5.1.1 Voraussetzung der Abgabe

 

Rz. 29

Nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO ist die Finanzbehörde berechtigt, die Strafsache, d. h. das Strafverfahren wegen der Steuerstraftat, jederzeit an die Staatsanwaltschaft abzugeben.[1]

Die Abgabe nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO setzt die selbstständige Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2, 3 AO voraus. Fehlt diese selbstständige Ermittlungskompetenz, so ist die Finanzbehörde im Rahmen der allgemeinen Ermittlungskompetenz verpflichtet, die Strafsache der Staatsanwaltschaft zuzuleiten. Diese Übersendung der Akten ist keine Abgabe i. S. v. § 386 Abs. 4 S. 1 AO, sondern Folge der gesetzlich angeordneten Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft.

[1] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 386 Rz. 12; zur Zuständigkeit Klaproth, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 391 AO Rz. 21.

5.1.2 Wirkung der Abgabe des Strafverfahrens

 

Rz. 30

Die Abgabe an die Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO bewirkt für die Finanzbehörde den Verlust der selbstständigen Ermittlungskompetenz. Die Finanzbehörde kann die Strafsache von sich aus nicht wieder zurückholen und ihre selbstständige Rechtsstellung begründen.[1] Die rechtsgestaltende Wirkung der Abgabeerklärung tritt mit dem Zugang der Erklärung bei der Staatsanwaltschaft ein[2] und kann nicht einseitig aufgehoben werden, allerdings kommt eine einvernehmliche Rückübertragung der Ermittlungskompetenz von der Staatsanwaltschaft auf die Finanzbehörde in Betracht.

Die selbstständige Ermittlungskompetenz lebt auch im Fall der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft nicht wieder auf.[3] Die Finanzbehörde kann das Verfahren nicht erneut aufnehmen, selbst wenn sie der Ansicht ist, dass die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft unzutreffend erfolgt ist. Die Finanzbehörde hat gegenüber der Staatsanwaltschaft keine Kontrollbefugnis.[4]

 

Rz. 31

Auf die Abgabe, die im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde steht, hat die Staatsanwaltschaft keinen rechtlichen Einfluss. Sie hat die Übernahmepflicht, auch wenn sie die Übernahme nicht als sachgerecht ansieht. Die Finanzbehörde kann nach dem eindeutigen Wortlaut des § 386 Abs. 4 AO die Abgabe auch gegen den Willen der Staatsanwaltschaft vornehmen.[5] Die Staatsanwaltschaft kann die Fortführung des Verfahrens nicht verweigern. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft nach § 402 Abs. 1 AO i. V. m. § 161 StPO das Recht, die Finanzbehörde mit der Durchführung von bestimmten Ermittlungshandlungen zu beauftragen.[6]

[1] Peters, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 127; Wannemacher/Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 386 AO Rz. 33.
[2] Hardtke/Westphal, wistra 1996, 91, 93; Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 48.
[3] Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 49; Peters, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 128; Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 386 AO Rz. 71; Wannemacher/Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 386 AO Rz. 30; a. A. Kretzschmar, DStZ 1983, 499; Kretzschmar, DStR 1985, 29.
[4] Hilgers-Klautzsch, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 403 AO Rz. 39; Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 49; Rüping, in HHSp, AO/FGO, § 386 AO Rz. 70.
[5] Randt, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 48; Wannemacher/Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 386 AO Rz. 30.
[6] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 386 Rz. 15.

5.1.3 Rechtscharakter der Abgabe

 

Rz. 32

Die Abgabe nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO ist eine strafprozessuale Verfahrenshandlung der Finanzbehörde. Gegen die Abgabe ist ein Rechtsbehelf nicht gegeben. Da es sich um eine Maßnahme des Strafverfahrens handelt, scheiden nach § 347 Abs. 3 AO das finanzbehördliche Einspruchsverfahren[1] und nach § 33 Abs. 3 FGO der Rechtsweg zu den Finanzgerichten aus.[2] Im Hinblick auf die Regelung des § 13 GVG liegt bei einem Streit über die Zulässigkeit der Abgabe demgemäß auch keine öffentlich-rechtliche, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit begründende Streitigkeit i. S. v. § 40 Abs. 1 VwGO vor.[3]

Letztlich liegt auch kein die Überprüfbarkeit durch das OLG begründender Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG vor, da nicht in die Rechtsstellung des Beschuldigten eingegriffen wird.[4] Zumindest fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis des Beschuldigten, weil eine Rechtsverletzung nicht vorliegt, denn der Beschuldigte hat keinen öffentlich-rechtlichen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes nichtgerichtliches Strafverfolgungsorgan.[5]

Soweit vereinzelt eine Rechtschutzmöglichkeit für die Abgabe einer Strafsache angenommen wird, die im Zusammenhang mit einem Allgemeindelikt steht[6], ist dem nicht zu folgen, da in einem solchen Fall bereits keine ausschließliche Zuständigkeit der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2 AO besteht. Es steht folglich nicht im Ermessen der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO, den Fall an die Staatsanwaltschaft abzugeben. Dies ist vielmehr geboten.

 

Rz. 32a

Wird eine Rechtssache entgegen der gesetzlichen Vorgabe nach § 386 Abs. 3 AO oder bei einem Fehlgebrauch des Ermessens bei der Entscheidung über die Andienung eines Falls zur Abgabe nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO nich...

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