Rz. 116

Typisierende und pauschalierende Verwaltungsvorschriften dienen ebenfalls der einheitlichen Anwendung der gesetzlichen Vorschriften. Sie finden sich insbesondere in dem Bereich der der Verwaltung vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also zur Ausfüllung von Ermessensspielräumen, zur Steuerung von Billigkeitsentscheidungen sowie zur Typisierung und Pauschalierung. Dazu gehören insbesondere AfA-Tabellen, Richtsatzsammlungen, Bewertungsrichtlinien, Pauschsätze usw. Die hinreichende Rechtsgrundlage hierfür ergibt sich aus dem Konkretisierungs- und Schätzungsauftrag, der sich aus der jeweiligen ausfüllungsbedürftigen steuergesetzlichen Norm bzw. dem Schätzungsauftrag aus § 162 AO herleitet.[1]

Die Auslegung dieser Verwaltungsanweisungen erfolgt nicht nach für Gesetze geltenden Auslegungsregeln; allein entscheidend ist, wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte und wie sie dementsprechend verfahren ist.[2]

 

Rz. 117

Auch typisierenden und pauschalierenden Verwaltungsvorschriften kann grundsätzlich keine Bindungswirkung gegenüber den Gerichten beigemessen werden. Die Rspr. nimmt hier jedoch ihre Kontrollbefugnisse zurück, indem sie diesen Verwaltungsvorschriften eine "Vermutung der Richtigkeit"[3] oder die Qualität einer "vertretbaren Schätzung"[4] zuerkennt.[5] Prozessrechtliche Grundlage sind letztlich die die richterliche Überzeugungsbildung betreffenden prozessrechtlichen Grundsätze.[6] Der daran geübten Kritik[7] ist zuzugestehen, dass Gerichte den tieferen Rechtsgrund dieser beschränkten Kontrollpraxis bisweilen[8] nicht offenlegen und Art. 19 Abs. 4 GG keinen Anhaltspunkt für eine beschränkte Kontrollkompetenz der Finanzgerichtsbarkeit bietet. Gleichwohl ist diese zurückhaltende Kontrollpraxis auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil sie die Herstellung von Rechtsanwendungsgleichheit durch gleichheitsgerechten Gesetzesvollzug[9] einschließlich der insoweit auch vom Gericht zu beachtenden Selbstbindung der Verwaltung[10] gewährleistet. Überdies zwingt auch Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu einer vollen Einzelfallprüfung.[11]

 

Rz. 118

Wohl unbestrittene Voraussetzung dieses reduzierten gerichtlichen Kontrollmaßstabs ist allerdings, dass sich diese Verwaltungsvorschriften im Rahmen des Gesetzeszwecks und des Gebots der Gleichmäßigkeit der Besteuerung halten[12], auf sachgerechten Erwägungen beruhen und ggf. auf von der Finanzverwaltung gewonnene Erfahrungen und/oder Erhebungen zurückgehen.[13] Schließlich müssen typisierende und pauschalierende Verwaltungsvorschriften – nicht anders als gesetzliche Typisierungen[14] – auch dem Gebot der Realitätsgerechtigkeit[15] genügen. Insoweit bedarf es ggf. auch einer vollumfänglichen Sachprüfung der in einer typisierenden bzw. pauschalierenden Verwaltungsvorschrift getroffenen Regelungen.[16] Im Übrigen verlangt eine effektive gerichtliche Kontrolle die Offenlegung der die jeweilige Verwaltungsvorschrift betreffenden Verwaltungsvorgänge einschließlich der ggf. vorliegenden Berechnungsgrundlagen bzw. des entstandenen Datenmaterials.[17]

[1] BFH v. 2.4.2008, II R 59/06, BStBl II 2009, 983; Pahlke, DStR-Beihefter 2011, 66/69; vgl. auch BVerfG v. 31.5.1988, 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214/229; abl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 91; Jachmann StuW 1994, 347/351.
[5] Zu ähnlichen Umschreibungen in der BFH-Rspr. vgl. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 87 f.
[6] § 96 Abs. 1 S. 1 FGO; BVerfG v. 31.5.1988, 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214/229; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 92.
[7] Z. B. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 91.
[17] Pahlke, DStR-Beihefter 2011, 66/70 m. w. N.

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