Rz. 7

Nach § 92 S. 1 AO bedient sich die Finanzbehörde der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Die Erforderlichkeit der Beweiserhebung ist von der Finanzbehörde nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls im Weg einer Prognoseentscheidung im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung zu beurteilen.[1] Das damit im Rahmen der Verfahrensmaßnahme "Beweiserhebung" eingeräumte Auswahlermessen entspricht der Grundaussage des § 88 Abs. 1 S. 2 AO, wonach die Behörde Art und Umfang ihrer Ermittlungen, d. h. das "Wie" des Verfahrens insgesamt, selbst bestimmt. Ob ein Verfahren eingeleitet werden soll, liegt dagegen nicht im Ermessen (Entschließungsermessen) der Behörde[2], da im Falle einer Beweisbedürftigkeit eines Besteuerungselements und vorhandener Beweismittel nach Maßgabe des Legalitätsprinzips Beweis zu erheben ist.

 

Rz. 8

Die Auswahl des Beweismittels unterliegt als Ermessensentscheidung der gerichtlichen Nachprüfung.[3] Das FG darf die Ermessensentscheidung allerdings nur darauf prüfen, ob sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen hält und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, also auf eine Ermessensunter- oder -überschreitung oder ein fehlerhaftes Ermessen.[4] Weitere rechtliche Grenzen ergeben sich aus den in Teilbereichen zusätzliche Anforderungen beinhaltenden Regelungen der §§ 93ff. AO.

 

Rz. 9

Nach den allgemeinen Grundsätzen hat die Finanzbehörde die Entscheidung nach sachlichen Gesichtspunkten unter gerechter und billiger Abwägung des öffentlichen Interesses und der Belange des Bürgers zu treffen und insbesondere die Grundsätze der Zweckmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Deshalb kann die Finanzbehörde ein bestimmtes Beweismittel nur dann verlangen, wenn dieses zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig ist, die Pflichterfüllung für den Betreffenden möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist.[5] Sich wiederholende Ermittlungsmaßnahmen der Finanzbehörde können wegen der konkreten Auswirkungen auf die Verhältnisse der Beteiligten u. U. eine besondere Ermessensabwägung erfordern.[6]

 

Rz. 10

Der BFH[7] hat es bislang ausdrücklich dahinstehen lassen, ob diese Erfordernisse rechtliche Grenzen i. S. ungeschriebener Tatbestandsmerkmale für das jeweilige Beweismittel darstellen[8] oder ob die Finanzbehörde sie lediglich im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat.[9] M. E. verdient die letztgenannte Ansicht den Vorzug.

[1] AEAO, zu § 92; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 92 AO Rz. 7; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 92 Rz. 2; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 92 AO Rz. 8.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 92 AO Rz. 5.
[5] BFH v. 24.10.1989, VII R 1/87, BStBl II 1990, 198; BFH v. 22.2.2000, VII R 73/98, BStBl II 2000, 366 m. w. N. aus der Rspr.; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 92 Rz. 3; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 92 Rz. 2; Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2018, § 92 Rz. 6.
[6] BFH v. 22.12.2006, VII B 121/06, BStBl II 2009, 839; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 92 AO Rz. 7.
[8] Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 92 Rz. 3.
[9] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 93 AO Rz. 60.

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