Leitsatz

1. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG ist entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL richtlinienkonform auszulegen.

2. Bei einem Fahrsicherheitstraining liegen "Kurse belehrender Art" i.S. von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG vor, wenn es sich um eine Schulungsmaßnahme handelt, die zum Erwerb oder zur Erhaltung beruflicher Kenntnisse konkret geeignet ist (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL i.V.m. Art. 44 Satz 1 Alternative 2 MwStVO).

3. Für die Steuerfreiheit als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung kommt es nicht auf die Voraussetzungen des nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfreien Unterrichts an.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 22 Buchst. a, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG, § 14, § 65 AO, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 44 MwStVO

 

Sachverhalt

Der Kläger ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein, der den Zweck verfolgt, innerhalb des Gebietes der Stadt und des Landkreises X ausschließlich und unmittelbar die Verkehrssicherheit und die Verkehrserziehung zu fördern sowie Organisationen, Vereine und Einzelpersonen zusammenzufassen, die gleiche Ziele verfolgen. Der Verein bemüht sich um eine vorbildliche Verkehrsgesinnung und -moral bei allen Verkehrsteilnehmern. Nach seiner Satzung i. d. F. bis 8.4.2013 fördert er "die Verkehrserziehung in den Schulen", nach der Fassung ab dem 9.4.2013 "die Verkehrserziehung durch Angebote im Bereich Bildung und Fortbildung, durch Verkehrsaufklärung sowie durch Angebote für materielle und persönliche Dienstleistungen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten". In den Jahren 2013 und 2014 (Streitjahre) führte der Kläger sowohl Sicherheitstrainings für Pkw (44 in 2013, 43 in 2014) als auch für Motorräder (jeweils 10 in den Streitjahren) ­und nur in 2013 ein Sicherheitstraining für Senio­ren durch. Die Einnahmen hieraus betrugen 36.879,95 EUR brutto (2013) sowie 21.457,83 EUR brutto (2014). Im September 2013 kaufte der Kläger einen Rettungssimulator für 42.950 EUR zuzüglich 8.160,50 EUR USt (Rechnung vom 24.9.2013), der nach einer Anzahlung i.H.v. 25.000 EUR im Januar 2014 geliefert wurde. Mit dem Rettungssimulator konnten Nutzer trainieren, sich aus einem umgestürzten Auto zu befreien. Der Kläger stellte den Simulator gegen Entgelt (im Streitjahr 2014 brutto 6.734 EUR) verschiedenen Veranstaltern (z.B. Autohäusern) anlässlich von Firmenjubiläen oder zum "Tag der offenen Tür" zur Verfügung. Dabei nutzten die zur Bedienung des Rettungssimulators anwesenden Vereinsmitglieder die Gelegenheit, um Öffentlichkeitsarbeit für den Kläger durchzuführen. Das FA sah die Leistungen als steuerpflichtig an und unterwarf die Vermietung des Rettungssimulators dem Regelsteuersatz. Demgegenüber gab das FG der Klage überwiegend statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.6.2018, 5 K 250/16, Haufe-Index 12466869, EFG 2019, 67).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an das FG zurück. Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass die Umsätze aus dem Fahrsicherheitstraining steuerfrei sind. Außerdem habe es bei der Bejahung des ermäßigten Steuersatzes für die Umsätze aus der Vermietung des Rettungssimulators nicht alle hierfür erforderlichen Voraussetzungen geprüft.

 

Hinweis

1. Der BFH legt § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG weiterhin entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL richtlinienkonform aus, sodass es sich bei den in § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG genannten Vorträgen, Kursen und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art um die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- oder Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung oder damit eng verbundene Leistungen i.S.d. Richtlinienbestimmung handeln muss.

2. Ein Fahrsicherheitstraining erfüllt nicht die strengen Anforderungen des vom EuGH geprägten Unterrichtsbegriffs (EuGH, Urteil vom 14.3.2019, C–449/17, A & G Fahrschul-Akademie, Rz. 26, EU:C:2019:202, und EuGH, Urteil vom 21.10.2021, C–373/19, Dubrovin & Tröger – Aquatics, Rz. 28, EU:C:2021:873).

3. Der BFH geht davon aus, dass die an den steuerfreien Unterricht zu stellenden Anforderungen nicht auf den demgegenüber eigenständigen Bereich der Aus- und Fortbildung (einschließlich beruflicher Umschulung) zu übertragen sind.

a) Der BFH begründet dies insbesondere mit den eigenständigen Erläuterungen in Art. 44 MwStVO. Danach umfassen die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf (Alternative 1) sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient (Alternative 2), wobei die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung hierfür unerheblich ist (Art. 44 Satz 2 MwStVO).

b) Für Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen (Art. 44 Satz 1 Alternative 2 MwStVO), besteht aus Sicht des BFH weder ein Unmittelbarkeitserfordernis, noch kommt es (wie bei Alternative 1 des Art. 44 Satz 1 MwStVO) auf...

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