Leitsatz

1. Der Handelsbilanzwert für Nachsorgerückstellungen bildet auch nach Inkrafttreten des BilMoG gegenüber einem höheren steuerrechtlichen Rückstellungswert die Obergrenze (Anschluss an BFH-Urteil vom 20.11.2019 – XI R 46/17, BFHE 266, 241, BStBl II 2020, 195).

2. Der maßgebliche Handelsbilanzwert bestimmt sich unter Berücksichtigung der als GoB zu beurteilenden Bewertungsgrundsätze des Handelsrechts (§§ 252 ff. HGB) und damit auch unter Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB.

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 und 6, § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB, R 6.11 EStR, § 249, § 253 Abs. 1 und 2, § 255 HGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelt, bildete für Nachsorgeverpflichtungen für ihre Deponien in ihrer Bilanz zum 31.12.2010 eine Nachsorgerückstellung. Dabei setzte sie die durch die erstmalige Anwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25.5.2009 (BGBl I 2009, 1102) entstandenen Auflösungsbeträge in Anwendung des Wahlrechts nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB bilanziell nicht um. Das FA berücksichtigte im Gewinnfeststellungsbescheid demgegenüber die Nachsorgerückstellung mit dem sich unter Anwendung des BilMoG ergebenden, deutlich niedrigeren Wert, da das Wahlrecht nach Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB steuerlich nicht anzuerkennen sei. Im Gegenzug berücksichtigte es eine Rücklage nach R 6.11 Abs. 3 EStR. Einspruch und Klage (FG Münster, Urteil vom 27.6.2019, 8 K 2873/17 F, Haufe-Index 13397056, EFG 2019, 1574) hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe seiner Berechnung aus den in den Praxis-Hinweisen ergebenden Gründen rechtsfehlerhaft den abgezinsten Erfüllungsbetrag gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 HGB zugrunde gelegt, statt den von der Klägerin zum 31.12.2010 angesetzten handelsbilanziellen Rückstellungswert, der sich nach Ausübung des Wahlrechts gemäß Art. 67 EGHGB ergeben habe, als Ausgangspunkt zu wählen. Dies führe zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Sache sei allerdings mangels Spruchreife an das FG zurückzuverweisen. Die handelsrechtliche Bewertung der Rückstellung sei nur maßgeblich, wenn die steuerrechtlichen Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG nicht dazu führen, dass der handelsrechtliche Wertansatz (Obergrenze) unterschritten werde; andernfalls gelte der niedrigere, nach Maßgabe des Steuerrechts ermittelte Wert. Die zur Bestimmung dieses Werts erforderlichen Feststellungen müsse das FG noch treffen.

 

Hinweis

1. Die handelsrechtliche Maßgeblichkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 EStG wird nur dann und nur insoweit durchbrochen, als der Gesetzgeber steuerrechtliche Ansatz- oder Bewertungsvorbehalte festgeschrieben hat (§ 5 Abs. 6 EStG).

2. Da durch den in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG enthaltenen "höchstens insbesondere"-Verweis der Bezug zur handelsrechtlichen Bewertung weiterhin bestehen bleiben sollte, stellt diese Norm keine abschließende steuerrechtliche Normierung dar, die die Anwendung der handelsrechtlichen GoB nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ausschließt. Die steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG haben daher keinen absoluten Vorrang vor den handelsrechtlichen Bewertungsregeln, sondern wirken begrenzend: Überschreitet der steuerrechtliche Wertansatz den handelsrechtlichen Wertansatz, gilt der niedrigere handelsrechtliche Wert. Liegt der handelsrechtliche Wertansatz hingegen über dem steuerlichen Wert, durchbricht § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG die nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz zu beachtende handelsrechtliche Bewertung. Die steuerrechtlichen Sonderbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG führen dann dazu, dass der handelsrechtliche Wertansatz (Obergrenze) unterschritten wird. Damit ist stets der niedrigere Wert anzusetzen.

3. Der maßgebliche handelsrechtliche Wertansatz bestimmt sich unter Berücksichtigung der als GoB zu beurteilenden Bewertungsgrundsätze des Handelsrechts und damit auch unter Berücksichtigung des Beibehaltungswahlrechts des Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB. Dieses Wahlrecht gewährt einmalig die Möglichkeit, den unter Berücksichtigung der GoB gemäß § 253 Abs. 2 HGB a.F. ermittelten Rückstellungswert beizubehalten.

4.Art. 67 Abs. 1 Satz 2 EGHGB begründet ein einmaliges intertemporales Rechtsanwendungswahlrecht, denn es bezieht sich nicht auf den Wertansatz selbst, sondern auf das für den Wertansatz maßgebliche Recht. Wird das Wahlrecht ausgeübt, kommt es zu einem nach Maßgabe des "alten Rechts" GoB-konformen Wertansatz. Dieser Wert bildet den maßgeblichen handelsbilanziellen Wert. Nimmt der Steuerpflichtige das Wahlrecht nicht in Anspruch, bildet der sich bei erstmaliger Anwendung des § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB ergebende, ebenfalls den GoB entsprechende (niedrigere) abgezinste Erfüllungsbetrag (sog. BilMoG-Wert) den maßgeblichen handelsbilanziellen Wert.

5. Aus der Tatsache, dass der Richtliniengeber eine Billigkeitsregelung für erforderlich gehalten...

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