Leitsatz

1. Die Art. 3 Buchst. b und 9 Abs. 2 der 8. EG-RL sind dahin auszulegen, dass eine dem Muster in Anhang B dieser RL entsprechende Bescheinigung grundsätzlich die Vermutung begründet, dass der Betreffende nicht nur in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die genannte Bescheinigung ausgestellt hat, mehrwertsteuerpflichtig ist, sondern dass er dort auch ansässig ist.

Diese Bestimmungen bedeuten allerdings nicht, dass es der Steuerverwaltung des Staats, in dem die Erstattung der Vorsteuer beantragt wird, verwehrt wäre, sich bei Zweifeln an der wirtschaftlichen Realität des Sitzes, dessen Anschrift in dieser Bescheinigung angegeben ist, zu vergewissern, ob diese Realität tatsächlich gegeben ist, indem sie auf die Verwaltungsmaßnahmen zurückgreift, die die Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer hierzu vorsieht.

2. Art. 1 Nr. 1 der 13. EG-RL ist dahin auszulegen, dass der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Gesellschaft der Ort ist, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden.

 

Normenkette

Art. 17 Abs. 3 und 4 der 6. EG-RL, Art. 3 Buchst. b, Art. 9 Abs. 2 der 8. EG-RL, Art. 1 Nr. 1 der 13. EG-RL (vgl. § 18 Abs. 9 UStG, § 59 ff. UStDV)

 

Sachverhalt

Einziger Gesellschafter des Transportunternehmens (Sitz in Luxemburg) – Klägerin – war die in der Schweiz ansässige AG. Deren Geschäftsführer wohnten in der Schweiz und in Italien. Unter der Adresse der Klägerin waren noch 13 andere Transportunternehmen gemeldet.

Die Finanzverwaltung hatte u.a. deshalb Zweifel daran, ob die Bescheinigung der luxemburgischen Steuerverwaltung zutreffend war. Das FG gab der Klage statt, der BFH verwies zurück und ließ das FG noch einige Punkte aufklären.

Danach legte das FG selbst die vom BFH thematisierten Fragen dem EuGH vor.

 

Entscheidung

Das FG wird nun den Fall entscheiden. Zur Briefkastenfirma ist nun für die USt das Wesentliche gesagt.

 

Hinweis

1. Die Vorlage betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen die für die Vergütung von Vorsteuerbeträgen, die im Inland angefallen sind, die aber wegen fehlender inländischer Umsätze nicht im "normalen" Besteuerungsverfahren geltend gemacht werden können, erforderliche Unternehmerbescheinigung eines anderen Staats das FA bzw. das Bundeszentralamt für Steuern bindet. Dies regeln die 8. und die 13. EG-RL, die beide insoweit zutreffend umgesetzt worden sind. Die Bedingungen variieren danach, ob der Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ansässig ist; im letzteren Fall sind Vorsteuerbeträge für Kraftstofflieferungen ausgeschlossen.

Voraussetzung für die Erstattung in beiden Fällen ist, dass der Antragsteller – im Besteuerungszeitraum – im Inland weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung hatte, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind.

2. Ziel der beiden RL ist die Vermeidung von Doppelbesteuerungen durch den sonst fehlenden Abzug der Vorsteuer und die Bekämpfung bestimmter Formen der Steuerhinterziehung und der Steuerumgehung. Deshalb das Erfordernis der (Muster-)Bescheinigung der Steuerverwaltung des Ausstellungsstaats (Ansässigkeitsstaats). Diese Bescheinigung ist – so nunmehr auch der EuGH – grundsätzlich in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht bindend. Sie verbietet jedoch keine Nachforschungen bei Zweifeln, ob der Sitz, dessen Anschrift in einer derartigen Bescheinigung angegeben wird, wirtschaftlich tatsächlich existiert. Sie ist nicht bindend, wenn die Angaben im Ausstellungsstaat keiner wirtschaftlichen Realität entsprechen, insbesondere, wenn der Betreffende nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässig ist.

Bei Missbrauchsverdacht kann (und muss allerdings zunächst) die Steuerverwaltung nach Art. 6 der 8. EG-RL den Steuerpflichtigen zwingen, ihr die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, und kann (und muss) die gemeinschaftsrechtlichen Instrumente der Verwaltungskooperation und der Amtshilfe ausschöpfen (vgl. EG-VO Nr. 1798/2003 – Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer – und EG-VO Nr. 1925/2004 zur Regelung der Durchführung bestimmter Vorschriften der EG-VO Nr. 1798/2003).

3. Es darf kein Inlands-Anknüpfungspunkt vorliegen: Kein Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit und keine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind.

a) Der Niederlassungsbegriff verlangt einen durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildeten Mindestbestand. Er setzt einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht (Rd.Nr. 54 ff.). Im Hinblick auf Transporttätigkeiten im Besonderen verlangt dieser Begriff für die Anwendung der Gemeinschaftsregelung über die Mehrwertsteuer zumindest ein Büro, in dem Verträge abgefasst und di...

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