Rz. 10

Aus der zeitlich begrenzten Erbenstellung des Vorerben ergibt sich, dass der Nachlass im Hinblick auf die angeordnete Nacherbschaft geschützt werden muss. Deshalb ist der Vorerbe in seiner Verfügungsbefugnis über den Nachlass beschränkt (§§ 21132115 BGB, s. auch BGH vom 27.01.2016, WuM 2016, 227). Diese Nachlassbeschränkungen können durch den Erblasser jedoch unterschiedlich ausgestaltet werden, sodass bei wirtschaftlicher Betrachtung die Vorerbenstellung einem fast uneingeschränkten Volleigentum am Erbschaftsvermögen gleichen kann (bspw. wenn der Nacherbe nur auf den Überrest eingesetzt ist) oder aber sich lediglich einem Nießbrauchsrecht am Erbschaftsvermögen annähert. Im ersten Fall scheint die volle Besteuerung des Vorerben auch sachgerecht (Einzelheiten s. Rn. 24 ff.).

 

Rz. 11

Einem Nießbrauchsrecht angenähert ist die Stellung des Vorerben, wenn der Erblasser den Vorerben nicht von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB befreit (nicht befreiter Vorerbe). Dann sind Verfügungen über zum Nachlass gehörende Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte unwirksam, soweit sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen (§ 2113 Abs. 1 BGB). Gleiches gilt für unentgeltliche Verfügungen über Nachlassgegenstände (§ 2113 Abs. 2 BGB), wobei eine unentgeltliche Verfügung bereits dann anzunehmen ist, wenn das Entgelt nicht den vollen objektiven Wert erreicht. Teilweise Unentgeltlichkeit führt daher bereits zur Gesamtunwirksamkeit der Verfügung (BGH vom 16.03.1977, NJW 1977, 1631 sowie OLG Bamberg vom 08.05.2009, ErbBstg 2010, 66). Inwieweit bei einem nicht befreiten Vorerben die volle Besteuerung sachgerecht ist, scheint zweifelhaft (Einzelheiten s. Rn. 28, 30 ff.).

 

Rz. 12

Stimmt der Nacherbe allerdings einer Verfügung des Vorerben zu, so hat dies die Wirksamkeit der Verfügung zur Folge (gem. § 2120 BGB besteht in gewissem Umfang eine Zustimmungspflicht des Nacherben). Der Schutz des Nacherben ist dann nicht mehr erforderlich (vgl. auch OLG Hamm vom 13.05.2016, ZEV 2016, 638). Verfügt der Vorerbe ohne Zustimmung des Nacherben, so können zu Gunsten des Erwerbers die Vorschriften des Erwerbs von Nichtberechtigten zum Tragen kommen (s. FG Münster vom 14.02.2019, EFG 2019, 730). Zu Schadensersatzansprüchen des Nacherben gegen den Vorerben vgl. Muscheler, ZEV 2012, 389.

 

Rz. 13

Der Erblasser kann die Stellung des nicht befreiten Vorerben noch zusätzlich einschränken, indem er Testamentsvollstreckung anordnet. Dann ist nur der Testamentsvollstrecker über den Nachlass verfügungsberechtigt. Des Weiteren ist der Vorerbe verpflichtet, ein Verzeichnis der Nachlassgegenstände vorzulegen (§ 2121 BGB) und beim Eintritt des Nacherbfalls, den Nachlass an den Nacherben in dem Zustand herauszugeben, in dem er sich bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung befinden würde. Der Vorerbe ist daher gehalten, den Nachlass ordnungsgemäß zu bewirtschaften, um eine Haftung zu vermeiden (§ 2130 BGB). Zum Nachlass gehören auch alle Gegenstände, die der Vorerbe mit Mitteln des Nachlasses erworben hat (§ 2111 BGB, Surrogationsprinzip). Behalten darf der Vorerbe jedoch die aus dem Nachlass gezogenen Früchte (§ 100 BGB), die in sein sonstiges Vermögen übergehen. Hierunter fallen insbesondere entnahmefähige Gewinne, Zinsen, Miet-/Pachteinnahmen, usw., die während der Zeit der Vorerbschaft entstanden sind.

 

Rz. 14

Der Erblasser kann den Vorerben jedoch auch gem. § 2136 BGB weitgehend von den vorgenannten Verfügungsbeschränkungen sowie der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung befreien. Der Vorerbe ist dann befreiter Vorerbe und erhält dadurch u. a. die Befugnis, Nachlassgegenstände – auch Grundstücke – wirksam zu veräußern und den Erlös unter Schonung seines eigenen Vermögens für sich zu verbrauchen, sodass dem Nacherben nur der Überrest verbleibt. Der Vorerbe ist dann weitgehend wie ein Volleigentümer gestellt. Als wesentliche Einschränkung verbleibt daher für den Vorerben lediglich noch die Beschränkung in Hinsicht auf unentgeltliche Verfügungen, von der der Erblasser den Vorerben nicht befreien kann.

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