Rz. 31

Die in § 92 AO normierte Beweismittelfreiheit ermächtigt die Finanzbehörde nicht, in grundrechtlich geschützte Positionen des Bürgers einzugreifen. Aus diesen Positionen von Verfassungsrang folgen Beweisermittlungsverbote, die ihrerseits entweder in den Verfahrensordnungen gesetzlich geregelt sind oder sich aus den Grundrechtsartikeln des GG selbst ergeben. Soweit die Verfahrensordnungen entsprechende Vorschriften enthalten, regeln diese für die Finanzbehörde verbindlich das Verhältnis von staatlichem Aufklärungsinteresse einerseits und verfassungsrechtlich garantiertem Individualrecht andererseits. Die Nichtbeachtung darin gezogener Grenzen staatlichen Handelns impliziert über den Verfahrensfehler somit zugleich einen Grundrechtsverstoß. Die aus der Rechtsverletzung gewonnenen Erkenntnisse dürfen wegen der an dem verletzten Rechtsgut zu messenden Schwere des Verstoßes nicht verwertet werden. In einem solchen Fall muss das Individualinteresse des Stpfl. an einem effektiven Grundrechtsschutz gegenüber dem Gemeinwohlinteresse an einer materiell zutreffenden Besteuerung Vorrang genießen.[1]

 

Rz. 32

Die AO enthält derart qualifizierte Beweisermittlungsvorschriften mit Grundrechtsbezug in den Regelungen über die Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte.[2] Diese Vorschriften sollen insb. den Schutz von Ehe und Familie[3] und den Schutz der Berufsfreiheit[4] gewährleisten. Eine Verletzung dieser Vorschriften ist grundsätzlich – mit Ausnahme nachträglich erteilter Zustimmung – irreparabel. Da der Verstoß nicht rückgängig gemacht werden kann, darf die Finanzbehörde die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse nicht verwerten. Das Beweisverwertungsverbot gilt unmittelbar.[5]

 

Rz. 33

Beweisverwertungsverbote folgen jedoch nicht nur aus der Verletzung der für das Besteuerungsverfahren unmittelbar geltenden Beweisermittlungsvorschriften. Auch die entsprechenden Regelungen anderer Verfahrensordnungen sind zu beachten. Zwar stehen der Finanzbehörde auch gegenüber anderen Behörden Ermittlungsbefugnisse zu.[6] Doch auch für den grundsätzlichen Vorrang der im Besteuerungsinteresse liegenden Offenbarungspflichten gegenüber den amtlichen Verschwiegenheitspflichten gilt gem. § 105 Abs. 2 AO ausdrücklich der Grundrechtsvorbehalt.[7]

Im Weg der Aktenbeiziehung erlangte Kenntnisse können deshalb nicht verwertet werden, wenn die mitteilende Behörde durch die Informationsüberlassung gegen für sie direkt geltende, grundrechtsschützende Verfahrensnormen verstoßen hat.[8]

 

Rz. 34

Gleiches gilt für Ermittlungsergebnisse, die im Weg zwischenstaatlicher Amtshilfe in Steuersachen[9] erzielt wurden. Der Sachverhalt muss von der ausländischen Behörde unter Beachtung deutscher Rechtsgrundsätze ermittelt worden sein. Ist dies nicht aktenkundig, so ist nach inländischen Rechtsgrundsätzen zu prüfen, ob die Ergebnisse im Rahmen des Besteuerungsverfahrens verwertet werden können. Unterlägen sie als ein gedachtes Ergebnis deutscher Behörden einem Verwertungsverbot, so gilt dies auch für die Feststellung der ausländischen Behörde und umgekehrt. Die Wertentscheidungen des GG und der deutschen Verfahrensordnungen wirken insofern universell.

 

Rz. 35

Das behördliche Verwertungsverbot gilt auch für solche Erkenntnisse, die private Dritte unter Verletzung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen des Stpfl. erlangt haben. So darf eine privat veranlasste, heimliche Tonbandaufnahme grundsätzlich nicht für Zwecke des Steuer(straf)verfahrens verwertet werden. Dies folgt aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht, wonach grundsätzlich jedermann selbst und allein bestimmen darf, wer sein Wort aufnehmen soll sowie ob und vor wem seine auf einen Tonträger aufgenommene Stimme wieder abgespielt werden darf.[10]

Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass in Fällen, in denen überwiegende Interessen der Allgemeinheit dies zwingend gebieten, auch das schutzwürdige Interesse des Stpfl. an der Nichtverwertung einer heimlichen Tonbandaufnahme im Steuer(straf)verfahren zurücktreten muss. Insofern gelten die für die Verwertung im Zivil- und Strafprozess aufgestellten Grundsätze entsprechend.[11] Danach können eine heimliche Tonbandaufnahme und ihre Verwertung im Steuer(straf)verfahren zulässig sein, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen sowie mit Rücksicht auf die generelle Bedeutung der betroffenen Schutzgüter die Rechtsverwirklichung, der dieses Beweismittel dienen soll, Vorrang vor dem Schutz des gesprochenen Worts haben muss.[12] Als taugliche Parameter im Rahmen der Güterabwägung kommen u. a. die Höhe der infrage stehenden Steuer und die Intensität des auf Steuervermeidung gerichteten Verhaltens in Betracht.

 

Rz. 36

Dagegen ist die finanzbehördliche Sachverhaltsaufklärung nicht rechtswidrig, wenn von Privatpersonen überlassene Erkenntnisquellen verwertet werden, die diese sich zwar rechtswidrig, aber ohne Verletzung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen verschafft haben. Das materiell rechtswidrige Verhalten ...

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