4.1 Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung

 

Rz. 68

§ 362 Abs. 2 S. 2 AO bestimmt für den Fall, dass "nachträglich die Unwirksamkeit der Rücknahme geltend gemacht wird", die sinngemäße Anwendung des § 110 Abs. 3 AO. Es ist somit zwar kein Widerruf und keine Anfechtung der Einspruchsrücknahme möglich (s. Rz. 53f.), der Einspruchsführer kann aber gegenüber der Finanzbehörde ihre Unwirksamkeit geltend machen.

 

Rz. 69

Die Einspruchsrücknahme ist unwirksam, wenn die genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Das ist also dann der Fall, wenn die Rücknahmeerklärung nicht innerhalb der Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens erfolgt ist (s. Rz. 5ff.), sie mithin vor Einlegung eines Einspruchs oder nach der Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch bei der Einlegungsbehörde (s. Rz. 48ff.) eingeht. Eine Unwirksamkeit der Rücknahme ist weiter gegeben, wenn diese mit inhaltlichen Mängeln behaftet ist (s. Rz. 12ff.), sie nicht in der richtigen Form abgegeben wurde (s. Rz. 39ff.), der Erklärende nicht zur Rücknahme fähig oder befugt war (s. Rz. 29ff.) oder er durch die Finanzbehörde in unzulässiger Weise zur Einspruchsrücknahme bewegt wurde (s. Rz. 35ff.).

4.2 Verfahren zur Geltendmachung der Unwirksamkeit

 

Rz. 70

Die Geltendmachung erfolgt durch Erklärung gegenüber der Einlegungsbehörde, bei der die Rücknahme erklärt worden ist (s. Rz. 48ff.). Zwar ist hierfür nicht ausdrücklich eine bestimmte Form vorgeschrieben[1], es empfiehlt sich aber schon aus Beweisgründen, die für die Einlegung und die Rücknahme vorgeschriebene Form einzuhalten, die Erklärung also schriftlich oder elektronisch oder durch Erklärung zur Niederschrift abzugeben (s. hierzu Rz. 39ff.).

 

Rz. 71

Über die Frage, ob die Rücknahme unwirksam war, wird kein gesondertes Verfahren geführt. Vielmehr wird das ursprüngliche Einspruchsverfahren aufgrund der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme wieder aufgenommen.[2] Die Finanzbehörde befindet über die Unwirksamkeit der Rücknahme im Rahmen der Entscheidung über den Einspruch.

Liegt nach Ansicht der Finanzbehörde die Unwirksamkeit der Rücknahme vor, so trifft sie – wenn die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind – eine Sachentscheidung und erlässt eine Einspruchsentscheidung oder einen Abhilfebescheid.

Ist demgegenüber nach Ansicht der Finanzbehörde die Rücknahmeerklärung wirksam, hat sie den Einspruch nach § 358 S. 2 AO durch Einspruchsentscheidung als unzulässig zu verwerfen.

 

Rz. 72

Setzt die Finanzbehörde das Einspruchsverfahren nach der Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchs nicht fort, so kann der Einspruchsführer die Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme im Rahmen einer Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO gerichtlich überprüfen lassen.[3]

 

Rz. 73

Die Entscheidung über die Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung ist nicht gesondert anfechtbar. Eine Klage auf Feststellung, dass die Rücknahme unwirksam und der Einspruch zulässig sei, also ein gesonderter Streit nur über das Vorliegen von Zulässigkeitsvoraussetzungen, ist nicht zulässig.[4] Die Rechtswidrigkeit der behördlichen Entscheidung kann nur im Weg der Klage gegen den angefochtenen Verwaltungsakt geltend gemacht werden. Das FG hat von Amts wegen über die Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme zu entscheiden und ist an die finanzbehördliche Auffassung nicht gebunden. Auch der BFH überprüft die Wirksamkeit von Amts wegen und trifft hierüber eine eigene Entscheidung.[5]

4.3 Frist

 

Rz. 74

Nach § 362 Abs. 2 S. 2 AO gilt für die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts § 110 Abs. 3 AO sinngemäß. § 110 Abs. 3 AO bestimmt für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass diese nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden kann, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Dementsprechend kann die Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme regelmäßig innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden. Streitig ist dabei allerdings, wann die Jahresfrist zu laufen beginnt. Zum Teil wird – unter Verweis auf die an die Entdeckung der Täuschung bzw. den Wegfall der Zwangslage anknüpfende Anfechtungsfrist in § 124 Abs. 2 BGB – der Zeitpunkt der Kenntnis der Unwirksamkeitsgründe als maßgeblich angesehen.[1] Richtigerweise wird aber überwiegend auf den Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung abgestellt.[2] Dafür spricht, dass § 110 Abs. 3 AO, auf den § 362 Abs. 2 S. 2 AO ausschließlich verweist – anders als der nicht in Bezug genommene § 110 Abs. 2 AO – gerade nicht auf den "Wegfall des Hindernisses" abstellt, sondern auf das "Ende der versäumten Frist".[3] Zweck der Regelungen über die Wiedereinsetzung in den ...

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