aus, die Einspruchsentscheidung sei versehentlich nur an den Kläger adressiert worden, so daß das Vorverfahren über den Einspruch der Klägerin noch nicht abgeschlossen sei. Gleichwohl sei die Klage auch insoweit zulässig. Dies folge aus § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da über den Einspruch ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist nicht sachlich entschieden worden sei.

Gegen das Urteil des FG richtet sich die Revision der Klägerin; die gegen die Nichtzulassung der Revision vom Kläger eingelegte Beschwerde ist durch Beschluß vom heutigen Tage . . . als unbegründet zurückgewiesen worden.Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hierzu führt sie im einzelnen aus:

Das sie betreffende Einspruchsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. ,,Der strittige Punkt", nämlich, ob eine Nachzahlung als Einkünfte nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu behandeln sei, sei nicht Gegenstand einer Einspruchsentscheidung gewesen. Wenn das FG gleichwohl auch ihre Klage, gestützt auf § 46 Abs. 1 FGO, für zulässig gehalten habe, so habe es übersehen, daß diese Vorschrift einen entsprechenden Antrag voraussetze, der hier weder gestellt noch gewollt gewesen sei. Da das Gericht gleichwohl sachlich entschieden habe, habe es auch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Das FG habe zu ihrem Vortrag überhaupt nicht Stellung genommen. Sie habe auch gar keinen Sachvortrag abgeben können, da der Berichterstatter auf ihre Einbeziehung in den Rechtsstreit nicht hingewiesen habe. Somit sei sie von der Entscheidung des Gerichts überrascht worden. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs stelle einen absoluten Revisionsgrund dar.

Einen ausdrücklichen Antrag hat die Klägerin nicht gestellt.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Es meint, da auch die Klägerin ausdrücklich gegen die Einspruchsentscheidung Klage erhoben habe, habe sie unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie eine gerichtliche Entscheidung in der Sache herbeiführen wolle. Sie habe auch genügend Gelegenheit gehabt, zu den sie betreffenden Streitpunkten Stellung zu nehmen. Diese seien sowohl in der Einspruchsentscheidung als auch in seinem, des FA, Schriftsatz vom . . . an das FG behandelt worden. Der im Einspruchsverfahren noch strittige Punkt einer Verteilung des nachträglich gezahlten Arbeitslohns auf mehrere Jahre sei von den Klägern im Klageverfahren nicht mehr aufgegriffen worden. Deshalb hätten alle am Prozeß beteiligten Parteien davon ausgehen müssen, daß dieser Punkt nicht weiterverfolgt werde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Der Senat geht davon aus, daß die Klägerin mit ihrer Revision die Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie von dieser betroffen ist, erreichen möchte, damit das FG das Verfahren gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO aussetzen kann. Eine so verstandene Revisionsbegründung enthält einen bestimmten Antrag i. S. des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO.

Die Revision ist jedoch unzulässig, weil weder das FG noch auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der Bundesfinanzhof (BFH) die Revision zugelassen hat (Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).

Auch die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 FGO liegen nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem FG ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs unterlaufen ist. Denn dieser Mangel ist kein Grund für eine zulassungsfreie Revision i. S. des § 116 FGO.

Allerdings hat die Klägerin die von ihr ausdrücklich erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch damit begründet, daß das FG zu ihrem Vortrag überhaupt nicht Stellung genommen habe. Hierin könnte zugleich die Rüge liegen, das Urteil des FG sei insoweit nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erhebung dieser Rüge wäre jedoch, daß die zu ihrer Begründung vorgebrachten Tatsachen, die lückenlos vorzutragen sind, einen entsprechenden Mangel ergeben (vgl. Gräber, Deutsches Steuerrecht 1968, 173, 175, sowie Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Anm. 3, m.w.N.). An einem derartigen Tatsachenvortrag fehlt es hier.

Zwar ist eine Entscheidung i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO auch dann nicht mit Gründen versehen, wenn sie zwar eine Begründung enthält, in dieser jedoch selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492). Um einen solchen eigenständigen Klagegrund könnte es sich bei § 34 Abs. 3 EStG handeln. Dieser Frage braucht der Senat im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht nachzugehen, da die Klägerin nicht lückenlos vorgetragen hat, daß sie ihre Klage (auch) auf § 34 Abs. 3 EStG gestützt habe. Sie hat nicht einmal vorgetragen, um welchen Sachverhalt es sich insoweit überhaupt handelt, obwohl er in dem Urteil des FG nicht angesprochen ist. Erst aus den Akten kann man ersehen, daß die Klägerin im Rahmen der Einkommensteuer-Veranlagung geltend gemacht hat, ihr im Streitjahr zugeflossene Bezüge in Höhe von . . . DM, die offenbar aus ihrer Tätigkeit als Sekretärin stammen, nach § 34 Abs. 3 EStG zum Zwecke der Einkommensteuer-Veranlagung auf die Jahre 1980, 1981 und 1982 zu verteilen. Aus den Einkommensteuer-Akten ergibt sich weiter, daß dieser Punkt im Einspruchsschreiben angesprochen worden ist. Das FA hat ihn in der Einspruchsentscheidung jedoch mit ausführlicher Begründung abgelehnt. In der Begründung der gegen die Einspruchsentscheidung von beiden Eheleuten erhobenen Klage sind die Kläger mit keinem Wort mehr auf diesen Punkt eingegangen.

Unter diesen Umständen konnte das FG davon ausgehen, daß der Punkt nicht mehr als selbständiges Angriffsmittel im Klageverfahren verwandt werden sollte. Wenn die Klägerin dessenungeachtet wegen dieses Punktes eine Rüge gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO hätte erheben wollen, so wären von ihr Tatsachen vorzutragen gewesen, aus denen sich ergibt, daß sie gleichwohl erkennbar ihren auf § 34 Abs. 3 EStG gestützten Vortrag im Klageverfahren habe aufrechterhalten wollen. Da die Klägerin dies nicht getan hat, ist ihre Rüge schon aus diesem Grunde nicht ordnungsgemäß erhoben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 652

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Basic. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge