Rz. 41

Mit der Ersten Richtlinie des Rates v. 11.4.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern[1] wurde das Grundprinzip des heutigen gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems mit Vorsteuerabzug eingeführt. Wesentliches Ziel war es, das in den meisten Mitgliedstaaten bekannte kumulative Mehrphasensteuersystem durch ein System zu ersetzen, das von dem elementaren Grundsatz der Wettbewerbsneutralität in der Unternehmerkette ausgeht. Dieser Grundsatz erfordert

  • eine gleichmäßige Belastung gleichartiger Waren und Dienstleistungen im Inland,
  • die Möglichkeit eines genauen Ausgleichs der Umsatzsteuerbelastung im grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr (d. h. eine vollständige Entlastung bei der Ausfuhr sowie gleiche Belastung der Einfuhr wie bei Inlandsumsätzen).
 

Rz. 42

Für die Verletzung des Grundsatzes der Neutralität der MwSt genügt es, wenn zwei aus der Sicht des Verbrauchers gleiche oder gleichartige Dienstleistungen, die dieselben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigen, hinsichtlich der MwSt unterschiedlich behandelt werden. Für das Vorliegen der Neutralitätsverletzung bedarf es also nicht der weiteren Voraussetzung, dass die fraglichen Umsätze tatsächlich in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen oder dass der Wettbewerb wegen der mehrwertsteuerlichen Ungleichbehandlung verzerrt ist. Zur Frage der Gleichbehandlung im Unrecht gilt, dass ein Steuerpflichtiger, der die Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes geltend macht, nicht die Rückerstattung der für bestimmte Dienstleistungen entrichteten MwSt verlangen kann, wenn die Steuerbehörden des betreffenden Mitgliedstaats gleichartige Dienstleistungen in der Praxis wie steuerfreie Umsätze behandelt haben, obwohl diese Leistungen nach der gesetzlichen Regelung des Mitgliedstaats nicht steuerfrei waren.[2]

 

Rz. 43

Um diesen Forderungen der Wettbewerbsneutralität nachzukommen, legte die 1. EWG-Richtlinie folgende Grundprinzipien fest:

  • Anwendung der Steuer auf allen Wirtschaftsstufen einschließlich der Einzelhandelsstufe (System der fraktionierten Zahlung der Steuer).
  • Gleichmäßige Belastung durch eine allgemeine zum Preis genau proportionale Verbrauchsteuer. Die MwSt soll als allgemeine Verbrauchsteuer eine umfassende Besteuerung des privaten und öffentlichen Letztverbrauchs sicherstellen.
  • Gleichmäßige Belastung durch vollständige Anrechnung der auf den Vorstufen bereits entrichteten Steuer durch den Vorsteuerabzug, damit Ausschaltung von Kumulationswirkungen (z. B. durch Einschränkungen des Vorsteuerabzugs oder durch Steuerbefreiungen in der Unternehmerkette).
  • Gleichmäßige Belastung ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs und damit Vermeidung von Konzentrationsanreizen (z. B. durch Steuerbefreiungen in der Unternehmerkette).

Als Einführungszeitpunkt des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems legte die 1. EWG-Richtlinie den 1.1.1970 fest. Die Richtlinie ist in der Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem[3] aufgegangen[4] und mWv. 1.1.2007 aufgehoben worden.

[1] 67/227/EWG, ABl. EG 1967, 1301.
[2] Vgl. z. B. EuGH v. 10.11.2011, C-259/10, C-260/10, Rank Group, Haufe-Index 2800709, HFR 2012, 98.
[3] ABl. EU 2006 Nr. L 347/1, sog. Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie – MwStSystRL.
[4] Abschn. 4.8.

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