Rz. 85

[Autor/Stand] Mit Urteil vom 12.10.2022 hat der BFH[2] entschieden, dass die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht weder den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt noch gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Es geht in der Entscheidung um die Schenkung einer Immobilie in der Schweiz durch die Mutter des Klägers, die mit ihm kurz zuvor aus Deutschland weggezogen war; beide waren deutsche Staatsbürger. Die Einbeziehung der deutschen Staatsangehörigen mit Auslandswohnsitz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG in die unbeschränkte Steuerpflicht gehört zur Bestimmung des Umfangs des Steuergegenstands, der dem Gesetzgeber weiten Gestaltungsspielraum eröffnet. Die Vorschrift dient dazu, Steuerumgehungen durch lediglich vorübergehende Wohnsitzverlegung ins Ausland zu vermeiden.

Die Ungleichbehandlung deutscher und nichtdeutscher Staatsangehöriger hält der BFH für gerechtfertigt. Aus der Staatsangehörigkeit resultieren Rechte, die einen hinreichenden Inlandsbezug unabhängig von Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt herstellen, wie z.B. das Wahlrecht (s. § 12 Abs. 2 BWahlG). Zudem hat der Gesetzgeber diese Steuerpflicht auf einen Zeitraum von fünf Jahren beschränkt, in dem kein inländischer Wohnsitz besteht. Diese zeitliche Begrenzung trägt in freiheitsschonendem Maße der Tatsache Rechnung, dass mit fortschreitendem Zeitablauf die Bindungen des im Ausland wohnhaften deutschen Staatsangehörigen zu Deutschland allmählich verblassen und ein fortbestehender unbeschränkter Steuerzugriff damit immer rechtfertigungsbedürftiger wird. Die zeitliche Begrenzung des Zeitraums auf fünf Jahre hält sich dabei in den Grenzen einer zulässigen Typisierung.[3]

Außerdem verhindert § 21 ErbStG zumindest teilweise eine Doppelbesteuerung in Auslandsfällen (s.§ 21 ErbStG Rz. 16 und 18). Ein mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbares strukturelles Erhebungs- und Vollstreckungsdefizit hat der Gesetzgeber mit der Anzeigepflicht der Beteiligten nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG und der langen Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO und den besonderen Mitwirkungspflichten der Beteiligten in Auslandsfällen nach § 90 Abs. 2 AO vermieden.

Es liegt auch keine Verletzung von Art. 2 GG unter dem Aspekt der Ausreisefreiheit vor (s. Rz. 32 des BFH-Urteils mit Verweisung auf die Entscheidungen des BVerfG).

 

Rz. 86

[Autor/Stand] Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht verstößt auch nicht gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV). Diesbezüglich beruft sich der BFH auf eine Entscheidung des EuGH zum niederländischen Recht vom 23.2.2006[5], weshalb es keiner Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV bedurfte. Darin hatte der EuGH entschieden, dass die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht dann nicht gegen den Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, wenn die ausländische Steuer weitgehend auf die deutsche Steuer angerechnet wird. Da eine mögliche Schweizer Schenkungsteuer nach § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 ErbStG, i.V.m. § 121 Nr. 2 BewG anzurechnen gewesen wäre, sei ein Verstoß gegen EU-Recht nicht gegeben.

[Autor/Stand] Autor: Högl, Stand: 01.04.2024
[2] BFH v.12.20.2022 – II R 5/20, BStBl. II 2023, 659 ff.; BFH/NV 2023, 320 ff., ErbStB 2023, 65 ff. (Kirschstein); Verfassungsbeschwerde (1 BVB 325/23) wurde eingelegt. In 1. Instanz hatte das FG München mit Urteil v. 3.7.2019 – 4K 1286/18 ErbStB 2020,188 (Günther) die Klage genauso abgewiesen, wie der BFH in zweiter 2. Instanz entschieden hat.
[Autor/Stand] Autor: Högl, Stand: 01.04.2024
[5] EuGH v. 23.2.2006 – C-513/03 – van Hilten, BFH/NV Beilage 2006, 229.

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