Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Erstattung der Kosten für intravitreale Injektionen mit dem Arzneimittel Avastin®. kein Off-Label-Use. keine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005. kein Seltenheitsfall

 

Orientierungssatz

Zu den Voraussetzungen für eine Kostenerstattung für intravitreale Injektionen mit dem Arzneimittel Avastin® zur Behandlung juxtapapillärer chorioidaler Neovaskularisationen (CNV) ohne altersbedingte Makuladegeneration (AMD) am rechten Auge (vgl BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 25/11 R = BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22 und BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = BVerfGE 115, 25).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 7. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für insgesamt 4 intravitreale Injektionen (IVI) mit Avastin® in Höhe von 1.577,12 € zu erstatten hat.

Bei der 1946 geborenen Klägerin wurde laut Arztbrief der Dr. R. (H. K. E. GmbH Klinik für Augenheilkunde) vom 22. August 2007 am rechten Auge die Verdachtsdiagnose auf juxtapapilläre chorioidale Neovaskularisationen (CNV) ohne altersbedingte Makuladegeneration (AMD) erhoben sowie u.a. ein deutliches subretinales Ödem bis unter die Fovea ziehend festgestellt.

Am 23. August 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine dreimalige IVI mit dem Wirkstoff Bevacizumab (Handelsname: Avastin®) in Höhe von 721,86 € unter Beifügung des Arztbriefes der Dr. R. vom 22. August 2007 und der Vereinbarung mit der H. K. E. GmbH über eine gewünschte Privatbehandlung "Injektion eines Medikamentes in den Glaskörper" als individuelle Gesundheitsleistung vom selben Tag. Bestätigt wurde das Vorliegen einer CNV ohne AMD. Die behandelnde Ärztin führte aus, erfolge keine Behandlung, drohe an dem betroffenen Auge der irreversible Verlust der zentralen Sehschärfe. Der korrigierte Visus betrage am rechten Auge 0,3, am linken Auge 1,0. Eine Injektions-Therapie mit Anti-VEGF sei indiziert, eine therapeutische Alternative bestehe nicht.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Thüringen e.V. (MDK) - Dr. W. - vom 3. September 2007 ein und lehnte mit Bescheid vom 4. September 2007 die Kostenübernahme ab.

Am 10. September 2007 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für eine IVI mit dem Wirkstoff Ranibizumab (Handelsname: Lucentis®) bei extrafovealer CNV am rechten Auge in Höhe von 5.709,78 €. Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK vom 13. September 2007 - Dr. W. - ein. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für die Injektion von Lucentis am rechten Auge lägen vor. Nach Hinweis der Beklagten, dass laut Bericht der H. K. E. GmbH vom 22. August 2007 bei der Klägerin keine AMD vorliege, führte Dr. W. in dem Gutachten des MDK vom 9. Oktober 2007 aus, bei den vorliegenden Läsionen sei eine Laserbehandlung therapeutischer Standard, d.h. die Klägerin sei aktuell nicht als austherapiert anzusehen.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme von IVI mit Lucentis® ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 13. November 2007 Widerspruch. Sie habe sich nunmehr am 22. Oktober 2007 im Rahmen einer Privatbehandlung das Medikament Avastin® injizieren lassen. Sie überreichte die Rechnung der Dr. G. vom 22. Oktober 2007 über 394,28 €. Weitere IVI mit Avastin® erfolgten im November 2007, Januar und Februar 2008. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die IVI von Medikamenten werde privat außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung erbracht und sei damit den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zuzuordnen. Diese dürften nur dann in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet werden, wenn sie in ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode sei grundsätzlich ausgeschlossen, solange sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen der Methode nicht geäußert habe. Eine Empfehlung des G-BA liege für die IVI mit Avastin® nicht vor. Zudem seien die Arzneimittel Avastin® und Lucentis® für die vorliegende Erkrankung nicht zugelassen. Avastin® sei von der Europäischen Zulassungsbehörde nur zur Behandlung bestimmter Formen von Krebs freigegeben worden. Lucentis® sei zur Anwendung bei der feuchten AMD zugelassen, diese Erkrankungsform des Auges bestehe bei ihr jedoch nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien die Krankenkassen grundsätzlich nicht leistungspflichtig, wenn Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes eingesetzt würden. Eine Kostenübernahme komme auch nicht ausnahmsweise in Betracht.

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