Rz. 77

[Autor/Stand] Der mit dem Steueränderungsgesetz 1992[2] vollzogene Übergang vom Teilwert- zum Buchwertprinzip wurde in der Literatur schon frühzeitig kritisiert. So wurde mit Recht geltend gemacht, mit diesem Schritt sei der Versuch aufgegeben worden, die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit ihren "richtigen Werten" anzusetzen.[3] Ziel einer gerechten und gleichmäßigen Vermögen- und Erbschaftsteuer habe es sein müssen, der Besteuerung einheitliche – realitätsnahe – Werte für alle Vermögensarten und Gruppen wirtschaftlicher Einheiten zugrunde zu legen.[4] Dieses Ziel werde verfehlt, wenn gewerbliches Betriebsvermögen mit großenteils unter den "wirklichen Werten" liegenden Steuerbilanzwerten, dagegen "sonstiges Vermögen", etwa Anteile an börsennotierten Kapitalgesellschaften, mit dem gemeinen Wert (z.B. dem Börsenkurs) angesetzt würden.

 

Rz. 78

[Autor/Stand] Gemessen am Maßstab des Verkehrswerts seien die Steuerbilanzwerte zur Ermittlung einer gerechten Besteuerungsgrundlage nicht geeignet. Dies folge schon daraus, dass die in der Steuerbilanz vorgenommenen Abschreibungen und erhöhten Absetzungen für Abnutzung häufig über den tatsächlichen Werteverzehr hinausgingen. So dienten die Sonderabschreibungen und erhöhten Absetzungen in erster Linie der Wirtschaftslenkung durch die Gewährung indirekter Steuersubventionen und führten dazu, dass die entsprechenden Buchwerte jeglichen Bezug zu einer realitätsgerechten, am Verkehrswert (gemeinen Wert) orientierten Wertbildung verlören.[6]

 

Rz. 79

[Autor/Stand] Das im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 1997 v. 20.12.1996[8] angeführte Argument für den Ansatz der Steuerbilanzwerte, es sei schwer, den Verkehrswert von Betriebsvermögen eindeutig zu bestimmen, so dass aus Gründen der Steuervereinfachung und Praktikabilität typisierend auf die Steuerbilanzwerte abzustellen sei,[9] vermöge für sich allein den Art. 3 Abs. 1 GG widerstreitenden realitätsfernen Ansatz der Buchwerte nicht zu rechtfertigen.[10] Auch der Hinweis auf die Bindung des Betriebsvermögens an das Gemeinwohl überzeuge letztlich nicht. Denn die Privilegierung des Betriebsvermögens durch das Buchwertprinzip greife unabhängig davon ein, ob der Erwerber den Betrieb fortführe oder unmittelbar nach dem Erwerb "versilbere."[11]

 

Rz. 80

[Autor/Stand] Auch innerhalb der Vermögensart "Betriebsvermögen" komme es infolge der Übernahme des Buchwertprinzips zu Ungleichheiten, etwa zwischen neu gegründeten Unternehmen, bei denen die Steuerbilanzwerte den Investitionskosten und damit den "realen" Werten entsprächen oder zumindest nahekämen, und seit Langem existierenden Unternehmen, die im Laufe der Zeit erhebliche stille Reserven hätten bilden können.[13]

 

Rz. 81

[Autor/Stand] Überdies führe die Verlängerung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (vgl. § 5 Abs. 1 EStG) über die Steuerbilanz hinaus bis in die Vermögensaufstellung hinein zu einer Verstärkung der Bedenken, denen das Maßgeblichkeitsprinzip im Hinblick auf die unterschiedlichen Zwecke der Handelsbilanz einerseits (Gläubigerschutz, Vorsichtsprinzip, Ermittlung des vorsichtig bemessenen, ausschüttbaren Gewinns) und der Steuerbilanz und Vermögensaufstellung (Ermittlung des "wirklichen" Gewinns und Vermögens, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) ausgesetzt sei.

 

Rz. 82

[Autor/Stand] Mit Recht führte Herzig[16] in diesem Zusammenhang aus, dass die "Verlängerung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes" zu einer weiteren Verstärkung der Steuerorientiertheit der handelsrechtlichen Bilanzierungspolitik führen dürfte.

 

Rz. 83

[Autor/Stand] Zutreffend bemerkte im Übrigen Viskorf,[18] dass nur florierende Unternehmen alle Möglichkeiten der Bilanzstrategie nutzen könnten, wohingegen ertragsschwache Unternehmen oftmals an der Ausnutzung des vollen Abschreibungspotenzials gehindert seien. Somit führe die Übernahme der Steuerbilanzwerte in die Vermögensaufstellung auch zu einer Benachteiligung ertragsschwacher Unternehmen gegenüber ertragsstarken Betrieben.

 

Rz. 84

[Autor/Stand] Wie der II. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss v. 22.5.2002[20] zutreffend hervorhob, führte die Übernahme der Steuerbilanzwerte im Vergleich zur Rechtslage vor dem 1.1.1993 – bei gleichbleibenden Grundstückswerten (= Einheitswerten auf den 1.1.1964) – zu einem durchschnittlich um etwa ein Drittel niedrigeren Wertansatz des Betriebsvermögens.[21] Das Betriebsvermögen wurde danach ab dem 1.1.1993 lediglich mit durchschnittlich rd. 45 % des wirklichen Substanzwerts angesetzt.[22]

 

Rz. 85

[Autor/Stand] Ab 1.1.1996 galten sodann über die Verweisung in § 12 Abs. 5 ErbStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 auf Abs. 3 dieser Vorschrift für Betriebsgrundstücke nicht mehr die (anachronistischen) Einheitswerte auf den 1.1.1964, sondern die sog. Bedarfswerte (= Grundstückswerte i.S.v. §§ 138 Abs. 3, 145 ff. BewG a.F.). Das Niveau dieser Werte lag über dem der früheren Einheitswerte, wenngleich gerade für Grundstücke, die einer gewerblichen T...

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