Rz. 14

Der Begriff des Wirtschaftsguts selbst wird von der AO weder in § 39 AO noch an anderer Stelle definiert. In Übereinstimmung mit dem Bewertungsrecht[1] und dem Einkommensteuerrecht[2] umfasst er neben Sachen und Rechten (z. B. Forderungen, Immaterialgüterrechte, Anteile an Kapitalgesellschaften) wirtschaftliche Werte aller Art, die einer selbstständigen Bewertung zugänglich sind.[3] Auch beschränkt dingliche Rechte gehören dazu.[4] Damit deckt sich der steuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsguts im Wesentlichen mit dem handelsrechtlichen Begriff des "Vermögensgegenstands"[5], setzt im Unterschied zu diesem aber nicht die Einzelveräußerbarkeit voraus.[6]

Mit Blick auf das dem Zweck des § 39 Abs. 1 AO folgend weit auszulegende Begriffsverständnis kann auch eine zivilrechtlich nicht oder nur beschränkt übertragbare (Rechts-)Position als Wirtschaftsgut angesehen werden, wenn die Rechtspraxis Wege gefunden hat, den kommerzialisierbaren Teil der Rechtsposition entgeltlich einem Dritten zu überlassen und dadurch wirtschaftlich zu verwerten.[7]

Eine Sache im zivilrechtlichen Sinne kann aus mehreren Wirtschaftsgütern bestehen. Ertragsteuerlich sind Grund und Boden und aufstehende Gebäude als unterschiedliche Wirtschaftsgüter anzusehen.[8] Dasselbe gilt für Gebäudeteile, die in unterschiedlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhängen stehen.[9] Auch Betriebsvorrichtungen und Scheinbestandteile i. S. v. § 95 BGB können eigenständige Wirtschaftsgüter sein.[10] Bei einem Windpark stellt einerseits jede einzelne Windkraftanlage einschließlich des dazugehörigen Transformators sowie der verbindenden Verkabelung, andererseits die externe Verkabelung sowie die Zuwegung im Regelfall ein jeweils eigenständiges Wirtschaftsgut dar.[11]

Der Gesellschaftsanteil an einer Personengesellschaft ist kein (eigenständiges) immaterielles Wirtschaftsgut.[12] Die gesellschaftsrechtliche Beteiligung verkörpert nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 AO vielmehr die quotale Berechtigung des Gesellschafters an den zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern.[13]

Gegenstand der Zurechnung können nicht nur Wirtschaftsgüter als ganze, sondern auch Anteile daran, z. B. der ideelle Miteigentumsanteil an einem Grundstück[14] oder die Unterbeteiligung an einem GmbH-Anteil[15], sein.[16] Auch wirtschaftliches Eigentum an einem realen Gebäudeteil ist möglich.[17]

 

Rz. 15

Die Zurechnung eines Wirtschaftsguts (oder eines Anteils daran) zu einer Person schließt die gleichzeitige Zurechnung zu einer anderen Person aus. Soweit Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, können sie daher nicht nebeneinander auf ein und dasselbe Wirtschaftsgut angewandt werden.[18] Bei der anteiligen Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu mehreren Personen darf die Summe der ihnen zugerechneten Anteile 100 Prozent nicht übersteigen.[19] Widerstreitende Zurechnungen sind auf der Grundlage von § 174 Abs. 1 AO zu korrigieren.[20]

[1] Vgl. § 2 BewG.
[2] Vgl. §§ 4ff. EStG.
[3] BFH v. 7.8.2000 GrS 2/99, BStBl II 2000, 632, unter II.3; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 39 AO Rz. 17; Fu, in Gosch, AO/FGO, § 39 AO Rz. 6.
[4] Schleswig-Holsteinisches FG v. 17.2.2022, 3 K 41/20, Rev. anh., Az. BFH: IV R 36/22.
[5] S. vor allem im 3. Buch des HGB "Handelsbücher": §§ 240, 241, 246 Abs. 1, 248 Abs. 2, § 250 Abs. 1 S. 2, 252, 253, 255, 256, 265, 266 HGB.
[6] Allg. Ansicht: Fu, in Gosch, AO/FGO, § 39 AO Rz. 6; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 39 AO Rz. 17; Fischer, in HHSp, AO/FGO, § 39 AO Rz. 16; Tiedchen, in H/H/R, EStG/KStG, § 5 EStG Anm. 555.
[7] BFH v. 14.2.2023, IX R 3/22, BStBl II 2023, 571, Rz. 24 betr. Kryptowährungen; BFH v. 12.6.2019, X R 20/17, BStBl II 2020, 3 Rz. 38, 43 betr. den kommerzialisierbaren Teil des Namensrechts einer natürlichen Person.
[8] Bode, in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl. 2023, § 4 Rz. 68.
[9] Tiedchen, in H/H/R, EStG/KStG, § 5 EStG Anm. 610.
[10] Fischer, in HHSp, AO/FGO, § 39 AO Rz. 157; Fu, in Gosch, AO/FGO, § 39 AO Rz. 6, 76.
[16] Fischer, in HHSp, AO/FGO, § 39 AO Rz. 20f.; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 39 AO Rz. 28; Koenig/Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 39 Rz. 20.
[17] Fischer, in HHSp, AO/FGO, § 39 AO Rz. 21; FG Berlin-Brandenburg v. 18.5.2010, 9 K 9081/09, EFG 2011, 120.
[18] Klein/Ratschow, AO, 17. Aufl. 2023, § 39 Rz. 10.
[19] Fischer, in HHSp,...

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