Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme einer Nichtveranlagungsbescheinigung; Wirtschaftsförderungsgesellschaften; Gemeinnützigkeit; falsche Rechtsbehelfsentscheidung

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das FA über einen Rechtsbehelf durch Einspruchsentscheidung entschieden, obgleich richtigerweise eine Beschwerdeentscheidung hätte ergehen müssen, so führt dies seit dem 1. 1. 1996 nicht mehr zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung.

2. Hat sich das FA bei Erlaß eines begünstigten VA den "Widerruf" vorbehalten, so kann es diesen selbst dann nicht für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn dies rechtswidrig war.

3. Widerruft das FA einen rechtswidrigen VA, so genügt es im allgemeinen, wenn der Widerruf mit der Rechtswidrigkeit begründet wird.

4. Sog. Wirtschaftsförderungsgesellschaften sind im allgemeinen nicht gemeinnützig.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 130-131, 349, 368 a.F.; EGAO Art. 97 § 18 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nrn. 9, 18; EStG § 44c

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Gesellschafter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, sind der Landkreis X, die Sparkasse Y und die Kreissparkasse Z. Gegenstand ihres Unternehmens ist die Förderung aller Maßnahmen, die der Entwicklung und Verbesserung der Wirtschafts- und Sozialstruktur im Landkreis X dienen, insbesondere diejenigen Maßnahmen, die auf die Schaffung neuer und auf die Erhaltung gefährdeter Arbeitsplätze hin gerichtet sind. Zu diesem Zweck wurden Richtlinien zur "Förderung der gewerblichen Wirtschaft im Landkreis X" herausgegeben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) erteilte der Klägerin am 29. Oktober 1991 für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1994 und am 29. Oktober 1994 für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1997 unter dem Vorbehalt des Widerrufs Nichtveranlagungsbescheinigungen nach § 44 c Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Am 15. Dezember 1994 widerrief das FA diese rückwirkend zum 1. Januar 1994 unter Hinweis auf die Neufassung des § 44 c Abs. 2 Nr. 1 EStG i. d. F. des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) vom 21. Dezember 1993 und forderte die Ausfertigungen der Bescheinigungen zurück. Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Einspruch und die Klage hatten keinen Erfolg (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1996, 826).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 130, 131 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise den Bescheid über den Widerruf und die Rückforderung von Nichtveranlagungsbescheinigungen vom 15. Dezember 1994 ebenfalls aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nur insoweit begründet, als das FA die Bescheinigung gemäß § 44 c Abs. 1 EStG vom 29. Oktober 1991 für die Vergangenheit widerrufen hat. Im übrigen ist die Revision zurückzuweisen.

1. Die Revision ist -- entgegen der Auffassung des FA -- nicht schon mit der Begründung zurückzuweisen, daß die Klägerin die unrichtige Klageart gewählt habe. Diese hat im Klageverfahren beantragt, "unter Aufhebung des Bescheides über den Widerruf und Rückforderung von Nichtveranlagungsbescheinigungen ... die Gemeinnützigkeit festzustellen". Sie hat damit, wie sich aus dem Wortlaut des Antrags ("unter Aufhebung des Bescheides ... ") ergibt, nicht nur eine Feststellungsklage, sondern zutreffenderweise auch eine Anfechtungsklage erhoben. Der Sache nach handelte es sich um eine Stufenklage (vgl. z. B. Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl., § 82 Rdnr. 4). Diese Feststellungsklage ist mangels besonderen Feststellungsinteresses (§ 41 der Finanz gerichtsordnung -- FGO --) unzulässig gewesen.

2. Die Klägerin hat im Revisionsverfahren in ihrem Hauptantrag ausdrücklich nur die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beantragt, weil funktionell ausschließlich die Oberfinanzdirektion (OFD) zur Entscheidung über die als "Einspruch" bezeichnete Beschwerde berufen gewesen sei (§ 368 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 i. d. F. vor Erlaß des Grenzpendlergesetzes -- GrenzPG -- vom 24. Juni 1994, BGBl I 1994, 1395, BStBl I 1994, 440). Diesem Antrag kann schon deswegen nicht entsprochen werden, weil die AO 1977 seit dem 1. Januar 1996 ein Beschwerdeverfahren nicht mehr kennt (vgl. Art. 4 Nr. 3 GrenzPG) und, für den Fall, daß über einen Rechtsbehelf nach dem 31. Dezember 1995 zu entscheiden ist, die Art des außergerichtlichen Rechtsbehelfs sowie das weitere Verfahren sich nach den ab 1. Januar 1996 geltenden Vorschriften der AO 1977 richten (Art. 97 § 18 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung -- EGAO 1977 --). Da diese als einheitliches Rechtsbehelfsverfahren nur noch das Einspruchsverfahren vorsehen, kann der Antrag der Klägerin, über ihren Rechtsbehelf durch Beschwerdeentscheidung zu entscheiden, keinen Erfolg haben (vgl. ähnlich zu Art. 97 § 18 Abs. 1 EGAO 1977; Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. Dezember 1985 V R 139/76, BFHE 146, 484, BStBl II 1986, 500).

3. Das FA konnte die Nichtveranlagungsbescheinigung vom 29. Oktober 1991 nicht für die Vergangenheit zurücknehmen.

Die Zulässigkeit der Rücknahme einer Nichtveranlagungsbescheinigung richtet sich nach den §§ 130 ff. AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 16. Oktober 1991 I R 65/90, BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322). Danach setzt sie, sofern sie für die Vergangenheit ausgesprochen werden soll, neben der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus, daß die Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 2 AO 1977 erfüllt sind. Das ist unstreitig nicht der Fall. Zwar ist anerkannt, daß die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in entsprechender Anwendung des § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auch dann zulässig ist, wenn in einem (rechtswidrigen) Verwaltungsakt die Rücknahme vorbehalten wurde (BFH-Urteile vom 30. November 1982 VIII R 9/80, BFHE 137, 209, BStBl II 1983, 187; vom 16. Juli 1985 VII R 31/81, BFHE 144, 189; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 130 AO 1977 Tz. 8 a; Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl., S. 33, m. w. N.). Im Streitfall behielt sich das FA aber nicht die "Rücknahme" (auch mit Wirkung für die Vergangenheit), sondern -- in der Annahme, einen rechtmäßigen Verwaltungsakt erlassen zu haben -- nur den "Widerruf" (mit Wirkung für die Zukunft) vor. Daran ist es gebunden.

4. Im übrigen entfaltet der Widerrufsvorbehalt uneingeschränkte Rechtswirkungen, ohne daß es darauf ankäme, ob er den Bescheinigungen zulässigerweise beigefügt wurde (vgl. BFH in BFHE 137, 209, BStBl II 1983, 187; in BFHE 144, 189; in BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322).

Der Widerruf eines Verwaltungsaktes ist eine Ermessensentscheidung (vgl. § 131 Abs. 2 AO 1977: ... darf nur ... ; vgl. auch BFH in BFHE 144, 189, m. w. N.). Das FA hat die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens weder überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 102 FGO).

a) Das FA ist zutreffenderweise davon ausgegangen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Nichtveranlagungsbescheinigung gemäß § 44 c Abs. 1 Satz 2 EStG nicht vorliegen. Eine Bescheinigung gemäß § 44 c Abs. 1 Satz 2 EStG in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung ist einer privatrechtlichen inländischen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nur zu erteilen, wenn sie gemeinnützig i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ist. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.

Steuerbefreit nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sind nur Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO 1977). Die Klägerin erfüllt bereits aufgrund ihrer Satzung nicht die Merkmale der Gemeinnützigkeit. Gegenstand und damit Zweck der Klägerin ist die Förderung aller Maßnahmen, die der Entwicklung und Verbesserung der Wirtschafts- und Sozialstruktur im Landkreis X dienen, insbesondere derjenigen Maßnahmen, die auf die Schaffung neuer und auf die Erhaltung gefährdeter Arbeitsplätze hin gerichtet sind. Es ist unstreitig, daß die Klägerin selbst keine neuen Arbeitsplätze schaffen oder gefährdete Arbeitsplätze erhalten sollte. Ihr Ziel ist die Unterstützung der Gemeinden beim Ausbau der Infrastruktur und die Unterstützung gewerblicher Unternehmen. So hat sie Richtlinien zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft erlassen, die Bestandteil des Gesellschaftsvertrages der Klägerin wurden. Danach umfaßt die Tätigkeit der Klägerin neben der Gewährung von finanziellen Unterstützungen in erster Linie die Beratung von Betrieben bei der Beschaffung behördlicher Genehmigungen und öffentlicher Zuschüsse, die Vermittlung von Kontakten zu Behörden, der Industrie- und Handelskammer bzw. der Handwerkskammer und ähnlichen Einrichtungen. Der Zweck der Klägerin ist damit weder ausschließlich noch unmittelbar auf die Förderung der Allgemeinheit, sondern auch auf die Förderung von gewerblichen Unternehmen gerichtet (vgl. z. B. Finanzgericht -- FG -- des Saarlandes, Urteil vom 21. August 1981 I 74--75/78, EFG 1982, 214; Niedersächsisches FG, Urteil vom 24. September 1980 VI 551/78, EFG 1981, 202, bestätigt durch BFH-Beschluß vom 23. April 1986 I R 234/80 nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs; vgl. ähnlich auch BFH-Urteil vom 21. August 1974 I R 81/73, BFHE 114, 100, BStBl II 1975, 121). § 58 Nr. 10 AO 1977 ist als Ausnahmebestimmung einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich. Auch der Gesetzgeber ist letztlich davon ausgegangen, daß Wirtschaftsförderungsgesellschaften -- zumindest im Regelfall -- nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG erfüllen (vgl. BTDrucks 12/4487, S. 60, 61; Oppermann, Der Betrieb 1994, 1489).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich Gegenteiliges nicht aus der Entscheidung des Senats vom 13. Dezember 1978 I R 39/78 (BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482). Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung unter Berufung auf den Wortlaut des § 52 Abs. 1 AO 1977 darauf hingewiesen, daß es für die Gemeinnützigkeit ausreiche, wenn die Tätigkeit der Körperschaft auf die Förderung der Allgemeinheit "gerichtet" ist. Diese Aussage betrifft aber nur die Auslegung des § 52 AO 1977 und berührt weder die Ausschließlichkeit gemäß § 56 AO 1977 noch die Unmittelbarkeit nach § 57 AO 1977.

b) Das FA hat -- entgegen der Auffassung der Klägerin -- auch von seinem Ermessen i. S. des § 5 AO 1977 Gebrauch gemacht.

Das FA hat den Widerruf mit der Rechtswidrigkeit der Nichtveranlagungsbescheinigung begründet. Dies reicht aus. Die Finanzbehörden als Teil der vollziehenden Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) und daher im allgemeinen verpflichtet, unter Ausnutzung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten rechtswidrige oder rechtswidrig gewordene Verwaltungsakte zurückzunehmen bzw. zu widerrufen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 130 AO 1977 Tz. 9). Anhaltspunkte dafür, daß der Klägerin aus Gründen des Vertrauensschutzes die rechtswidrigen Bescheinigungen auch für die Zukunft belassen bleiben müßten, hat diese selbst nicht vorgetragen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 904

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