Rz. 2

Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht ein Willensakt, sondern die tatsächliche, wirtschaftliche Gestaltung der Verhältnisse entscheidend.[1] Die Verobjektivierung des Wohnsitzbegriffs sollte ursprünglich (bis zum Jahr 1945) verhindern, dass die durch Reichsfluchtsteuergesetz 1931 eingeführte Reichsfluchtsteuer bei Wegzug durch willentliche Beibehaltung des Wohnsitzes vermieden werden konnte.[2] Obwohl bereits in § 13 StAnpG wie jetzt in § 8 AO bewusst die ursprüngliche Formulierung der RAO ("eine Wohnung u. U. innehat, die auf die Absicht der Beibehaltung einer solchen schließen lassen") objektiver gefasst worden ist ("innehat u. U., die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und nutzen wird"), so sind die Absichten des Stpfl. dennoch nicht völlig ohne Belang.[3] Diese Absichten werden jedoch lediglich bei der Wertung der für den Wohnsitzbegriff entscheidenden Merkmale im Einzelfall herangezogen. Es muss sich um im steuerlichen Sinn objektivierte und nachprüfbare Voraussetzungen für das Innehaben einer Wohnung handeln.[4] Hierbei ist eine Prognoseentscheidung zu treffen.[5] Die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für das fehlende "Innehaben" sind für die Frage des Wohnsitzes dagegen unerheblich.[6]

Da das Innehaben der Wohnung entscheidend ist, kommt der polizeilichen Anmeldung bzw. Abmeldung grundsätzlich keine Bedeutung zu.[7] Dies kann im Ausnahmefall anders zu sehen sein, wenn die einzelsteuerliche Vorschrift auf die Anmeldung abstellt, wie dies vielfach bei der Zweitwohnungssteuer der Fall ist.[8]

Bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 8 AO ist auch ein entgegengesetzter rechtlicher oder natürlicher Wille des Stpfl. oder seines gesetzlichen Vertreters ohne Bedeutung.[9] Deswegen kann auch ein Minderjähriger steuerlich einen Wohnsitz begründen und aufgeben[10], während § 8 BGB dieses ausschließt.[11] Bei Eheleuten ist für jeden Ehepartner getrennt zu untersuchen, ob er einen Wohnsitz hat. Regelmäßig wird der Wohnsitz bzw. werden die Wohnsitze allerdings – ebenso wie bei minderjährigen Kindern – gemeinsam innegehabt.[12]

Die Entscheidung über das Bestehen eines Wohnsitzes ist nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums zu treffen[13], bei der örtlichen Zuständigkeit von Finanzbehörden[14] nach der augenblicklichen Situation.

[1] BFH v. 10.11.1978, VI R 127/76, BStBl II 1979, 335; s. auch BFH v. 5.11.2001, VI B 219/00, BFH/NV 2002, 311; BFH v. 28.1.2004, I R 56/02, BFH/NV 2004, 917; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 8 AO Rz. 2; Buciek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 8 AO Rz. 8.
[2] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, vor § 8 AO Rz. 2.
[3] Vogel/Waldhoff, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 1 Rz. B 87: Wohnsitzdefinition nicht gänzlich frei von subjektiven Willenselementen; a. A. BFH v. 5.11.2001, VI B 219/00, BFH/NV 2002, 311; BFH v. 7.4.2011, III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351; Kruse, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 8 AO Rz. 2: "notwendiges Element der Würdigung der Begleitumstände des Innehabens".
[8] BFH v. 28.2.2003, II B 9/02, BFH/NV 2003, 837 zum Berliner Zweitwohnungssteuergesetz.
[9] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 8 AO Rz. 2; BFH v. 14.11.1969, III R 95/68, BStBl II 1970, 153.
[10] Ebenso Buciek, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 8 AO Rz. 8; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 8 AO Rz. 3.
[11] Vgl. auch § 11 BGB.
[12] Vgl. Rz. 8, 13.
[14] Vor allem nach § 19 AO.

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