Rz. 159

Nach Art. 60 MwStSystRL erfolgt eine Einfuhr in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt seines Verbringens in die Gemeinschaft befindet. Art. 61 MwStSystRL regelt den Ort der Einfuhr von Gegenständen, die sich nicht im freien Verkehr befinden. Die Bezugnahme in Art. 61 Unterabs. 1 und in Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL auf "ein Verfahren oder eine sonstige Regelung im Sinne" des Art. 156 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass sie u. a. Freizonen umfasst. Daraus folgt, dass nach diesen Bestimmungen in einer Freihandelszone gelagerte Gegenstände für die Zwecke der MwSt grundsätzlich nicht als eingeführt anzusehen sind. In diesem Sinne entsprechen Freizonen, auf die in einer nationalen Bestimmung Bezug genommen wird, nach der für die Zwecke der Erhebung der MwSt Freizonen nicht zum Inland gehören, den Freizonen gemäß Art. 156 MwStSystRL. Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL kann aufgrund seines uneingeschränkten Wortlauts nicht dahin (miss-)verstanden werden, dass die EUSt des betreffenden Mitgliedstaats ausnahmslos entsteht, wenn eine Einfuhrzollschuld bereits dann entsteht. Die Vorschrift ist lediglich eine Regelung über den Zeitpunkt des Eintretens von Steuertatbestand und Steueranspruch. Sie geht ersichtlich – indem sie von "eingeführten" Gegenständen spricht – davon aus, dass der Besteuerungsgegenstand, nämlich die Einfuhr von Gegenständen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL), gegeben ist. Danach treten Steuertatbestand und Steueranspruch nur dann zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für die Zölle entstehen, wenn auch mehrwertsteuerrechtlich eine Einfuhr erfolgt ist. Solange in die Union verbrachte Gegenstände z. B. einer sonstigen Regelung i. S. d. Art. 156 MwStSystRL unterliegen, treten Steuertatbestand und Steueranspruch für sie nicht ein. So lange gibt es gemäß Art. 61 Unterabs. 1 MwStSystRL keinen Ort der Einfuhr und sind die Gegenstände demzufolge keine "eingeführten Gegenstände".[1]

Zu der Frage, ob deutsche EUSt auf Waren entsteht, die im deutschen Teil des EU-Zollgebiets der zollamtlichen Überwachung entzogen bzw. dorthin vorschriftswidrig verbracht wurden, jedoch tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat geliefert wurden und dort in den Wirtschaftskreislauf eingegangen sind, hat der EuGH entschieden: Es muss nachgewiesen sein, dass der fragliche Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat, seinen endgültigen Bestimmungsort, weiterbefördert worden ist, wo er verbraucht wurde. Dann entsteht die EUSt auf diesen Gegenstand nur in diesem anderen Mitgliedstaat. Wenn unstreitig ist, dass die fraglichen Gegenstände in einen anderen EU-Mitgliedstaat, ihrem endgültigen Bestimmungsort, weiterbefördert worden sind, wo sie verbraucht wurden, stellt das in Deutschland begangene zollrechtliche Fehlverhalten für sich genommen keinen ausreichenden Beweis dafür dar, dass die fraglichen Gegenstände in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt sind.[2]

Nach Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL entsteht die EUSt für zollpflichtige Gegenstände in dem Mitgliedstaat, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde, sofern die fraglichen Waren in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sind, auch wenn sie körperlich in einem anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt sind.[3]

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[1] Vgl. EuGH v. 1.6.2017, C-571/15, Wallenborn Transports, Haufe-Index 10892027, HFR 2017, 863.
[2] Vgl. EuGH v. 10.7.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, Haufe-Index 13290181, HFR 2019, 822.
[3] EuGH v. 3.3.2021, C-7/20, Hauptzollamt Münster, Haufe-Index 14375165, HFR 2021, 522.

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