Rz. 88

Eine unechte Rückwirkung ("tatbestandliche Rückanknüpfung") liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet.[1] Die belastenden Rechtsfolgen einer Norm treten in diesem Fall erst nach ihrer Verkündung ein; sie werden aber tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst.[2] Die unechte Rückwirkung ist "nicht grundsätzlich unzulässig"[3], jedoch nur dann mit dem Vertrauensschutzprinzip vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist. Knüpft der Gesetzgeber an zurückliegende Sachverhalte innerhalb eines nicht abgeschlossenen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraums an, muss bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der die nachteilige Änderung rechtfertigenden öffentlichen Belange die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein.[4] Die allgemeine Erwartung einer zukünftig unverändert fortbestehenden Rechtslage genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz.[5]

 

Rz. 89

Für die Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung gelten damit im Vergleich zur früheren BVerfG-Rspr. wesentlich strengere Maßstäbe. Eine gewisse Annäherung an einen dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff (vgl. Rz. 82) ergibt sich vor allem aus der vom BVerfG nunmehr ausdrücklich zugestandenen Erkenntnis, dass rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungszeitraums, die der unechten Rückwirkung zugeordnet werden, "in vielerlei Hinsicht" der echten Rückwirkung nahestehen.[6] Insbesondere erhalten nunmehr "besondere Momente der Schutzbedürftigkeit"[7] als Ausschlussgrund einer rückwirkenden Gesetzesregelung stärkeres Gewicht. Normadressaten müssen die Enttäuschung des Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist.[8] Nur soweit Momente der Schutzbedürftigkeit fehlen, reichen schon allgemeine Ziele der Verbesserung der Steuergerechtigkeit sowie die Erzielung von Steuermehreinnahmen zur Gegenfinanzierung anderweitiger Steuerausfälle zur Rechtfertigung aus.[9] In jedem Fall ist der Gesetzgeber auch bei Fällen unechter Rückwirkung verpflichtet, sein besonderes Augenmerk auf etwa beeinträchtigte Vertrauensschutzpositionen, insbesondere bereits getätigte Vermögensdispositionen der Stpfl., zu richten. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens entfällt mit dem endgültigen Beschluss des Bundestags über die Neuregelung (vgl. Rz. 87).

 

Rz. 90

Für periodische Steuern (EStG und KStG) ist die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum grundsätzlich der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen. Denn die EStG entsteht erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, d. h. gem. § 25 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Kalenderjahres.[10]

 

Rz. 91

Aufgrund dieser Beurteilungsgrundsätze war die Verlängerung der Spekulationsfrist nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 (nur) insoweit verfassungswidrig, als ein Stpfl. durch den Ablauf der mit Ablauf der vormaligen zweijährigen Spekulationsfrist einen konkret vorhandenen steuerentstrickten Vermögensbestand erworben hatte, der durch die rückwirkende Neuregelung entwertet wurde.[11] Bei Abschluss einer § 34 Abs. 1 EStG unterfallenden Entlassungsentschädigung verdient das damit betätigte Vertrauen auf den für die künftige zufließende Entschädigung anzuwendenden Steuersatz grundsätzlich verfassungsrechtlichen Schutz.[12] Ebenso lag ein Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz vor, soweit im Zusammenhang mit der Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch § 17 Abs. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 2 S. 1 EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 eine nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse erfolgen sollte.[13]

 

Rz. 92

Mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist es vereinbar, dass eine Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) nach§ 7 S. 2 Nr. 2 GewStG bei Verkauf eines Anteils durch einen Mitunternehmer grundsätzlich gewerbesteuerpflichtig ist, obwohl der Veräußerungsgewinn beim Veräußerer verbleibt.

[14]

Die frühere Anwendungsregelung des § 36 Abs. 4 KStG ist mit

ist mit Art.14 Abs. 1 iV.m. Art.3 Abs. 1 GG unvereinbar[15]

Randziffer 93 -98 einstweilen frei

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