Aus dem Zusammenspiel der im Bewertungsrecht vielfältig angelegten Vereinfachungen und Typisierungen können sich Ungleichbehandlungen bei der Grundsteuererhebung ergeben. Ob sich die Vereinbarkeit dieser Ungleichbehandlungen mit Art. 3 Abs. 1 GG nach strengen Gleichheitsanforderungen zu richten hat – etwa, weil die Wertverzerrungen flächendeckend und in ihrem individuellen Ausmaß vielfach erheblich aufträten – wird abschließend nur vom BVerfG beurteilt werden können. Gleiches gilt für die Frage, ob die Ungleichbehandlungen – bspw. vor dem Hintergrund bewusster Vereinfachungsentscheidungen oder der Geringfügigkeit der steuerlichen Belastung – hinreichend gerechtfertigt werden können, um sie als hinnehmbar anzuerkennen.

Solange keine Entscheidung des BVerfG über eine etwaige Verfassungswidrigkeit der Bewertungsvorschriften vorliegt, ist das FA an das geltende formelle Gesetz gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), darf nicht gegen dieses handeln oder dessen Anwendung aussetzen (vgl. auch BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393, 400). Nur ein Gericht, nicht aber die Finanzverwaltung, kann das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen; dem Steuerpflichtigen bleibt mithin der Klageweg. Ob eine auf die Verfassungswidrigkeit der Bewertungsregeln gerichtete Klage Aussicht auf Erfolg haben könnte, bleibt abzuwarten – so gehen Krumm/Paeßens davon aus, dass der Gesetzgeber ein in der Gesamtschau rationales Relationskonzept vorgelegt habe, das die Grenze hinnehmbarer Ungleichbehandlung nicht überschreite (vgl. Krumm/Paeßens, Materielle Verfassungsrechtsfragen, Rz. 110 und 114; a.A.: Hey, Stellungnahme zur Reform der Grundsteuer v. 3.9.2019 zu BT-Drucks. 19/11085, 15 und 19; Kirchhof, Der Belastungsgrund von Steuern – Gutachten zum verfassungsrechtlichen Auftrag, die Grundsteuer zu reformieren, S. 25, 26 und 52; kritisch: Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, WD 4 – 3000 – 142/19, 16).

Da das Bewertungsziel gerade nicht den Verkehrswerten nahekommenden Werten entspricht, ist fraglich, inwiefern die bisherigen verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Verkehrswertermittlung von Grundbesitz (z.B. für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke) Anwendung finden können. Abzuwarten bleibt insofern auch, ob der Spagat zwischen dem "objektiviert-realen Grundsteuerwert" und § 9 BewG – wonach als Bewertungsgrundsatz grundsätzlich der gemeine Wert (Verkehrswert) zugrunde zu legen ist – gelingt.

Denkbar ist, dass die Gerichte den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts in entspr. Anwendung des § 198 BewG i.R.d. verfassungskonformen Auslegung zulassen, auch wenn dieser nach dem Wortlaut der §§ 218 ff. BewG nicht vorgesehen ist (vgl. BFH v. 30.1.2019 – II R 9/16, BStBl. II 2019, 599, 601 = ErbStB 2019, 159 [Marfels]). In diesem Fall könnte m.E. angezeigt sein, Verkaufspreise und gutachterlich ermittelte Verkehrswerte (erst) ab einer Wertabweichung zum Grundsteuerwert von mindestens 40 % zuzulassen (vgl. auch Hey, Stellungnahme zur Reform der Grundsteuer v. 3.9.2019 zu BT-Drucks. 19/11085, 8, 13 und 14). Auf diese Weise würden erhebliche Wertverzerrungen aufgefangen werden können und zugleich hielte sich der administrative Aufwand in Grenzen. Ob § 198 BewG in verfassungskonformer Auslegung analog anzuwenden sein wird, und falls ja, unter welchen konkreten Voraussetzungen, wird sich zeigen.

Beraterhinweis Nicht zuletzt aus Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten bliebe fraglich, ob sich ein Nachweis mittels Verkehrswertgutachten im System der Grundsteuer – gemessen am erzielbaren steuerlichen Erfolg – überhaupt als erstrebenswert erweisen würde. Anzunehmen ist, dass die Finanzverwaltung ein Gutachten nicht länger als für einen Hauptfeststellungszeitraum als Nachweis zuließe. Diese maximal siebenjährige Geltung (vgl. § 221 Abs. 1 BewG) könnte in ein "Gutachten-Abonnement" erwachsen und lässt eine analoge Anwendung von § 198 BewG in Bezug auf Verkehrswertgutachten grundsätzlich ungeeignet erscheinen.

Gegebenenfalls wird der Gesetzgeber – in Vorbereitung auf die zweite Hauptfeststellung – punktuell nachsteuern (müssen). So könnte etwa § 220 Satz 2 BewG – wonach eine abweichende Feststellung aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO ausgeschlossen ist – i.R. eines Härteausgleichs für solche Fallgestaltungen außer Acht bleiben, in denen die Bewertungsvorschriften nicht folgerichtig am Belastungsgrund ausgestaltet zu sein scheinen.

Service: BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14; BFH v. 30.1.2019 – II R 9/16, ErbStB 2019, 159; BFH v. 25.8.2010 – II R 42/09; BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15; BFH v. 11.5.2005 – II R 21/02; Marquardt/Miethe, Die Verwendung der Marktdaten der Gutachterausschüsse i.R.d. Grundbesitzbewertung, ErbStB 2022, 266; Grootens, Hauptfeststellung der Grundsteuerwerte auf den 1.1.2022, ErbStB 2022, 176 und ErbStB 2022, 203 abrufbar unter steuerberater-center.de

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