Schrifttum

Bartone, Die Untätigkeitsklage, AO-StB 2004, 68.

A. Bedeutung der Vorschrift

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Grundsätzlich muss vor Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (Einspruchsverfahren) durchgeführt werden (§ 44 Abs. 1 FGO). § 46 FGO begründet eine Ausnahme vom Vorliegen dieser Sachentscheidungsvoraussetzung (s. § 44 FGO Rz. 1 f.; s. Vor FGO Rz. 30). Die Untätigkeitsklage stellt dabei keine eigene Klageart dar (z. B. BFH v. 18.11.2015, XI R 24-25/14, BFH/NV 2016, 418), sondern wird je nach Klagebegehren als Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage erhoben, die ausnahmsweise abweichend von § 44 Abs. 1 FGO auch ohne abgeschlossenes Einspruchsverfahren zulässig ist. Zweck des § 46 FGO ist es, Rechtsschutz gegen eine unangemessene Verzögerung der Entscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf zu bieten. Dem entspricht im Verwaltungsverfahren der Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO. Jedoch zielt die Klage nicht auf die Verurteilung der Finanzbehörde zum Erlass der bisher verzögerten Rechtsbehelfsentscheidung oder zum Tätigwerden überhaupt, sondern ist – je nach Klagebegehren – eine Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage (BFH v. 05.05.1970, II B 19/67, BStBl II 1970, 551; BFH v. 03.08.2005, I R 74/02, BFH/NV 2006, 19; BFH v. 02.07.2012, III B 101/11, BFH/NV 2012, 1628). Der besondere Rechtsschutz des § 46 FGO besteht darin, dass das FG mit der Klage unter bestimmten Voraussetzungen schon vor der Beendigung des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens angerufen werden kann. Es bedarf dann keines Abschlusses dieses Verfahrens durch eine förmliche Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Für allgemeine Leistungsklagen und Feststellungsklagen gilt § 46 FGO nicht, da in diesen Fällen kein Einspruchsverfahren gegeben ist.

B. Voraussetzungen (§ 46 Abs. 1 FGO)

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Untätigkeitsklage ist (grds.) zulässig, wenn das FA in angemessener Frist, von der Einlegung des Rechtsbehelfs an gerechnet, über den Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes sachlich nicht entschieden hat (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO), wobei die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten erhoben werden kann (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Zwingende Voraussetzung ist, dass der Kläger überhaupt einen Einspruch eingelegt hat (vgl. BFH v. 20.04.2012, III B 36/11, BFH/NV 2012, 1169).

I. Keine Einspruchsentscheidung

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf i. S. von § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt erst mit der Bekanntgabe an den Rechtsbehelfsführer, nicht schon mit abschließender Zeichnung vor (BFH v. 25.05.1973, VI B 95/72, BStBl II 1973, 665). Auch die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig ist eine Entscheidung in diesem Sinn und steht der Erhebung einer Untätigkeitsklage entgegen (zur Anfechtbarkeit der Einspruchsentscheidung in solchen Fällen s. § 44 FGO Rz. 7). Allerdings können besondere Umstände des Falles, z. B. ein dringliches Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen, die Untätigkeitsklage schon nach Verstreichen einer kürzeren Frist als der gesetzlich vorgesehenen sechs Monate zulässig machen. Solche besonderen Umstände, die die Person des Klägers betreffen (z. B. Auswanderung, Wehrdienst) oder in der Natur der Sache liegen (z. B. Vollstreckungsmaßnahmen) können, unterliegen voll der Nachprüfung durch das Gericht. Sie sind z. B. nicht allein darin zu sehen, dass es sich bei dem angefochtenen Verwaltungsakt um einen Haftungsbescheid handelt (BFH v. 06.12.1972, I R 177/72, BStBl II 1973, 228; BFH v. 13.10.1977, V R 57/74, BStBl II 1978, 154). Besteht objektiv keine Möglichkeit zur Entscheidung der Sache durch die Behörde (und damit auch durch das Gericht), weil das BVerfG eine im Streitfall anzuwendende Norm für verfassungswidrig erklärt und der Gesetzgeber die erforderliche gesetzliche Neuregelung noch nicht getroffen hat, so ist die Untätigkeitsklage stets unzulässig, weil rechtsmissbräuchlich (BFH v. 11.08.1992, III B 143/92, BFH/NV 1993, 310; BFH v. 30.06.1995, III B 187/94, BFH/NV 1996, 412). Eine rechtsmissbräuchlich erhobene Untätigkeitsklage kann nicht in die Zulässigkeit hineinwachsen. Eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO durch das FG kommt dann nicht in Betracht (BFH v. 08.07.1994, III R 78/92, BStBl II 1994, 859; s. Rz. 8).

II. Ablauf einer angemessenen Frist seit Einspruchseinlegung

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO enthält keine Aussage darüber, was eine angemessene Frist seit Einlegung des Einspruchs darstellt. Die Angemessenheit bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles, also z. B. nach dem Umfang des Falles, Umfang und Schwierigkeiten der gebotenen Sachverhaltsermittlung (Levedag in Gräber, § 46 FGO Rz. 11 ff.; Steinhauff in HHSp, § 46 FGO Rz. 110 ff. Seer in Tipke/Kruse, § 46 FGO Rz. 7). Aufgrund der Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Frist von sechs Monaten vom Gesetzgeber für den Regelfall als angemessen angesehen wird (BGH v. 27.04.2004, IV R 18/04, BFH/NV 2...

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