Entscheidungsstichwort (Thema)

Doppelbesteuerungsabkommen

 

Leitsatz (amtlich)

Ob jemand im Sinne des § 13 StAnpG eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird, ist im wesentlichen eine Frage der Tatbestandswürdigung, die nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums zu geschehen hat.

Zum steuerlichen Wohnsitzbegriff.

Gelegentliche Aufenthalte in einem abgelegenen Haus während der Schulferien der Kinder führen in der Regel nicht zu einer Wohnsitzbegründung an diesem Ort.

 

Normenkette

OECD-MA 4; StPräfG § 1/1; StAnpG § 13; BHG § 21/1; OECD-MA 4/1

 

Tatbestand

Der Bg. ist Arzt in Berlin (West) und wird dort seit dem Jahre 1953 ununterbrochen veranlagt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. In den Jahren 1958/59 ließ er sich in N. (Bayerische Oberpfalz) für 52.600 DM (ohne Grundstück) ein massives Haus errichten; Heizung ist vorhanden. In der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin hat der Bg. unwidersprochen erklärt:

"Das Haus ist im Juli 1959 bezugsfertig geworden. Nach Fertigstellung habe ich mit meiner Familie während der Sommerferien 4 Wochen dort gelebt. Außerdem waren wir noch während der Herbstschulferien für etwa 10 Tage in N. Außerhalb dieser beiden Aufenthalte hat kein Mitglied meiner Familie in dem Hause gewohnt.

Das Haus besteht aus einem Wohnraum, drei Schlafräumen, Küche und Nebengelaß. Das Haus ist nicht an die Ortswasserleitung angeschlossen. Es befindet sich lediglich ein Brunnen dort, der aber kein Trinkwasser liefert, bzw. muß das Wasser zu Trinkzwecken zunächst abgekocht werden.

Das Haus liegt in 600 m Höhe und ist von Wald umgeben. Die Zufahrtswege sind praktisch nur bei trockenem Wetter begeh- und befahrbar.

Zwei in der Nähe liegende Dörfer haben nur einige hundert Einwohner. Die nächste Kreisstadt ... mit ca. 6.000 Einwohnern liegt etwa 16 km von meinem Hause entfernt".

Bei der Einkommensteuerveranlagung für 1959 lehnte das Finanzamt die vom Bg. beantragte Anwendung des Berliner Steuerpräferenzgesetzes vom 4. Juli 1955 (Steuerpräferenzgesetz, BGBl 1955 I S. 384, BStBl 1955 I S. 245) ab, weil der Bg. im Streitjahr 1959 in N. einen zweiten Wohnsitz unterhalten habe.

Der Steuerausschuß und das Verwaltungsgericht Berlin sprachen dem Bg. die Vergünstigung nach dem Steuerpräferenzgesetz zu. Das Verwaltungsgericht führt aus: Der Bg. habe im Streitjahr seinen ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) gehabt, wo der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen gewesen sei; hier habe er mit seiner Familie gelebt und seinen Beruf ausgeübt. Unerheblich sei, daß er das Haus in N. gehabt und sich dort während der Ferien aufgehalten habe. Durch diesen nur der Erholung dienenden Besitz habe der Bg. keinen zweiten Wohnsitz im Sinne des § 13 StAnpG begründet. In dem abgelegenen Anwesen hätten wesentliche Möglichkeiten der Lebensentfaltung, wie die Ausübung des Berufs und der Schulbesuch der Kinder, gefehlt. Der ganze Zuschnitt, gekennzeichnet durch die ungünstige Wasserversorgung und den schwierigen Zugang über Feldwege auf eine Höhenlage von 600 m, mache das Haus für einen Daueraufenthalt ungeeignet. Nach § 13 StAnpG werde ein Wohnsitz nur begründet, wenn jemand eine Wohnung innehabe, die er beibehalten und bewohnen werde. Eine für die Ferienzeit ausreichende Unterkunft allein genüge dazu nicht. Auch daß der Bau massiv sei, könne nicht allein entscheidend sein.

Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Rechtsanwendung. Er führt aus, der Bg. habe in N. einen zweiten Wohnsitz begründet. An Wohnungen in Landhäusern und Sommerwohnungen seien geringere Anforderungen zu stellen als an zur dauernden Benutzung bestimmte Stadtwohnungen. Wenn auch die Wasserversorgung nicht voll befriedigen möge, so handele es sich doch um ein massives und heizbares Einfamilienhaus mit ausreichenden Räumen, das mehr als eine nur notdürftige Unterkunft für einen vorübergehenden Aufenthalt biete.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Steuerpräferenzgesetzes hängt die Steuervergünstigung davon ab, ob der Bg. und seine Angehörigen in N. im Jahre 1959 einen zweiten Wohnsitz hatten. Gemäß § 13 StAnpG hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht (§§ 7 und 8 BGB), ist die Frage der Wohnungsbegründung steuerlich nur nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen (Entscheidung des Reichsfinanzhofs III 252/39 vom 16. November 1939, RStBl 1939 S. 1209).

§ 13 StAnpG setzt zunächst voraus, daß eine "Wohnung" vorhanden ist, d. h. Räume, die zum Wohnen geeignet sind und den Verhältnissen des Steuerpflichtigen angemessen entsprechen, so daß sie ihm ein Heim bieten können. Räume, die dem Steuerpflichtigen nur vorübergehend eine seinen Verhältnissen nicht entsprechende Unterkunft bieten können, sind grundsätzlich keine "Wohnung" (Entscheidungen des Reichsfinanzhofs III A 218/36 vom 8. Januar 1937, RStBl 1937 S. 108; III 202/36 vom 28. Januar 1937, RStBl 1937 S. 336; IV B 32/40 vom 14. November 1940, RStBl 1940 S. 972). Die Wohnung muß der Steuerpflichtige ferner "innehaben", d. h. er muß über sie als Wohnung verfügen. Die Beibehaltung der Wohnung für längere Zeit muß erkennbar sein. Die Wohnung muß dem Steuerpflichtigen dadurch als Bleibe dienen, daß er sie ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt (Urteile des Reichsfinanzhofs III A 143/36 vom 24. September 1936, RStBl 1936 S. 997; VI A 631/36 vom 10. März 1937, RStBl 1937 S. 498). Die Umstände des Einzelfalles müssen darauf schließen lassen, daß der Steuerpflichtige die Wohnung "beibehalten und benutzen" will (§ 13 StAnpG), wobei ein Anhalt sein kann, ob die Wohnung den Bedürfnissen des Steuerpflichtigen und seiner Familie entspricht (Urteil des Reichsfinanzhofs IV B 1/38 vom 13. Oktober 1938, RStBl 1938 S. 1062).

Dem Finanzamt ist zuzugeben, daß u. U. auch Sommer- und Ferienhäuser einen Wohnsitz schaffen können. Das Verwaltungsgericht konnte jedoch nach den vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkten auf Grund seines Rechts zur freien Tatsachen- und Beweiswürdigung (§ 278 AO) ohne Rechtsverstoß zu der Feststellung gelangen, daß der Bg. in N. keinen zweiten Wohnsitz begründet habe. Das Haus ist abgelegen und ist nur über schlechte Wege zu erreichen; die Wasserversorgung befriedigt auch nach Auffassung des Finanzamts wohl nicht. Für einen Arzt, dessen Einkünfte im Streitjahr 1959 über 83.000 DM betragen haben, war das Haus eine verhältnismäßig primitive und nicht seiner wirtschaftlichen Lage entsprechende Bleibe. Das Haus in N. hat der Bg. jedenfalls, wie das Verwaltungsgericht einwandfrei festgestellt hat, nicht zu einem zweiten Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in familiärer oder in beruflicher Hinsicht gemacht und kann es den Umständen nach in absehbarer Zeit auch nicht tun. Die kurzen Aufenthalte während Schulferien allein haben für das Streitjahr 1959 jedenfalls keinen zweiten Wohnsitz begründet. Ob bei veränderten Verhältnissen, besonders bei stärkerer Benutzung des Hauses, N. zum zweiten Wohnsitz des Bg. werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die Frage der Wohnsitzbegründung kann nur nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums beurteilt werden. Für das Streitjahr 1959 ist jedenfalls die Vorentscheidung frei von Rechtsirrtum.

Somit konnte das Verwaltungsgericht die Gesamtumstände des Falles nach §§ 288 Ziff. 1, 296 Abs. 1 AO unanfechtbar dahin würdigen, daß für den Bg. und seine Angehörigen im Streitjahr ein zweiter Wohnsitz in N. nicht bestand.

Die Begünstigung nach dem Steuerpräferenzgesetz ist deshalb mit Recht zugesprochen worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411234

BStBl III 1964, 462

BFHE 1964, 626

BFHE 79, 626

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