1. Bedeutung der Vorschrift

 

Tz. 15

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 171 Abs. 3 AO enthält für die Praxis besonders relevante Tatbestände, nämlich neben dem Antrag auf Berichtigung einer Festsetzung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO die Beantragung von Anspruchsfestsetzungen bzw. ihrer Aufhebung oder Änderung. Diese Vorschrift behandelt Anträge außerhalb eines Einspruchs- und Klageverfahrens, die sich nach § 171 Abs. 3a AO (s. Rz. 31 ff.) richten. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf erstmalige Festsetzung einer Steuer oder auf Gestaltung bzw. Aufhebung bereits durchgeführter Festsetzungen (Feststellungen usw.) gestellt, müsste wegen § 169 Abs. 1 Satz 1 AO die Antragserledigung vor Ablauf der Festsetzungsfrist abgeschlossen sein. Je nach Dauer der im Zeitpunkt der Antragstellung noch zur Verfügung stehenden Restfrist, würde diese Konsequenz die sachgerechte Prüfung und Erledigung des Antrags erheblich be- oder sogar verhindern. Dem Stpfl. kann auch nicht zugemutet werden, einen übereilten und damit eventuell rechtswidrigen Steuerbescheid zu erhalten. Nach § 171 Abs. 3 AO läuft jedoch die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Damit wird die Tätigkeit der Behörde von jeglichem Zeitdruck befreit, den die Festsetzungsfrist ansonsten bewirken könnte.

 

Tz. 16

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 171 Abs. 3 Satz 1 AO gilt für Feststellungsbescheide als gleichgestellte Bescheide (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO; BFH v. 22.02.2006, I R 125/04, BStBl II 2006, 401) und aufgrund der Verweisung in § 191 Abs. 3 Satz 1 AO auch für Haftungsbescheide (BFH v. 16.12.2008, I R 29/08, BStBl II 2009, 539; s. Rz. 4).

2. Antrag vor Ablauf der Festsetzungsfrist

 

Tz. 17

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Antrag i. S. des § 171 Abs. 3 AO muss vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt und der zur Entscheidung über den Antrag zuständigen Finanzbehörde zugegangen sein. Geht der Antrag einer unzuständigen Finanzbehörde zu, wird der Fristablauf nur dann gehemmt, wenn der Antrag innerhalb der Festsetzungsfrist an die zuständige Behörde weitergeleitet worden ist (FG Bln v. 28.02.2000, 8 K 8750/98, EFG 2000, 844). § 169 Abs. 1 Satz 3 AO gilt nicht entsprechend, sodass die rechtzeitige Absendung des Antrags zur Fristwahrung nicht genügt.

 

Tz. 18

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Als Antrag i. S. des § 171 Abs. 3 Satz 1 AO sind nach Ansicht des BFH nur solche Willensbekundungen anzusehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen (BFH v. 18.06.1991, VIII R 54/89, BStBl II 1992, 124; BFH v. 11.05.2010, IX R 25/09, BStBl II 2010, 953; ebenso Banniza in HHSp, § 171 AO, Rz. 26; Kruse in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 13). Die Abgabe gesetzlich vorgeschriebener Steuererklärungen gehört zur allgemeinen Mitwirkungspflicht des Stpfl. und ist kein Antrag, selbst wenn die Veranlagung zu einer Steuererstattung führt (vgl. BFH v. 20.01.2016, VI R 14/15, BStBl II 2016, 380; BFH v. 28.08.2014 V R 8/14, BStBl II 2015, 3; BFH v. 30.03.2017, VI R 43/15, BStBl II 2017, 1046). Dagegen ist die Abgabe einer ESt-Erklärung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG (Antragsveranlagung) ein Antrag i. S. von § 171 Abs. 3 AO (BFH v. 20.01.2016, VI R 14/15, BStBl II 2016, 380; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 25; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz 27), und zwar auch dann, wenn in einem solchen Fall wegen Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG) gem. § 56 Satz 2 EStDV eine Steuererklärung abzugeben ist (BFH v. 30.03.2017, VI R 43/15, BStBl II 2017, 1046). Auch Anträge auf Änderungen von (i. d. R. bestandskräftigen) Steuerfestsetzungen nach den Korrekturnormen (insbes. §§ 172ff. AO) werden von § 171 Abs. 3 AO erfasst. So setzt z. B. die Änderung einer Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO – im Gegensatz zur Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO, § 174 Abs. 1 Satz 1 AO – ebenso wenig einen Antrag voraus wie etwa Änderungen nach § 174 Abs. 3 AO oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Ein auf eine solche Änderung abzielendes Begehren eines Stpfl. ist unter den Begriff des Antrags i. S. des § 171 Abs. 3 AO zu subsumieren, da hierdurch ein eigenes Verwaltungsverfahren außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ausgelöst wird (s. Rz. 15; vgl. auch BFH v. 24.05.2006, I R 93/05, BStBl II 2007, 76 zu einem Antrag nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Der Antrag muss auf eine Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gerichtet sein. Hierzu zählen auch Anträge auf Festsetzung anderer Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und auf Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§§ 179ff. AO), Festsetzungen von Steuermessbeträgen (§ 184 AO), auf Zerlegung und Zuteilung von Steuermessbeträgen (§§ 185ff. AO) sowie die Aufhebung oder Änderung der darauf gerichteten Bescheide (hierzu sowie einer ausführlichen Auflistung von Anträgen i. S. des § 171 Abs. 3 AO Kruse in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 11).

 

Tz. 19

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der Antrag muss vom betroffenen St...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge