OFD Stuttgart, 4.3.2004, S 2303 A - 77 - St 32

 

1. Folgerungen aus dem EuGH-Urteil vom 12.6.2003 (C-234/01, BStBl 2003 II S. 859, „Gerritse”)

Der EuGH hat mit Urteil vom 12.6.2003 entschieden, dass der Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG gegen EU-Recht verstößt, soweit Gebietsfremden im Gegensatz zu unbeschränkt Steuerpflichtigen der Abzug der tatsächlichen Betriebsausgaben/Werbungskosten versagt wird. Im Vorgriff auf eine gesetzliche Neuregelung wurde mit BMF-Schreiben vom 3.11.2003 (IV A 5 – S 2411 – 26/03, BStBl 2003 I S. 553), ein vereinfachtes Steuererstattungsverfahren nach § 50 Abs. 5 Nr. 3 EStG eingeführt. Zuständig dafür ist das BfF.

Das FG Berlin hat nun in seiner Entscheidung vom 25.8.2003 (9 K 9312/99, EFG 2003 S. 1709) aus der Rechtsprechung des EuGH vom 12.6.2003 gefolgert, dass u.a. die Durchführung einer Antragsveranlagung nach § 50 Abs. 5 Nr. 2 EStG auch für selbstständig Tätige möglich sei und den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG für anwendbar gehalten. Diese Rechtsauffassung steht in Widerspruch zum BMF-Schreiben vom 3.11.2003. Gegen das Urteil des FG Berlin vom 25.8.2003 wurde Revision eingelegt (Az. beim BFH I R 87/03). Anträge auf Veranlagung sind daher unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 3.11.2003 abzulehnen. Dagegen eingelegte Einsprüche können jedoch ruhen.

Darüber hinaus ist in einem weiteren BFH-Verfahren (dortiges Az. I R 75/01, Vorinstanz: FG Hamburg vom 26.7.2001, II 377/00, EFG 2003 S. 1553) zu klären, ob im Hinblick auf das EuGH-Urteil vom 12.6.2003 Haftungsbescheide wegen unterlassenem Steuerabzug nach § 50a EStG (jedenfalls teilweise) EU-widrig wären. Einsprüche, die sich auf das anhängige Verfahren berufen, können ebenfalls ruhen.

 

2. Änderung des § 50d EStG durch das StÄndG 2003

§ 50d EStG soll sicherstellen, dass nur solche Personen Ermäßigungen auf Grund von DBA erhalten, die darauf einen Anspruch haben. Deshalb ist der Vergütungsschuldner verpflichtet, zunächst den Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG vorzunehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Gläubiger der Zahlung rechtzeitig eine Freistellungsbescheinigung beantragt. Hat der Vergütungsschuldner den Steuerabzug bereits vorgenommen, bleibt der Anspruch des ausländischen Vergütungsgläubigers nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG auf völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer unberührt. Durch Ergänzung des Absatzes 1 Satz 2 EStG wurde sichergestellt, dass der Anspruch des Gläubigers auch die vom Vergütungsschuldner auf Grund eines Nachforderungsbescheids oder Haftungsbescheids entrichtete Steuer umfasst. Nach § 52 Abs. 59a Satz 4 EStG i.d.F. des StÄndG 2003 gilt die Neuregelung bereits rückwirkend ab 1.1.2002.

Beispiel:

Der beschränkt steuerpflichtige A ist Informatiker und wohnt in Wien. Er überlässt einer Kapitalgesellschaft in Nürnberg geschütztes Know-how gegen eine jährlich zum 1.2. fällige Vergütung (erstmals am 1.2.2004). Eine Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 EStG wird zum Fälligkeitszeitpunkt nicht vorgelegt.

Da die Kapitalgesellschaft keinen Steuerabzug vornimmt, wird am 1.10.2004 vom FA ein Haftungsbescheid erlassen. Die Haftungsschuld wird unmittelbar danach entrichtet. Die Kapitalgesellschaft belastet A den im Wege der Haftung abgeführten Steuerabzug weiter und stellt A eine Steuerbescheinigung über die entrichtete Haftungsschuld aus (§ 50a Abs. 5 Satz 7 EStG).

Nach Art. 12 DBA Österreich können Lizenzgebühren nur im Ansässigkeitsstaat (= Österreich) besteuert werden, da eine Betriebsstätte des A in Deutschland nicht vorliegt. A kann innerhalb von vier Jahren beim BfF einen Erstattungsantrag stellen (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2003).

 

3. Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners für nicht angemeldeten Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG durch Haftungs- oder Nachforderungsbescheid

Der BFH hat mit Urteil vom 29.1.2003 (I R 10/02, BStBl 2003 II S. 687) entschieden, dass der Anlauf der Festsetzungsverjährung gegenüber dem Steuerschuldner gehemmt wird (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO), wenn eine zur Einbehaltung und Abführung von Steuern verpflichtete Person (Entrichtungssteuerschuldner) die ihr obliegenden Verpflichtungen nicht erfüllt und keine Steueranmeldung abgibt.

Daraus folgt, dass bei Nichtabgabe der Anmeldung über den Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG beim Steuerschuldner (= Vergütungsgläubiger) eine dreijährige Anlaufhemmung eintritt. Dadurch wird der Zeitraum erweitert, in welchem der Entrichtungspflichtige (= Vergütungsschuldner) durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Allerdings besteht auch weiterhin die Möglichkeit, gegen den Vergütungsschuldner einen Nachforderungsbescheid zu erlassen. Zu Einzelheiten vgl. insoweit Verfügungen vom 7.1.2003 und 14.11.2003, S 0339 A – 13 – St 44.

 

Normenkette

EStG § 50a Abs. 4

EStG § 50d

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