Rz. 27

Nach § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO kann die Finanzbehörde dem Einspruchsführer eine Frist setzen "zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt".§ 350 AO fordert bereits für die Zulässigkeit des Einspruchs, dass der Einspruchsführer geltend macht, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein. Diese Voraussetzung ist jedoch bereits erfüllt, wenn der Einspruchsführer sich gegen eine ihn ihrem Inhalt nach belastende Verfügung wendet. Eine darüber hinausgehende Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung er sich beschwert fühlt, ist nicht erforderlich.[1] Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass eine Begründung des Einspruchs nach § 357 Abs. 3 Satz 2 AO zwar erfolgen soll, aber nicht muss.

Auch wenn es der Einspruchsführer unterlässt, entsprechende Tatsachen vorzutragen, bleibt die Behörde grundsätzlich – wenn auch nur in eingeschränktem Umfang auf der Grundlage der ihr vorliegenden Akten – zur Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verpflichtet.[2] § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO gibt ihr vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, von dem Einspruchsführer eine Konkretisierung der behaupteten Beschwer zu erlangen und dadurch den Umfang der erforderlichen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts einzugrenzen.[3]

 

Rz. 28

Nach einer in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung soll die Frist nach § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO – wie in Nr. 2 – nur für solche Tatsachen gesetzt werden können, die klärungsbedürftig sind.[4] Tatsachen sind dann klärungsbedürftig, wenn sie für die Besteuerung erheblich und – aus der Sicht der Finanzbehörde – noch nicht – nach § 90 Abs. 1 Satz 2 AO – vollständig und wahrheitsgemäß offengelegt sind. Soweit sie aus den Akten ersichtlich oder amtsbekannt sind, ist dies nicht der Fall.[5] Bartone[6] ist zwar darin zuzustimmen, dass § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO nicht dazu diene, die Finanzbehörde von ihrer Pflicht zu entlasten, "die Sache in vollem Umfang" anhand der Akten erneut zu prüfen. Allerdings dürfte sich die von dem Einspruchsführer nicht dargelegte Beschwer – mit Ausnahme offenkundiger Fehler – nur schwerlich aus den Akten erkennen lassen. Zutreffend weist Müller[7] darauf hin, dass nur der Stpfl. selbst wissen kann, wodurch er sich beschwert fühlt. Deshalb dürfte in dem Fall des § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO die Klärungsbedürftigkeit regelmäßig vorliegen.

 

Rz. 29

Da § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO die Fristsetzung nur zur Angabe von "Tatsachen" zulässt, wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, die Finanzbehörde dürfe von dem Einspruchsführer keine rechtlichen Ausführungen verlangen.[8] Dem ist m. E. nicht zu folgen. Die Finanzbehörde darf den Einspruchsführer ohne Weiteres auffordern, neben der Angabe von Tatsachen auch seine Rechtsauffassung darzulegen. Allerdings sind die rechtlichen Ausführungen nicht von den Wirkungen der Fristsetzung betroffen und können auch noch nach Ablauf der Frist vorgebracht werden.[9]

 

Rz. 30

Vor diesem Hintergrund ist auch umstritten, ob die Frist nach § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO zur Abgabe einer Steuererklärung gesetzt werden kann. Der Gesetzgeber hatte gerade diesen Fall bei der Einführung des § 364b AO im Blick.[10] Der BFH hat die auf § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Fristsetzung durch die Finanzbehörde zur Abgabe einer Steuererklärung bisher als rechtmäßig angesehen, ohne dies näher zu problematisieren.[11]

Ein Großteil der Stimmen in der Literatur lehnt die Anwendbarkeit des § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO dagegen ab, kommt aber dennoch zu dem Ergebnis, dass die Finanzbehörde dem Einspruchsführer eine Frist zur Abgabe einer Steuererklärung setzen kann. Dies soll allerdings nur auf der Grundlage des § 364b Abs. 1 Nr. 3 AO zulässig sein.[12]

Nur teilweise wird vertreten, die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung dürfte gar nicht nach § 364b AO mit einer Frist verbunden werden.[13] Dass § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung kommen soll, wird mit Verweis auf die Rechtsprechung des BFH zu § 79b Abs. 2 FGO begründet. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, "zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben". Der BFH vertritt die Auffassung, dass eine Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen hiervon nicht gedeckt ist, weil eine Steuererklärung mehr als ein bloßer Tatsachenvortrag zu "bestimmten Vorgängen" sei und vielmehr eine Verfahrenshandlung darstelle, die eine Wissenserklärung über die in der Steuererklärung aufgeführten Tatsachen und zugleich rechtliche Schlussfolgerungen des Stpfl. enthält.[14]

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass § 79b Abs. 2 Nr. 1 FGO keine Ähnlichkeit mit § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO hat, sondern allenfalls als Vorbild für § 364b Abs. 1 Nr. 2 AO diente. § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO ist vielmehr mit § 79b Abs. 1 FGO identisch. Bereits aus diesem Grund erscheint es fraglich, ob die Ausführungen des BFH zu § 79b Abs. 2 FGO ohne Weiteres auf § 364b Abs. 1 Nr. 1 AO übertragen werden können.[15]

Ungeachtet dessen ergibt sich...

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