Rz. 35

Durch Übertragung des Anwartschaftsrechts (entgeltlich, unentgeltlich, auf Dritte, auf den Vorerben) sowie durch entgeltliche/unentgeltliche Ausschlagung der Nacherbschaft können bereits vor Eintritt des Nacherbfalls diverse Besteuerungstatbestände nach § 3 und § 7 ErbStG sowohl beim Vor- als auch beim Nacherben ausgelöst werden. Diese lassen sich topoiartig wie folgt zusammenfassen:

 

Rz. 36

  • Ausschlagung der Nacherbschaft

    • Die unentgeltliche Ausschlagung der Nacherbschaft stellt keine freigebige Zuwendung des Nacherben an den Vorerben dar. Auch ist kein erneuter Erwerb von Todes wegen gegeben, wenn der Nacherbe nach Eintritt des Nacherbfalls ausschlägt und damit die Rechtsstellung des Vorerben, die mit dem Nacherbfall weggefallen war, wiederhergestellt wird. Die unentgeltliche Ausschlagung der Nacherbschaft ist daher steuerfrei.
    • Oftmals wird der Vorerbe, der regelmäßig ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass der Nacherbe ausschlägt, diesem eine Abfindung zukommen lassen. Diese kann in einer Geld- oder Sachleistung bestehen. Der Nacherbe ist dann mit der Abfindungszahlung gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG steuerpflichtig. Die Besteuerung richtet sich nach dem Verhältnis zum Erblasser. Die Ansicht von Gottschalk (s. Gottschalk in T/G/J/G, § 6 Rn. 58), der dem Nacherben wegen der sachlichen Nähe mit § 6 Abs. 2 Satz 1 und § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG ein Wahlrecht einräumen will, die Besteuerung nach dem Verhältnis zum Vorerben oder dem Erblasser vorzunehmen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG analog), ist vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt und scheint fragwürdig, wenngleich de lege ferenda ein Gleichlauf der Besteuerung bei § 3 Abs. 2 Nr. 4 und § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG begrüßenswert wäre (ebenso Löcherbach in V/S/W, § 6 Rn. 14). Auf Ebene des Vorerben ist die Abfindungszahlung nicht als Nachlassverbindlichkeit (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG) abzugsfähig (s. BFH vom 23.08.1995, BStBl II 1996, 137; zustimmend Gottschalk in T/G/J/G, § 6 Rn. 59; Weinmann in M/W, § 6 Rn. 10; ablehnend: Löcherbach in V/S/W, § 6 Rn. 16; Hannes/Holtz in M/H/H, § 6 Rn. 9; Geck in K/E, § 6 Rn. 40.1).
 

Rz. 37

  • Übertragung des Anwartschaftsrechts auf den Vorerben oder einen Dritten

    Ebenso wenig wie die Ausschlagung stellt die unentgeltliche Übertragung des Anwartschaftsrechts auf den Vorerben oder einen Dritten einen steuerpflichtigen Vorgang dar (s. BFH vom 28.10.1992, BStBl II 1993, 158).

    Liegt dagegen eine entgeltliche Übertragung des Anwartschaftsrechts vor, ist der Nacherbe gem. § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG steuerpflichtig. Das Entgelt gilt als vom Erblasser zugewendet und ist unter Zugrundelegung dieses Verhältnisses zu versteuern.

    Hat ein Dritter das Anwartschaftsrecht erworben, so unterliegt beim Eintritt des Nacherbfalls der Erwerb des Nachlasses gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Besteuerung (s. BFH vom 20.10.2005, BFH/NV 2006, 304). Dieser richtet sich gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nach dem Verhältnis des Erwerbers zum Vorerben bzw. gem. § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG auf Antrag nach dem Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser. Das Verhältnis vom Nacherben zum Vorerben oder Erblasser ist dem hingegen unerheblich. Die Kosten für den Erwerb der Anwartschaft sind in diesem Fall als Verbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG abzugsfähig (s. BFH vom 28.10.1992, BStBl II 1993, 158; FG Hessen vom 06.12.2004, EFG 2005, 965).

    Erwirbt jedoch der Vorerbe das Anwartschaftsrecht entgeltlich vom Nacherben, so wird dieser unbeschränkter Vollerbe. Der Erwerb dieser Stellung durch den Vorerben beruht aber weder auf dem Erbfall noch auf einer Erbauseinandersetzung, sondern auf einer Vermögensdisposition zwischen Vorerbe und Nacherbe und führt daher zu keiner weiteren Besteuerung des Vorerben. Dies hat dann allerdings zur Folge, dass das für die Übertragung des Anwartschaftsrechts gezahlte Entgelt auch nicht als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG abzugsfähig ist (s. BFH vom 23.08.1995, BStBl II 1996, 137; Löcherbach in V/S/W, § 6 Rn. 14; a. A. Meincke in FS Korn, 573, 581; Hannes/Holtz in M/H/H, § 6 Rn. 9).

 

Rz. 38

  • Herausgabe des Nachlasses an den Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls

    Gibt der Vorerbe in Anerkennung des Nacherbschaftsrechts des Nacherben den Nachlass ohne Gegenleistung vorzeitig an den Nacherben heraus (vorweggenommene Nacherbfolge), ist darin eine Schenkung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG vom Vorerben zu sehen. Der Verzicht seitens des Nacherben auf sein Anwartschaftsrecht ist keine Gegenleistung, die die Unentgeltlichkeit der vorzeitigen Herausgabe beseitigt (s. FG München vom 06.11.2002, EFG 2003, 552). Für die Steuer ist gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG das Verhältnis des Nacherben zum Vorerben maßgeblich, wobei über § 7 Abs. 2 ErbStG dem Nacherben auf Antrag die Möglichkeit gegeben ist, der Versteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zu Grunde zu legen. Wird der Antrag gestellt und erbt der Nacherbe vom Vorerben innerhalb von zehn Jahren eigenes Vermögen des Vorerben, so findet § 14 ErbStG nach Ansicht des BFH (BFH vom 03.11.2010, ZEV 2011, 95 m...

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