Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine zulassungsfreie Revision wegen Nichtberücksichtigung nachgereichter Schriftsätze

 

Leitsatz (NV)

Das FG kann im Urteil auf nach Schluß der mündlichen Verhandlung vom Kläger eingereichte Schriftsätze mit Rechtsausführungen, ohne daß ihm das nachgelassen worden war, als entscheidungsunerheblich eingehen. Insoweit scheidet eine zulassungsfreie Revision, insbesondere wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) oder fehlender Gründe i.S.d. § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, aus.

 

Normenkette

FGO § 93 Abs. 3, § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 119 Nrn. 1, 3, 6

 

Verfahrensgang

FG Bremen

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erfaßte für das Streitjahr 1985 bei den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) unter anderem Einkünfte aus Kapitalvermögen und den Nutzungswert einer Wohnung gemäß § 21 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Über die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) am 21. Dezember 1992 mündlich verhandelt; die mündliche Verhandlung endete mit dem Beschluß, daß die Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Das FG wies die Klage in den Streitpunkten als unbegründet ab. Der Einkommensteuerbescheid sei auch, wie geschehen, an den Kläger bekanntzugeben gewesen. Die von den Klägern in nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätzen vom 4., 6., 7. und 8. Januar 1993 vertretene Ansicht, daß die Bekanntgabe der Bescheide deshalb rechtswidrig sei, weil es sich bei den Einkommensteuerschulden um Nachlaßerbenschulden handele, treffe nicht zu. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. April 1992 VII R 33/91 (BFHE 168, 206, BStBl II 1992, 781), das bereits vor der mündlichen Verhandlung Gegenstand der Erörterung gewesen sei. Die Revision wurde nicht zugelassen. Das dem Klägervertreter am 18. Januar 1993 zugestellte FG-Urteil ist von zwei Berufsrichtern des II.Senats des FG unterzeichnet mit dem unterschriebenen Vermerk, daß der Senatsvorsitzende wegen Urlaubs verhindert sei, seine Unterschrift beizufügen.

Gegen dieses Urteil haben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde, die ebenfalls beim Senat anhängig ist (Az. VIII B 20/93), und die vorliegende Revision eingelegt, mit der sie in erster Linie die nicht ordnungsmäßige Besetzung des FG und Verletzung rechtlichen Gehörs rügen. Denn in den nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsätzen seien weitere Rechtsverletzungen durch die Einkommensteuerbescheide, nämlich Verstöße gegen eine Reihe einzeln bezeichneter Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977), gerügt worden. Da es sich um neue Rügepunkte gehandelt habe, hätte hierüber das FG in voller Besetzung gesondert entscheiden müssen. Es habe jedoch aufgrund einer Auskunft des FG keine weitere Sitzung des Senats stattgefunden. Die Verletzung rechtlichen Gehörs bestehe darin, daß die in den Schriftsätzen vom 6., 7. und 8. Januar 1993 erhobenen Rügen ersichtlich nicht in Erwägung gezogen worden seien.

In der Sache selbst sei das FG von mehreren BFH-Urteilen abgewichen und die Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide unwirksam.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet die Revision nur statt, wenn das FG oder - auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung - der BFH sie zugelassen hat. Hieran fehlt es im Streitfall, weil der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluß vom gleichen Tage VIII B 20/93 als unzulässig verworfen hat.

Die Revision ist auch nicht als zulassungsfreie Revision i.S. des § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaft, da die Kläger in der Revisionsbegründung keinen der in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgeführten schweren Verfahrensfehler schlüssig gerügt haben.

Die Rüge, daß das FG nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), geht fehl. Diese Rüge muß sich grundsätzlich auf die Besetzung der Richterbank in der (letzten) mündlichen Verhandlung vor Erlaß des Urteils beziehen (BFH-Beschluß vom 10. Februar 1989 V R 83/88, BFH/NV 1990, 780; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Tz. 4). Deren Besetzung ist mit der Revision nicht gerügt.

Ob diese Richterbank, wie die Kläger meinen, auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung und Urteilsberatung eingereichte Schriftsätze zur Kenntnis nehmen, über die erneute Beratung und gegebenenfalls Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 FGO) befinden muß, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch im finanzgerichtlichen Verfahren können nach Schluß der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, Angriffs- und Verteidigungsmittel grundsätzlich nicht mehr vorgebracht werden (BFH-Urteile vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115, und vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489). Die davon insbesondere wegen Verfahrensfehlern in der mündlichen Verhandlung in Betracht kommenden Ausnahmen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187, und vom 29. November 1990 IV R 30/90, BFH/NV 1991, 531, Betriebs-Berater - BB - 1992, 1547) spielen hier keine Rolle. Denn die Kläger haben mit den nachgereichten Schriftsätzen weder die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt, noch drängte sich diese hier auf, da lediglich Rechtsausführungen - zur Bekanntgabe der Bescheide - nachgeschoben wurden, die nach dem FG-Urteil dem Grunde nach bereits Gegenstand der Erörterung gewesen waren. Letzteres ist mit der Revision nicht substantiiert angegriffen. Geht bei solcher Fallgestaltung das FG in den Urteilsgründen auch kurz auf nachträgliche Rechtsausführungen als unerheblich ein, wie es nach herrschender Meinung zulässig ist (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Tz. 7, und Ruban, a.a.O., § 119 Tz. 15), so handelt es sich im wesentlichen um eine Frage der Fassung der Urteilsgründe, die nur von den das Urteil unterzeichnenden Richtern zu verantworten sind (vgl. Sangmeister, Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 1989, 25, 28 Fn.56). Infolgedessen kommt es auch nicht darauf an, ob der an der Unterschriftsleistung verhinderte Senatsvorsitzende bei dem FG von den nachgereichten Schriftsätzen Kenntnis erlangt hat.

Im übrigen hat der BFH die Nichtberücksichtigung nachgereichter Schriftsätze grundsätzlich nur als verfahrensfehlerhaft angesehen, wenn dadurch eine Verletzung rechtlichen Gehörs oder der finanzgerichtlichen Sachaufklärungspflicht gegeben war. Diese Verfahrensfehler zählen aber nach ständiger Rechtsprechung nicht zu den in § 116 FGO abschließend aufgezählten Fallgruppen der zulassungsfreien Revision (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 8. September 1988 III R 68/88, BFH/NV 1989, 377; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 116 FGO Tz. 8 und 11).

Soweit die Kläger bemängeln, daß das FG ihre nachgereichten Schriftsätze vom 6., 7. und 8. Januar 1993 völlig unberücksichtigt gelassen habe, handelt es sich auch um keinen Fall des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. Juni 1988 VI R 77/86, BFH/NV 1989, 179, und vom 30. Juli 1990 V R 52/87, BFH/NV 1991, 327).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 492

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