Rz. 18

Partiell handlungsfähig sind nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO ausnahmsweise auch natürliche Personen, die zwar beschränkt geschäftsfähig sind, aber aufgrund zivilrechtlicher oder öffentlich rechtlicher Vorschriften für den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens als geschäfts- bzw. handlungsfähig behandelt werden. Im Übrigen bleiben aber beschränkt geschäftsfähige natürliche Personen verfahrenshandlungsunfähig. Es muss also eine Regelung vorliegen, aufgrund derer ein beschränkt Geschäftsfähiger allgemein befugt ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu regeln.[1] Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zur Vornahme einzelner Rechtsgeschäfte[2] führt nicht zur Verfahrenshandlungsfähigkeit im finanzbehördlichen Verwaltungsverfahren.[3]

 

Rz. 18a

Liegt dagegen eine entsprechende Regelung nach bürgerlichem Recht oder den Vorschriften des öffentlichen Rechts vor, so ist dem beschränkt Geschäftsfähigen für das Verwaltungsverfahren der Finanzbehörde die partielle Handlungsfähigkeit anzuerkennen. Hierdurch wird insoweit die Rechtsstellung des gesetzlichen Vertreters aufgehoben.[4] Der gesetzliche Vertreter kann und darf nicht für den partiell handlungsfähigen beschränkt Geschäftsfähigen handeln, solange die Ermächtigung besteht.[5] Die beschränkt geschäftsfähige Person kann entweder selbst oder durch einen Vertreter Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen.

Fehlt eine gesetzliche Regelung, durch die der beschränkt geschäftsfähigen Person die Verfahrenshandlungsfähigkeit eingeräumt wird, so ist sie für das Verwaltungsverfahren der Finanzbehörde als verfahrenshandlungsunfähig anzusehen.[6]

 

Rz. 19

Nach § 106 BGB sind Minderjährige, die das siebente Lebensjahr vollendet haben, beschränkt geschäftsfähig. Diese können im Rahmen der §§ 107113 BGB wirksam Rechtsgeschäfte tätigen.

[1] Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, § 106 Rz. 1, 5.
[3] Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, § 107 BGB Rz. 8.
[4] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 45.
[5] Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, § 112 BGB Rz. 1.
[6] Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, Einf. v. § 104 BGB Rz. 2.

3.1.4.1 Partielle Geschäftsfähigkeit nach bürgerlichem Recht

 

Rz. 20

Nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts können beschränkt geschäftsfähige natürliche Personen insbesondere für den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts und für die Eingehung oder Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses geschäftsfähig sein.

3.1.4.1.1 Ermächtigung zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts i. S. v. § 112 BGB

 

Rz. 21

Nach § 112 BGB gilt der beschränkt Geschäftsfähige, der von seinem gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ermächtigt worden ist, für solche Rechtsgeschäfte, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, als unbeschränkt geschäftsfähig. Ausgenommen sind nur solche Rechtsgeschäfte, für die nach § 112 Abs. 1 S. 2 BGB auch der Vertreter die Genehmigung des Familiengerichts einholen müsste. Auch im Besteuerungsverfahren ist der beschränkt Geschäftsfähige damit nicht nur Beteiligter[1], sondern auch verfahrenshandlungsfähig, soweit Gegenstand des Besteuerungsverfahrens die steuerlichen Angelegenheiten dieses Erwerbsgeschäfts sind. Im Übrigen – außerhalb des durch die Ermächtigung begrenzten Tätigkeitsbereichs – bleibt der beschränkt Geschäftsfähige verfahrenshandlungsunfähig. Die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen – i. d. R. gem. § 1629 BGB die Eltern – i. S. v. § 107 BGB zu einzelnen Rechtsgeschäften, durch die der Minderjährige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, begründet keine partielle Verfahrenshandlungsfähigkeit i. S. v. § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO.[2]

 

Rz. 22

Der beschränkt Geschäftsfähige kann und muss, da insoweit der gesetzliche Vertreter nicht mehr handlungsfähig ist, Steuererklärungen abgeben und Steuerbescheide entgegennehmen, die den Betrieb betreffen. Er kann auch selbst Einspruch bzw. Klage einlegen. Die Verfahrenshandlungsfähigkeit bezieht sich aber nur auf die betrieblichen Steuern, also bspw. auf die Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Gewerbesteuer, Kraftfahrzeugsteuer in Bezug auf betriebliche Fahrzeuge, Versicherungsteuer etc.[3] Die Ermächtigung zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gibt keine Verfahrenshandlungsfähigkeit für den Bereich der persönlichen Steuern (ESt), da hier die Steuerpflicht nicht ausschließlich als Folge der geschäftlichen Betätigung gesehen werden kann, sondern sich auch aus dem persönlichen Bereich resultierende Tatbestände steuerlich auswirken.[4]

 
Hinweis

Die beschränkt geschäftsfähige Person kann daher weder wirksam eine Einkommensteuererklärung abgeben, noch ist eine Bekanntgabe eines Einkommensteuerbescheides an diese Person oder eine Anfechtung durch diese Person wirksam.

[2] BVerwG v. 31.7.1984, 9 C 156/83, DVBl 1985, 244; Mues, in Gosch, AO/FGO, § 79 AO Rz. 26.
[3] Vgl. Rz. 6; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 51.
[4] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 79 AO Rz. 52;Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 79 AO Rz. 17; Mues, in Gosch, AO/FGO, § 79 AO, Rz. 31.

3.1.4.1.2 Ermächtigung zum Eintritt in ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis i. S. v. § 113 BGB

 

Rz. 23

Nach § 113 BGB ist der beschränkt Geschäftsfähige, den se...

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