Rz. 34

Haben sich die Beteiligten außergerichtlich oder im gerichtlichen Verfahren darauf verständigt, einen bestimmten Sachverhalt der steuerrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen (sog. tatsächliche Verständigung), ist das Gericht für seine Entscheidung daran gebunden und kann keine eigenen Ermittlungen insoweit anstellen.[1] Weil es die Aufgabe der Finanzgerichte ist, Individualrechtsschutz zu gewähren und nicht als übergeordnete Aufsichtsbehörde der Finanzverwaltung zu fungieren, gilt das selbst dann, wenn sich Zweifel an der Richtigkeit des zur Entscheidung gestellten Sachverhalts aufdrängen, sofern nicht die tatsächliche Verständigung zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt.

 

Rz. 35

Der BFH hat die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkannt. Zweck der tatsächlichen Verständigung ist es, zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens hinsichtlich bestimmter Sachverhalte, deren Klärung schwierig, aber zur Festsetzung der Steuern notwendig ist, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i. S. d. § 88 AO einvernehmlich festzulegen. Vergleiche über Steueransprüche sind demgegenüber wegen der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht möglich. An einer zulässigen und wirksamen tatsächlichen Verständigung müssen sich die Beteiligten festhalten lassen. Eine Bindung gilt jedoch nur insoweit, als die tatsächliche Verständigung reicht. Denn tatsächliche Verständigungen betreffen i. d. R. (nur) einen von den Beteiligten zu konkretisierenden Ausschnitt aus dem gesamten jeweils zu beurteilenden Besteuerungssachverhalt und dienen dem Ziel, insoweit Unsicherheiten und Unklarheiten zu beseitigen. Der hiernach einvernehmlich festgelegte Sachverhalt ist dann, soweit die Einigung reicht, aufgrund der Bindung der Beteiligten an die tatsächliche Verständigung bei allen Steuerfestsetzungen und Feststellungen zu berücksichtigen, für die dieser Sachverhalt steuerlich von Bedeutung ist. Bindungswirkung entfaltet eine tatsächliche Verständigung nur insoweit, als sie sich auf Sachverhaltsfragen und nicht auf Rechtsfragen bezieht und die Sachverhaltsermittlung erschwert ist. Zu beachten ist, dass auch in einer Verständigung, die als solche eine Einigung über eine rechtliche Beurteilung darstellt, zugleich ebenfalls eine zulässige Verständigung über tatsächliche Vorfragen liegen kann.[2]

 

Rz. 36

Voraussetzung einer tatsächlichen Verständigung ist ein nur schwer oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermittelnder Sachverhalt, insbesondere in Schätzungsfällen. Die Verständigung darf nicht zu offenbar unzutreffenden Ergebnissen führen.[3] An ihr müssen auf beiden Seiten bevollmächtigte bzw. insoweit zuständige Personen beteiligt sein.[4] Aufseiten des FA soll eine wirksame tatsächliche Verständigung nur der zeichnungsbefugte Amtsträger (z. B. Vorsteher, für die Veranlagung zuständige Sachgebietsleiter, ggf. Leiter der Rechtsbehelfsstelle) herbeiführen können.[5] Sie ist jederzeit zulässig, also im Veranlagungsverfahren, während der Außenprüfung, im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und während des Gerichtsverfahrens, und kann von den Beteiligten oder dem Gericht angeregt werden.[6] Eine unter diesen Umständen zustande gekommene tatsächliche Verständigung ist für beide Seiten während des gesamten weiteren Verfahrens nach Treu und Glauben bindend.[7] Sie kann nur einverständlich aufgehoben oder nach zivilrechtlichen Grundsätzen angefochten werden.[8] Auszulegen sind tatsächliche Verständigungen wie zivilrechtliche Willenserklärungen nach dem objektiven Empfängerhorizont.[9] Dabei sollen nach Ansicht des BFH aber §§ 154 und 155 BGB keine Anwendung finden, da es sich bei der tatsächlichen Verständigung um ein eigenständiges Rechtsinstitut handeln soll und nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag.[10] An seinen Vorschlag zu einer tatsächlichen Verständigung ist das Gericht bei seiner Entscheidung nach Scheitern einer Verständigung nicht gebunden.[11]

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