Rz. 7

[Autor/Stand] Die AO 1977 enthält im Gegensatz zur AO 1919 und zum StAnpG keine Vorschrift über die Auslegung von Steuergesetzen. Dies ist historisch begründet. Dem Schöpfer der AO 1919, Enno Becker, schien zur damaligen Zeit der Methodenstreit zwischen der Begriffsjurisprudenz und der Interessenjurisprudenz noch nicht zugunsten letzterer gesichert entschieden zu sein. Um eine "ideologische Wirklichkeitsjurisprudenz" bei der Anwendung von Steuergesetzen erreichen zu können, schuf er § 4 AO 1919, den Vorläufer des § 1 Abs. 2 StAnpG. Danach war ausdrücklich vorgeschrieben, dass bei der Auslegung von Steuergesetzen "der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze und die Entwicklung der Verhältnisse" zu berücksichtigen sind. Diese Auslegungsregel wurde unter dem Schlagwort "wirtschaftliche Betrachtungsweise" der Steuergesetze bekannt. In der Regierungsvorlage zur AO 1977 war zwar noch als § 4 Abs. 2 eine dem bisherigen § 1 Abs. 2 StAnpG entsprechende Auslegungsvorschrift enthalten. Indessen hielt der Bundestag diese Vorschrift für entbehrlich, weil Auslegungsregeln der Kodifikation nicht bedürfen.[2] Die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise ist somit nach wie vor im Rahmen der Auslegung der von den Steuertatbeständen verwendeten Begriffe und im Verhältnis zwischen gesetzlichem Tatbestand und Sachverhalt zu verwenden.[3]

[Autor/Stand] Autor: Esskandari, Stand: 01.04.2020
[2] Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 200.
[3] Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 320 ff.; grundlegend im Überblick Eibelshäuser, DStR 2002, 1426 ff.

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