[Ohne Titel]

Dr. Olaf Schermann, RA/FAErbR[*]

Der folgende Beitrag gibt im Anschluss an die Darstellung in ErbStB 2021, 151 (Heft 5) einen Überblick über praxisrelevante höchst- und obergerichtliche Entscheidungen im Erbrecht, die im ersten Halbjahr 2021 ergangen sind. Den Schwerpunkt bilden Entscheidungen zur Testamentserrichtung und -auslegung, zum Pflichtteilsrecht und zum Kosten- und Gebührenrecht in Nachlasssachen.

[*] Der Autor ist als Rechtsanwalt bei Wissing Rechtsanwälte PartGmbB in Landau i.d. Pfalz tätig.

1. Testamentserrichtung und -auslegung

a) Anwachsung bei Wegfall eines Geschwisterkindes

Setzt eine unverheiratete, kinderlose Erblasserin in einem notariellen Testament ihre Nichte und ihren Neffen zu gleichen Teilen als Miterben ein und erklärt, sie habe weiter nichts zu bestimmen, so ergibt die Auslegung mangels Anwendbarkeit der Zweifelsregel des § 2069 BGB, dass die Erblasserin bei einem Wegfall des Neffen nicht dessen Kinder als Ersatzerben berufen wollte, sondern eine erstrebte Alleinerbenstellung der Nichte infolge Anwachsung.

OLG Düsseldorf v. 12.1.2021 – 3 Wx 132/20

BGB § 133, § 242, § 2069, § 2094

Beraterhinweis Das Recht des Ersatzerben geht nach § 2099 BGB dem Anwachsungsrecht vor. Fällt ein Erbe weg, ist deshalb vorrangig zu prüfen, ob Ersatzerben berufen sind. Hat der Erblasser jemanden als Erben eingesetzt, der nicht zu seinen Abkömmlingen gehört, ist die Auslegungsregel des § 2069 BGB nicht entspr. anwendbar (BayObLG v. 23.3.1982 – BReg. 1 Z 143/81, BayObLGZ 1982, 159; OLG München v. 6.7.2006 – 31 Wx 35/06, NJW-RR 2006, 1597; Weidlich in Palandt, § 2069 Rz. 8). In einem solchen Fall ist jedoch durch individuelle Auslegung zu ermitteln, ob in der Erbeinsetzung zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten als Ersatzerben zu berufen. Entscheidend ist, ob die Zuwendung dem Bedachten als erstem seines Stammes oder nur ihm persönlich gegolten hat (OLG Schleswig v. 10.6.2013 – 3 Wx 15/13, FamRZ 2014, 693; OLG Düsseldorf v. 8.11.2017 – 3 Wx 295/16, FamRZ 2018, 964; OLG München v. 11.6.2018 – 31 Wx 294/16, FamRZ 2018, 1614; KG v. 17.1.2020 – 6 W 58/19, ErbR 2020, 410; Weidlich in Palandt, § 2069 Rz. 9).

Ein starkes Indiz dafür, dass weniger die Personen als die jeweiligen Stämme bedacht werden sollten, liegt regelmäßig darin, wenn die Verwandten wie bei der gesetzlichen Erbfolge gleichmäßig bedacht werden, der Erblasser sich also mehr vom formalen Kriterium der Gleichbehandlung leiten lässt (OLG München v. 26.4.2017 – 31 Wx 378/16, FamRZ 2017, 1972), während eine Ungleichbehandlung von Verwandten den Schluss nahelegt, dass die Auswahl der Erben aufgrund der besonderen persönlichen Beziehungen erfolgt ist (OLG Düsseldorf v. 16.6.2014 – 3 Wx 256/13, NJW-RR 2014, 1287; OLG München v. 25.7.2016 – 31 Wx 156/15, FamRZ 2016, 2154).

Ist der Bedachte mit dem Erblasser nicht verwandt oder verschwägert, liegt ebenfalls die Annahme nahe, dass der Erblasser den Bedachten nicht als ersten seines Stammes, sondern aufgrund der besonderen persönlichen Beziehung als Erben eingesetzt hat (OLG München v. 19.12.2012 – 31 Wx 372/12, NJW-RR 2013, 456). Gleiches gilt, wenn besondere Leistungen des Bedachten (OLG München v. 5.11.2013 – 31 Wx 255/13, FamRZ 2014, 514) oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Bedachten (OLG München v. 13.4.2011 – 31 Wx 31/11, FamRZ 2011, 1692) Beweggrund für die Erbeinsetzung waren.

b) Anwachsung bei Wegfall eines Schlusserben aufgrund Pflichtteilsstrafklausel

Eine Einsetzung als Schlusserbe entfällt, wenn der in einem Ehegattentestament zum Schlusserben eingesetzte Abkömmling nach dem ersten Todesfall trotz testamentarisch vorgesehener Verwirkungsklausel den Pflichtteil verlangt. Es gilt dann die Anwachsung gem. § 2094 BGB als gewollt.

OLG Hamm v. 27.1.2021 – 10 W 71/20

BGB § 2087, § 2094, § 2270, § 2271

Beraterhinweis Mit einer Pflichtteilsklausel wollen gemeinschaftlich testierende Ehegatten sicherstellen, dass dem überlebenden Ehegatten nach dem ersten Erbfall der Nachlass ungeschmälert verbleibt und er nicht durch das Pflichtteilsverlangen eines Kindes gestört wird. Durch die Pflichtteilsklausel wird die Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder unter die auflösende Bedingung gestellt, dass sie der Klausel nicht zuwiderhandeln (OLG München v. 7.4.2011 – 31 Wx 227/10, NJW-RR 2011, 1164; Weidlich in Palandt, § 2269 Rz. 15).

Welches Verhalten die Sanktion auslösen soll, können die Ehegatten frei bestimmen. Es kann auf das "Verlangen", das "verzugsauslösende Geltendmachen", das "Erhalten" oder das "Durchsetzen" des Pflichtteils abgestellt werden (s. hierzu Radke, ZEV 2001, 136). Das Geltendmachen des Pflichtteils setzt im Zweifel nur ein ernsthaftes außergerichtliches Verlangen des Pflichtteils in Kenntnis der Pflichtteilsklausel voraus, nicht dessen gerichtliche Durchsetzung oder gar Auszahlung (OLG München v. 29.1.2008 – 31 Wx 68/07, NJW-RR 2008, 1034; OLG Düsseldorf v. 18.7.2011 – 3 Wx 124/11, FamRZ 2012, 331; OLG Rostock v. 11.12.2014 – 3 W 138/13, NJW-RR 2015, 776; Weidlich in Palandt, § 2269 Rz. 12). Weitere subjektive Voraussetzungen wie etwa ein bewusstes oder böswilliges Auflehnen gegen den Erblasserwillen sind nicht...

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