Leitsatz

1. Das Verständigungs- und Schlichtungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen hat obligatorischen Charakter, es führt daher bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend zur Beseitigung der Doppelbesteuerung.

2. Wenn durch ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen durch Handlungen, die eine Gewinnberichtigung zur Folge haben, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften begangen hat, dann besteht keine Verpflichtung zur Verfahrensdurchführung. Vielmehr hat die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Durchführung des Verfahrens zu entscheiden.

3. Bei der Beurteilung, ob ein empfindlich zu be­strafender Verstoß vorliegt, ist auf die für das Unternehmen verantwortlich handelnde Person abzustellen. Ob diese Person tatsächlich bestraft wurde, ist nicht entscheidend. Es genügt die gerichtliche Feststellung einer straf- oder bußgeldbewehrten Gesetzesverletzung durch diese Person, die abstrakt betrachtet zu einer Ahndung führen kann.

4. Die Entscheidung über die Durchführung des Verfahrens liegt auch dann im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde, wenn die steuerliche Gewinnberichtigung und der strafgerichtlich festgestellte Verstoß gegen die steuerlichen Vorschriften im Hinblick auf die Besteuerungszeiträume und die Steuerbeträge nicht vollständig übereinstimmen.

 

Normenkette

Art. 6, Art. 8, Art. 12 EWGÜbk 436/90 (EU-Schiedsübereinkommen), § 40 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin zu 1. ist eine in Spanien ansässige Kapitalgesellschaft, bei der Klägerin zu 2. handelt es sich um eine deutsche GmbH, die die Rechtsnachfolgerin der inländischen X-AG (AG) ist. Die Klägerinnen sind verbundene Unternehmen, deren gemeinsame Mutter die spanische Y-S.L. ist. Diese wiederum wird von N beherrscht. In den Jahren 2000 bis 2006 war N Geschäftsführer der Klägerin zu 1. Vorstandsvorsitzende der Rechtsvorgängerin der Klägerin zu 2. war dessen damalige Ehefrau W.

Die AG vertrieb bestimmte Produkte, während die Tätigkeiten der Klägerin zu 1. im Wesentlichen darin bestanden, Handels- und Marketingdienstleistungen für die AG zu erbringen. Für diese Tätigkeiten wurden der AG Vergütungen in Rechnung gestellt. Grundlage dafür war ein schriftlicher Agentur- und Beratungsvertrag. Die AG leistete die entsprechenden Zahlungen und machte diese als Betriebsausgaben geltend.

Im Rahmen einer bei der AG durchgeführten Betriebsprüfung wurden seitens der Finanzbehörden "bilanzielle Unstimmigkeiten" bei den Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin zu 1. und der AG während der Wirtschaftsjahre 1999/2000 bis 2005/2006 festgestellt. Diese bezogen sich u.a. auf bilanzierte unternehmensberatende Dienstleistungen der Klägerin zu 1. an die AG. Die hierfür geleisteten Zahlungen der AG an die Klägerin zu 1. waren nach Ansicht der Prüfer überhöht, was einen in der Höhe unberechtigten Betriebsausgabenabzug bei der AG zur Folge hatte.

Im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung wurde Einvernehmen darüber erzielt, dass bei der gegebenen Bandbreite an Verrechnungspreisen das bereinigte Einkommen im Verhältnis 75 (AG) zu 25 (Klägerin zu 1.) aufzuteilen sei. Zudem stehe der AG aus der Überzahlung ein Rückforderungsanspruch gegenüber der Klägerin zu 1. zu.

In der Folgezeit wurden dem Ergebnis der tatsächlichen Verständigung entsprechende Körperschaftsteueränderungsbescheide gegenüber der AG erlassen.

Die als Überzahlung qualifizierten und an die Klägerin zu 1. geflossenen Zahlungen wurden in Spanien besteuert. Die Neubewertung der abzugsfähigen Betriebsausgaben ist jedoch bislang nicht nachvollzogen worden.

Im Juli 2009 erging gegen N ein Strafbefehl, der rechtskräftig wurde. Mit diesem wurde er wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Steuerhinterziehungsvorwurf betraf die Körperschaftsteuererklärungen für 2002 bis 2004 sowie die Gewerbesteuererklärungen für 2002 bis 2004 der AG und beruhte darauf, dass die von der AG an die Klägerin zu 1. zu zahlenden Vergütungen für die erbrachten Leistungen unangemessen hoch angesetzt worden waren. Hierbei wurden allerdings vom Betriebsprüfungsbericht abweichende, niedrigere Steuerverkürzungsbeträge angesetzt.

Das Steuerstrafverfahren gegen W – in ihrer Eigenschaft als Vorstandsvorsitzende der AG – wurde gegen Zahlung einer Geldbuße aufgrund staatsanwaltlicher Verfügung mit Zustimmung des Amtsgerichts gemäß § 153a StPO eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte festgestellt, dass W intern an die Weisungen des N als dem alleinigen wirtschaftlichen Eigentümer der AG gebunden gewesen sei.

Mit Schreiben vom 27.9.2010 stellte die Klägerin zu 1. bei der zuständigen spanischen Behörde den Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach dem SchÜ. Ziel dieses Verständigungsverfahrens sollte die Beseitigung einer von der Antragstellerin gesehenen wirtschaftlichen Doppelbesteuerung sein, da ihrer Ansicht nach derselbe Sachverhalt in den betroffenen Staaten wegen divergierender Verrech...

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