2.4.3.3.1 Abhängigkeit der Nachentrichtungspflicht vom Bestehen des steuerlichen Anspruchs

 

Rz. 333

Der Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO knüpft die Begründung der Nachentrichtungspflicht nur an den Eintritt des Taterfolgs. Strafrechtlich ist dies insofern konsequent, als der nachträgliche Wegfall des Taterfolgs den Strafanspruch nicht berührt. Die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO ist aber keine zusätzliche strafrechtliche Sanktion. § 371 AO bezweckt nur den Schadensausgleich aus der Tat, nicht aber eine finanzielle Mehrbelastung des Tatbeteiligten.

 

Rz. 334

Die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO ist demgemäß – als ungeschriebenes gesetzliches Tatbestandsmerkmal – abhängig vom Bestehen des durch die Tat betroffenen steuerlichen Anspruchs.[1] Entscheidend ist hierbei der materielle Bestand des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis. Sie ist jedoch nicht abhängig – in Abweichung zur Formulierung des § 395 Abs. 3 RAO[2] – von dessen Festsetzung im Besteuerungsverfahren durch Steuer- oder Haftungsbescheid[3] und damit dessen steuerlicher Fälligkeit.[4] Bei freiwilliger vorzeitiger Tilgung des Anspruchs entfällt notwendig die Nachentrichtungspflicht.[5]

Ein Entfallen der Nachentrichtungspflicht durch den Erlass der Steuerschuld wird i. d. R. schon deshalb nicht erfolgen, weil derjenige, der eigene Steuern hinterzogen hat, in aller Regel nicht erlasswürdig i. S. d. § 227 AO sein wird (vgl. Rz. 377). Darüber hinaus ist fraglich, ob ein Steuererlass generell überhaupt ein taugliches Zahlungssurrogat i. S. d. § 371 Abs. 3 AO ist.[6]

[1] Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 92; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 401; Theil, BB 1983, 1274, 1279.
[2] BayObLG v. 27.4.1972, RReg 4 St 26/72, DStZ/E 1972, 287.
[3] LG Stuttgart v. 20.1.1987, 6 KLs 243/86, wistra 1988, 36 m. zust. Anm. Gramrich.
[5] BayObLG v. 3.11.1989, RReg 4 StR 135/89, wistra 1990, 159, 162.
[6] Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 401 m. w. N.

2.4.3.3.2 Auswirkungen des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO

 

Rz. 335

Durch das in § 370 Abs. 4 S. 3 AO geregelte sog. Kompensationsverbot besteht die Möglichkeit, dass eine strafbare Steuerhinterziehung vorliegt, obgleich materiell-rechtlich trotz der Tathandlung kein Taterfolg, also keine Verkürzung eingetreten oder der Steuervorteil nicht ungerechtfertigt erlangt worden ist. Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO liegt nämlich ein strafrechtlich relevanter Verkürzungserfolg auch dann vor, wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder ein Steuervorteil hätte beansprucht werden können. Die jeweiligen Minderungsgründe werden nicht in die Berechnung des verkürzten Steuerbetrags bzw. des Steuervorteils einbezogen, sondern nur im Bereich der Strafzumessung berücksichtigt.[1]

Das Kompensationsverbot findet hingegen im Rahmen des § 371 Abs. 3 S. 1 AO keine Anwendung.[2] Dies ergibt sich aus dem Schadensausgleichsgedanken des § 371 Abs. 3 S. 1 AO. Dem Nachentrichtungspflichtigen würde sonst aus der Selbstanzeige ein strafrechtlicher Nachteil erwachsen, wenn er für die Erlangung der Straffreiheit einen fiktiven steuerlichen Schaden ausgleichen sollte, der steuerlich nicht geltend gemacht werden könnte. Darüber hinaus müsste der Fiskus sonst auch die erhaltenen Steuerbeträge zurückerstatten, da er keinen Rechtsgrund zum Behaltendürfen hat.

 
Praxis-Beispiel

Der Unternehmer hat eine Steuerhinterziehung begangen, indem er vorsätzlich keine USt-Jahreserklärung abgegeben hat. Die zutreffende USt beträgt 50.000 EUR, die Vorsteuer 45.000 EUR, sodass sich eine Zahllast i. H. v. 5.000 EUR ergibt.

Würde das Kompensationsverbot anwendbar sein, müßte der Unternehmer zur Erlangung der Straffreiheit den Gesamtbetrag von 50.000 EUR an das FA entrichten, dann aber in der Folge vom FA eine Erstattung von 45.000 EUR erhalten. Um ein solches sinnloses Vorgehen zu vermeiden, findet das Kompensationsverbot insoweit keine Anwendung und es ist allein auf die sich ergebende Zahllast abzustellen. Folglich erlangt der Unternehmer durch die Zahlung von 5.000 EUR vollständige Straffreiheit.

[2] Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 117; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 216; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 149.

2.4.3.3.3 Nachträglicher Fortfall des steuerlichen Anspruchs

 

Rz. 336

Unter dem Gesichtspunkt der Schadensausgleichspflicht bewirkt auch jede nach Entstehung und vor Konkretisierung gem. § 371 Abs. 3 S. 1 AO eintretende Minderung des aus der Tat resultierenden Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis eine Minderung der Nachentrichtungspflicht. Der Rechtsgrund der Minderung ist unerheblich.

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