Rz. 110

Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO ist eine Steuer auch dann verkürzt (s. Rz. 84) und ein Steuervorteil auch dann ungerechtfertigt erlangt (s. Rz. 103), wenn "die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können". Die Vorschrift bewirkt, dass eine vollendete Steuerhinterziehung auch dann vorliegt, obgleich materiell-rechtlich trotz der Tathandlung kein Taterfolg (s. Rz. 76), also keine Verkürzung (s. Rz. 85), eingetreten oder der Steuervorteil (s. Rz. 103) nicht ungerechtfertigt erlangt worden ist. Es wird also der Versuch der Steuerhinterziehung ohne die Strafmilderungsmöglichkeit des § 23 Abs. 2 StGB (s. Rz. 137, 180) wie die vollendete Steuerhinterziehung bestraft[1]. Die materiell-rechtliche Rechtslage vermag die Strafbarkeit der Tathandlung nicht zu kompensieren.

 

Rz. 111

Das Verständnis dieser Regelung hat mit der Zeit gewechselt. Während das RG das Kompensationsverbot in gefestigter Rspr. als Vorsatzproblem sah, hiernach sollten dem Tatbeteiligten keine Steuerminderungsgründe zugute kommen, die ihm nicht bewusst waren[2], sieht der BGH in § 370 Abs. 4 S. 3 AO eine Regelung zur Verfahrenserleichterung, da hierdurch das Strafgericht nicht den gesamten Steuerfall aufrollen müsse[3]. Die Rechtsauffassungen in der Lit. variieren[4].

 

Rz. 112

Die Wirkung des § 370 Abs. 4 S. 3 AO beschränkt sich auf die Strafbarkeit (s. Rz. 110). Steuerbeträge oder Steuervorteile, die durch das Kompensationsverbot ausgeschlossen sind, sind im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Tatbeteiligten zu berücksichtigen, da der Steuerschaden tatsächlich geringer ist[5].

[1] Meine, wistra 1982, 129.
[2] RG v. 17.12.1936, 3 D 790/360, RGSt 70, 396.
[3] Grundlegend BGH v. 3.6.1954, 3 StR 302/53, BGHSt 7, 396.
[4] Kohlmann/Sandermann, StuW 1974, 221; Meine, wistra 1982, 129; Meine, wistra 1991, 127; Bilsdorfer, DStZ 1983, 447; Wassmann, ZfZ 1987, 162; zum Kompensationsverbot bei steuerlichen Wahlrechten Beck, wistra 1998, 131.
[5] S. Rz. 222; vgl. z. B. BGH v. 23.7.1985, 5 StR 465/85, wistra 1985, 225; BGH v. 11.11.1987, 3 StR 445/87, wistra 1988, 109; OLG Düsseldorf v. 24.11.1987, 2 Ss 203/87–93/87 III, wistra 1988, 118; BayObLG v. 16.10.1989, RReg 4 St 162/89, wistra 1990, 112;BGH v. 10.1.2002, 5 StR 452/01, BFH/NV Beilage 2002, 110; BGH v. 17.3.2005, 5 StR 461/04, BFH/NV Beilage 2006, 90.

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