Durchführung einer Prüfung als steuerfreie Leistung
Hintergrund: Abnahme der Prüfung für Taxifahrer durch einen Berufsverband
Streitig war die umsatzsteuerliche Behandlung von Ortskundeprüfungen für angehende Taxifahrer. Der prüfende Verband übernahm lediglich die Durchführung der Prüfungen, nicht auch die dieser Prüfung vorangehende Ausbildung.
Der eingetragene Verein V (ein nicht gemeinnütziger Berufsverband) führte in 2012 (Streitjahr) die Ortskundeprüfungen in Berlin durch. Deren Bestehen hatten die angehenden Taxifahrer der für die Fahrerlaubnis zuständigen Behörde nachzuweisen. Der Bewerber hatte für die Durchführung der Prüfung eine Gebühr an die mit der Prüfung betrauten Organisationen, u.a. an den V, zu entrichten.
V erklärte die an ihn entrichteten Gebühren als Entgelt für steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG. Das FA ging dagegen von der Steuerpflicht aus.
Das FG folgte der Auffassung des FA und wies die Klage ab. Denn V erbringe weder Unterrichts- noch Schulungsmaßnahmen. Die Ortskundeprüfungen seien auch nicht als Nebenleistungen mit Schulungsmaßnahmen verbunden.
Während des Revisionsverfahrens hatte der BFH das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-373/19 ausgesetzt. Nach Ergehen des EuGH-Urteils "Dubrovin & Tröger – Aquatics" v. 21.10.2021, C-373/19 (EU:C:2021:873, BFH/NV 2021 S. 1629, betr. Schwimmunterricht) hat der BFH das Verfahren wieder aufgenommen.
Entscheidung: Prüfung als steuerfreie Schulungsmaßnahme
Der BFH widerspricht dem FG. Die Ortskundeprüfung stellt den Schlusspunkt und notwendigen Bestandteil einer Schulungsmaßnahme i.S.v. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG dar. Das anders lautende FG-Urteil und der entsprechenden USt-Änderungsbescheid wurden aufgehoben.
Steuerbare, aber steuerfreie Leistung
Die Durchführung der Ortskundeprüfungen ist wegen des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Prüfungsabnahme und der hierfür zu zahlenden Gebühr aufgrund des zwischen dem V und dem Prüfling bestehenden Rechtsverhältnisses steuerbar. Der Steuerbarkeit steht nicht entgegen, dass eine Leistung im öffentlichen oder allgemeinen Interesse liegt. Entscheidend ist vielmehr, dass ein individueller Leistungsempfänger vorhanden ist, der aus der Leistung einen Vorteil zieht, der Gegenstand eines Leistungsaustauschs sein kann (BFH v. 20.3.2014, V R 4/13, BFH/NV 2014 S. 1470, Rz. 19 f.).
Richtlinienkonforme Auslegung
Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG ist richtlinienkonform zu verstehen. Danach muss es sich bei den in § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG genannten Vorträgen, Kursen und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art um Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung oder berufliche Umschulung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL handeln (BFH v. 7.10.2020, V R 12/10, BStBl II 2011 S. 303, Rz. 15). Nach Art. 44 Satz 1 MwSt-DVO‑ umfassen die Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung ist unerheblich (Art. 44 Satz 2 MwSt-DVO).
Die Ortskundeprüfung ist demnach eine begünstigte Schulungsmaßnahme
Die Ortskundeprüfungen, deren Bestehen Voraussetzung für den Erwerb der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen war, sind eine Schulungsmaßnahme mit direktem Bezug zu einem Beruf i.S.v. Art. 44 MwSt-DVO. Denn sie stellten den Schlusspunkt und notwendigen Bestandteil einer Schulungsmaßnahme zum Beruf des Taxifahrers dar. Wäre die Steuerbefreiung für den notwendigen Schlusspunkt einer erfolgreichen Schulungsmaßnahme zu versagen, nähme dies der Steuerbefreiung für die Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung ihre Wirkung. Es widerspräche dem Grundsatz der Neutralität und würde die mit dieser Steuerbefreiung bezweckte Förderung bestimmter Tätigkeiten beschränken, wenn die Steuerbefreiung der Prüfungsleistung davon abhinge, dass ein und derselbe Anbieter die Schulungsmaßnahme und die Prüfung durchführen muss.
Die Steuerbefreiung ist daher zu bejahen
Hiervon ausgehend sind die Umsätze des V aus den Prüfungsleistungen steuerbefreit. Auf die Frage, ob die Ortskundeprüfung als eng mit einer Schulungsmaßnahme verbundene Leistung anzusehen sein könnte, kommt es danach nicht an. V erfüllt mit dem Prüfungsausschuss auch die unternehmerbezogenen Voraussetzungen des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG. Seine Leistungen dienen dem Zweck eines Berufsverbandes. Unionsrechtlich ist er demgemäß als eine andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL anzusehen.
Hinweis: Abnahme der Prüfung unabhängig von vorheriger Schulung
Die Entscheidung dürfte auf vergleichbare Fallgestaltungen übertragbar sein. Die isolierte Abnahme der Prüfung fällt danach unter Veranstaltungen belehrender Art (§ 4 Nr. 22 Buchst. a UStG), Aus- und Fortbildung und damit verbundene Dienstleistungen (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) bzw. Schulungsmaßnahmen (Art. 44 MwSt-DVO). Hiervon ausgehend ist die Prüfungsleistung auch dann begünstigt, wenn der Prüfling überhaupt keine Schulung absolviert hat, sondern sich die Kenntnisse im Selbststudium angeeignet hat.
EuGH-Rechtsprechung
Wegen des beim EuGH anhängigen Verfahrens "Dubrovin & Tröger – Aquatics" (betr. Schwimmunterricht) hatte der BFH das vorliegende Revisionsverfahren zurückgestellt (s.o.). Das nunmehr dazu ergangene Urteil bezieht sich (ebenso wie weitere EuGH-Urteile) auf den "Schul- und Hochschulunterricht". Sie betreffen nicht den in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL gesondert genannten Bereich der Aus- und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung. Auf diese Urteile kommt es damit im Streitfall nicht an.
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